Zum 1.1.2023 tritt eine umfassende Wohngeldreform in Kraft. Diese wird nicht nur dazu führen, dass die jetzigen Wohngeldempfänger höhere Leistungen erhalten, sondern auch dass deutlich mehr Haushalte Wohngeld beziehen werden.
Nach Berechnungen des IW-Mikrosimulationsmodells wird sich die Anzahl der Wohngeldhaushalte mehr als verdreifachen. Dies führt dazu, dass die Wohngeldstellen mehr Anträge bearbeiten müssen. Hierfür müssen sie Personal einstellen, was vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels nicht so leicht möglich ist. Trotz der angedachten Verwaltungsvereinfachungen ist daher zu befürchten, dass sich die bisherigen mehrmonatigen Bearbeitungszeiten der Anträge weiter verlängern und dadurch viele Haushalte nur zeitverzögert finanzielle Unterstützung erhalten werden.
Mit dem Wohngeld-Plus-Gesetz bekommen einkommensschwache Haushalte ab dem 1.1.2023 spürbar mehr staatliche Unterstützung (Bundesgesetzblatt, 2022). Die Reform wird im Jahr 2023 neben der Entschärfung der kalten Steuerprogression, der Bürgergeldreform und dem Wärme- und Gaspreisdeckel die größten Entlastungen für die Bürgerinnen und Bürger bringen. Bezogen auf das Finanzvolumen stellt die Reform die bedeutendste Stärkung des Wohngelds seit seiner Einführung im Jahr 1965 dar. Nach dem IW-Mikrosimulationsmodell belaufen sich die Mehrausgaben für Bund und Länder auf 3,8 Milliarden Euro. Das ist ein Anstieg um den Faktor 3,7 (von 1,4 Milliarden Euro auf 5,2 Milliarden Euro). Die Anzahl der Wohngeldhaushalte wird von knapp 600.000 auf voraussichtlich 2 Millionen Haushalte steigen (Henger et al., 2022). Das ist ein Anstieg um den Faktor 3,3. Das Wohngeld unterstützt Haushalte bei ihren Wohnkosten. Zentraler Reformbaustein ist, dass ab 2023 nicht nur die Miete und die kalten Nebenkosten bezuschusst werden, sondern auch die Heizkosten. Zusammen mit den anderen Reformelementen, werden die Neuerungen dazu führen, dass die Wohngeldhaushalte, die bereits vor der Reform wohngeldberechtigt waren, im Jahr 2023 rund doppelt so viel Wohngeld erhalten werden. Erwartet wird ein Anstieg von monatlich 190 Euro auf 370 Euro. Die neuen Haushalte, die vom oberen Einkommensrand ins Wohngeld „hereinwachsen“, werden durchschnittlich 100 Euro Wohngeld erhalten. Der geringere Betrag erklärt sich daraus, dass Haushalte mit höheren Einkommen weniger Wohngeld erhalten, da sich die Höhe des Wohngelds nach der Haushaltsgröße, den Wohnkosten und dem Einkommen berechnet (§ 4 WoGG).
Große zu erwartende Antragsflut
Die deutliche Anhebung der Einkommensgrenzen und des Kreises der anspruchsberechtigten Haushalte wird dazu führen, dass ab Januar eine regelrechte Antragsflut auf die Wohngeldstellen eingehen wird. Auszugehen ist mindestens von einem Anstieg analog der Ausweitung des Empfängerkreises. Nicht auszuschließen ist zudem, dass Haushalte, die bislang von der Beantrag von Wohngeld abgesehen haben, durch die hohen Belastungen bei den allgemeinen Lebenshaltungskosten und der drastischen Preissteigerungen bei den Energiekosten nun einen Wohngeldantrag stellen werden. Dies würde dazu führen, dass die Nichtinanspruchnahmequote, die nach dem IW-Mikrosimulationsmodell bei rund 50 Prozent liegt, sinkt.
