
Sollten die USA ihre finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine dauerhaft einstellen, könnten europäische Staaten die Lücke in vielen Bereichen füllen oder sogar überkompensieren. Eine neue Analyse des Kiel Instituts für Weltwirtschaft zeigt, dass dies insbesondere im finanziellen Bereich mit einem vergleichsweise geringen Mehraufwand möglich wäre. Schwieriger ist der Ersatz der amerikanischen Waffen- und Munitionshilfen, aber auch dort könnte Europa in wichtigen Bereichen liefern. Es gibt derzeit keinen ausreichenden Ersatz für die US-Militäraufklärung.
„Unsere Daten zeigen, dass Europa in der Lage wäre, die US-Hilfen zu großen Teilen zu kompensieren – aber nur, wenn die politischen Entscheidungsträger entschlossen handeln. Bisher bewegt sich Europa hier zu langsam“, sagt Christoph Trebesch, Forschungsdirektor am Kiel Institut für Weltwirtschaft.
Jetzt Policy Brief lesen: Ukraine Hilfen: Europa könnte US-Unterstützung größtenteils ersetzen
Die europäischen Regierungen geben derzeit durchschnittlich nur 0,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr für bilaterale Ukraine-Hilfen aus. Um die US-Unterstützung zu kompensieren, müsste der Beitrag für alle Staaten und die EU-Institutionen auf 0,21 Prozent des BIP steigen – ein Niveau, das baltische und skandinavische Staaten bereits heute deutlich übertreffen.
In absoluten Zahlen bedeutet dies eine Erhöhung der europäischen Hilfen von derzeit 44 Milliarden Euro pro Jahr auf 82 Milliarden Euro. Besonders gefragt wären dabei die EU-Institutionen (Erhöhung von 16 auf 36 Milliarden Euro), Deutschland (von 6 auf mindestens 9 Milliarden Euro), Großbritannien (von 5 auf 6,5 Milliarden Euro), Frankreich (von 1,5 auf 6 Milliarden Euro), Italien (von 0,8 auf 4.5 Milliarden Euro) und Spanien (von 0,5 auf 3 Milliarden Euro).

„Für einzelne Staaten bedeutet das eine deutliche Steigerung ihrer Ukraine-Hilfen, die EU sollte daher Anreize dafür setzen, etwa über einen priorisierten Zugang zu neuen EU-Verteidigungsfonds. Wenn ganz Europa dem Beispiel Dänemark folgen würden und jährlich mehr als 0,5 Prozent des BIP mobilisiert, dann könnten wir die US-Hilfen sogar deutlich überkompensieren“ sagt Trebesch.
Militärische Herausforderung: Produktion ausweiten und Alternativen nutzen
Nimmt man die bisherigen Hilfen als Maßstab, so liegt die größte Abhängigkeit von US-Waffen derzeit bei Raketenartillerie (z.B. HIMARS, 85 % dieser Waffen kamen bisher aus US-Produktion), Munition für Haubitzenartillerie (über 80 % US-Produktion), und Luftverteidigungssysteme mit langer Reichweite (z.B. Patriot, 70 % US-Produktion). In anderen Bereichen, darunter Haubitzen oder Kampfpanzer, stammen die meisten gelieferten Waffensysteme bereits heute aus europäischer Produktion.

Das Ersetzen der US-Militärhilfe stellt eine große Herausforderung dar. Die europäische Industrie müsste dafür ihre Produktion schnell und deutlich hochfahren.
„Europa liefert längst nicht mehr nur aus bestehenden Beständen, sondern ordert die meisten Waffen für die Ukraine mittlerweile direkt bei der Industrie. Dieser Prozess muss durch feste Beschaffungszusagen deutlich beschleunigt werden, insbesondere bei der Munitionsproduktion für Haubitzen“, so Trebesch.
Um den Nachschub von kritischen US-Systemen und deren Munition aufzufangen (insb. HIMARS und Patriots), könnte Europa dazu übergehen, diese auf dem internationalen Markt zu erwerben bzw. vergleichbare Systeme einzukaufen, wie etwa das südkoreanische K239 Chunmoo- oder das israelische PULS-System. Gleichzeitig sollte Europa deutlich mehr in die Produktion und Weiterentwicklung europäischer Alternativen wie das SAMP/T-System investieren.
Des Weiteren könnten europäische Regierungen nach dem „Dänischen Modell“ Waffen direkt in der Ukraine bestellen. Dies gilt insbesondere für Drohnen, für die das Land .eine außerordentlich innovative und produktive Industrie aufgebaut hat.
„Wenn wir in Europa zu langsam vorankommen mit der Waffenproduktion, könnten wir alternativ in der Ukraine selbst investieren. Dabei kann wichtiges Know-how nach Europa zurückfließen.“
Eine der größten verbleibenden Herausforderungen ist laut Analyse der Ersatz der US-Militäraufklärung. Hier fehlen Europa bislang vergleichbare Fähigkeiten, die schnell aufgebaut werden müssten.
IfW Kiel, 13.03.2025