Sechs Tage soll der dieswöchige Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) dauern, eine Lösung des Konflikts ist nicht in Sicht. Das weckt schlimme Erinnerungen an dunkelste Klassenkampf-Zeiten. Die Tarifparteien müssen die verhärteten Fronten auflösen.
Ein Streik – an und für sich ist das nichts Außergewöhnliches, viele Gewerkschaften nutzen dieses Instrument, um wirtschaftlichen Schaden anzurichten und den Druck auf den Arbeitgeber zu erhöhen. Doch beim Bahnstreik droht dieses Mal mehr ins Rutschen zu kommen: Der Konflikt zwischen GDL und Deutscher Bahn eskaliert immer weiter, ohne dass überhaupt verhandelt wird. Drei Mal hat die Lokführergewerkschaft seit dem letzten Gang zum Verhandlungstisch bereits gestreikt. Ein gefährliches Prozedere, denn die Tarifpartner rütteln damit gefährlich am Fundament der Sozialpartnerschaft. Für sie bräuchte es Kompromisswilligkeit auf beiden Seiten, ohne sie kann es keine Tarifautonomie geben – damit gerät das deutsche Wirtschaftsmodell in Gefahr.
GDL und Bahn dürfen Polarisierung nicht verstärken
Das Gebaren der Tarifparteien erinnert an die Klassenkämpfe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Auch damals wurde nicht verhandelt, Streiks legten das Land regelmäßig lahm. Die Fronten waren irgendwann so verhärtet, dass der Staat ab 1923 die staatliche Zwangsschlichtung einführte – und schließlich in die Rolle eines Mediators und Schlichters hineinrutschte. Die Folgen sind allseits bekannt: Die Tarifparteien wälzten jegliche Verantwortung auf den Staat ab und fielen als Stabilisatoren in der Krise ab 1929 völlig aus. Angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Polarisierung dürfen wir uns das nicht noch einmal erlauben.
Moderierter Prozess nötig
Aus gutem Grund verbietet die Tarifautonomie es deshalb dem Staat, in solche Konflikte einzugreifen. Politiker müssen sich auf Appelle beschränken. Der Gesetzgeber wird aber nicht umhinkommen, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der dem Ultima-Ratio-Prinzip bei Arbeitskämpfen wieder mehr Geltung verschafft. Der Arbeitskampf ist kein Selbstzweck. Er darf nur das letzte Mittel sein. Die bisweilen geforderte obligatorische Schlichtung würde in diese Richtung zielen. Sie würde den Tarifparteien lediglich vorschreiben, vor einem Arbeitskampf eine Schlichtung zu versuchen. Scheitert sie, wäre ein Streik zulässig.
Unabhängig davon sollten sich die Tarifparteien auf ihre eigentliche Rolle besinnen und Kompromissfähigkeit entwickeln. Die Erfahrung der letzten großen Bahnstreiks lehrt: Ein Moderator kann helfen. Die Deutsche Bahn hatte dies schon im Vorfeld der Verhandlung vorgeschlagen. Der Moderator würde die Parteien zunächst wieder an den Tisch bringen und eine gemeinsame Agenda entwickeln. Auf dieser Basis könnten in einem zweiten Schritt neutrale Schlichter Lösungsvorschläge erarbeiten. Die GDL sollte darauf eingehen.
(c) IW, 24.01.2024