Wohngeld muss nach § 22 WoGG beantragt werden, um es zu erhalten. Ein Problem ist in diesem Zusammenhang, dass für einkommensschwache Haushalte nicht klar ist, ob sie Wohngeld überhaupt bekommen, wie hoch die Unterstützung ist, und ob sie nicht im Grundsicherungssystem und dem neuen Bürgergeld eventuelle höhere Leistungen erhalten würden. Das gilt speziell in der aktuellen Umstellungsphase, bei der sich sowohl die Leistungen und Einkommensgrenzen beim Wohngeld und gleichzeitig die Regelsätze und der Kinderzuschlag angehoben werden. Aus Sicht eines Bedürftigen ist es in jedem Fall schwierig, zu beurteilen, ob sich ein Antrag auf Wohngeld überhaupt lohnt. Der vorläufige amtliche Wohngeldrechner 2023 bietet hier eine erste wichtige Orientierung (BMWSB, 2023). Eine rechtsverbindliche Auskunft kann am Ende aber nur die zuständige Wohngeldbehörde geben.
Verwaltungsvereinfachungen
Um einem Antragstau im großen Umfang zu vermeiden, hat die Bundesregierung einige Verwaltungsvereinfachungen beschlossen. So wird der Anrechnungszeitraum für einmalige Einkommen von 36 auf 12 Monate verkürzt (§ 15, Abs. 2/3 WoGG), was die Einkommensprüfung für die Wohngeldstellen vereinfacht. Zudem wird den Wohngeldstellen die Möglichkeit einer vorläufigen Zahlung (§ 26a WoGG) eingeräumt, wenn noch nicht alle Unterlagen von Seiten des Antragstellers vorliegen. Außerdem wurden weitere Vereinfachungen beschlossen, die mittelfristig den Aufwand für die Verwaltung als auch für die Bürger verringern werden. So wird etwa der Bewilligungszeitraum von 12 auf 24 Monate verdoppelt (§ 25 WoGG), sodass bei gleichbleibenden Verhältnissen das Wohngeld erst nach zwei Jahren neu beantragt werden muss. Das betrifft vor allem Rentnerhaushalte, bei denen sich die Einkommenssituation kaum verändert. Zudem wird eine Bagatellgrenze von 50 Euro bei möglichen Rückforderungen eingeführt (§ 30a WoGG), sodass kein Aufwand mehr bei den Wohngeldstellen entsteht, wenn es darum geht, Kleinstbeträge zurückzufordern.
Durch die Verwaltungsvereinfachungen werden die Antragsverfahren insgesamt jedoch nur marginal verbessert. Hinzu kommt, dass durch die vorläufigen Zahlungen ein Mehraufwand entsteht, da dann jeder Antrag zweimal bearbeitet werden muss. Denn zunächst ist eine Entscheidung über die vorläufige Zahlung zu treffen und zu einem späteren Zeitpunkt eine abschließende Entscheidung. Vieles an Kritik aus den Ländern und den Kommunen konnte in der kurzen Zeit zwischen Gesetzesentwurf leider nicht aufgegriffen werden. Die Bearbeitung der Anträge wird durch die Anpassungen insgesamt kaum schneller möglicher sein, zumal die Umstellung der IT in den Wohngeldstellen an die neuen Regelungen in vielen Städten noch nicht abgeschlossen ist.
Überforderte Wohngeldstellen
In Deutschland existieren rund 1.400 Wohngeldbehörden (BBSR, 2013). Die Mehrheit der Wohngeldbehörden sind im Sozialamt organisiert. Es ist aber auch üblich, dass die Wohngeldstellen in anderen Ämtern wie dem Wohnungsamt eingegliedert sind. Jedes Jahr bearbeiten die Wohngeldstellen nach eigenen Berechnungen 2,1 Millionen Wohngeldanträge. Das entspricht 1.500 Anträgen je Wohngeldstelle. Ab nächstem Jahr dürfte sich die Anzahl mindestens entsprechend der Reichweitenausweitung des Wohngelds erhöhen. Die Wohngeldbehörden sind jedoch bereits heute in vielen Kommunen überlastet. Durch die beiden einmaligen Heizkostenzuschüsse ist die Arbeitsbelastung bereits in diesem Jahr spürbar angestiegen. Die durch Corona erhöhten krankheitsbedingen Ausfälle haben die Belastung pro Mitarbeiter weiter erhöht. Die Bearbeitung eines Antrags dauert je nach seiner Komplexität in der Regel zwei bis acht Wochen. Wie eine aktuelle Umfrage des WDR in Nordrhein-Westfalen zeigt, dauert es jedoch in jeder fünften Kommune länger als zwei Monate, in jeder zehnten Kommune sogar länger als drei Monate (WDR, 2022). Das bedeutet, dass etliche Haushalte erst im März/April vom neuen Wohngeld-Plus-Gesetz profitieren können, auch wenn sie einen Antrag zum frühestmöglichen Zeitpunkt 1.1.2023 stellen. Zwar erhalten Bedürftige ab dem Zeitpunkt der Antragstellung rückwirkend Wohngeld ausbezahlt, die Verzögerungen können aber speziell bei Haushalten mit sprunghaft gestiegenen Heizkosten zu finanziellen Problemen führen.
Geplante Maßnahmen der Kommunen
Um die große Zahl an Neuanträgen zu bewältigen, setzen die Wohngeldstellen auf die Schaffung neuer Stellen sowie auf Personal aus anderen Behörden, die kurzfristig die gestiegene Arbeitsbelastung abmildern können. Darüber hinaus versuchen die Wohngeldstellen eine Online-Beantragung einzurichten, die bislang noch nicht in allen Städten und Gemeinden möglich ist. Die Kommunen haben unmittelbar nach Kabinettsbeschluss der Bundesregierung Ende September damit begonnen, neue Stellen auszuschrieben. Anhand einer exklusiven Auswertung lässt sich zeigen, wie umfangreich die Anwerbeversuch ist. Die Daten stammen vom Datenanbieter Textkernel, der Websites von Stellenbörsen, Unternehmen und Personaldienstleister durchsucht und täglich Millionen von Online-Stellenausschreibungen sammelt (Textkernel, 2022). Im Zeitraum vom 1.10. bis zu dem 15.12. sind in dieser Datenbank im Jahr 2021 118 Stellenausschreibungen für Sachbearbeiter mit dem Schwerpunkt Wohngeld zu finden. Im aktuellen Jahr sind es mit 857 gut siebenmal so viele.
Wie schnell die Kommunen diese Stellen besetzen können, ist schwer abzuschätzen. Sicher ist aber, dass viele Stellen noch im Januar und Februar nicht neu besetzt sein werden. Auch darüber hinaus dürften viele Stellen offen bleiben, da viele Kommunen mitteilen, dass sie etliche Stellen befristet ausschreiben, so dass die Attraktivität von Seiten der Interessierten nur gering ist. Vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels sind attraktive Angebote besonders wichtig, um erfolgreich Stellen zu besetzen. Eine zeitnahe Bearbeitung der vielen Anträge wird zudem auch dadurch erschwert, dass viel Personal zum Zeitpunkt der Einstellung häufig noch nicht ausreichend qualifiziert ist und noch eingearbeitet werden muss.
Ausblick
Die Reform wird das Wohngeldsystem nachhaltig stärken. Durch den krisenbedingten schnellen Handlungsbedarf hat die Bundesregierung eine umfassende Wohngeldreform ausgearbeitet und Ende September beschlossen. Das Gesetzgebungsverfahren wurde bis Dezember in sehr großer Geschwindigkeit durchlaufen. Zeit für umfassende Verwaltungsvereinfachung gab es nicht. Die erforderlich rasche Umsetzung der Reform von Seiten der Kommunen und Wohngeldbehörden wird nun schwierig. Ein reibungsloser Start ist nahezu ausgeschlossen. Es bleibt aber die Hoffnung, dass sich die Situation im Frühling verbessern wird. Grund zur Hoffnung machen die Erfahrungen aus den letzten Wohngeldreformen in den Jahren 2016 und 2020. Diese waren zwar nicht so umfangreich, haben aber auch jeweils zu einem sprunghaften Anstieg der Anträge geführt, die insbesondere durch Personalverschiebungen in den Behörden und Samstagsarbeit aufgefangen werden konnten.