Bruttostundenlöhne und Haushaltsnettoeinkommen sind seit 1995 real deutlich gestiegen – Niedriglohnsektor ist seit 2017 erheblich geschrumpft – Einkommensungleichheit ist aber langfristig gestiegen – Maßnahmen zur besseren Arbeitsmarktintegration von Zugewanderten und gezielteren Qualifizierung von jungen Erwachsenen ohne Berufsbildung notwendig
Die Bruttostundenlöhne in Deutschland sind zwischen 1995 und 2021 inflationsbereinigt um durchschnittlich 16,5 Prozent gestiegen. Im untersten Lohndezil (den zehn Prozent der Beschäftigten mit den niedrigsten Löhnen) stiegen sie seit 2013 besonders stark. Dadurch schrumpft der Niedriglohnsektor deutlich. Die Niedriglohnschwelle liegt im Jahr 2021 bei 13,00 Euro pro Stunde. Die Haushaltsnettoeinkommen haben sich bis zum Jahr 2020 ebenfalls erhöht, durchschnittlich um ein Drittel. Jedoch hat sich die Einkommensungleichheit in den letzten Jahren nicht verringert, weil die oberen Einkommen überproportional gestiegen sind. Dies sind die wichtigsten Ergebnisse einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), die auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) jährlich die Einkommensentwicklung untersucht.
„Der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor ist auf einen Tiefstand der letzten 25 Jahre gefallen“, erklärt Studienautor Markus M. Grabka. Eine der Ursachen hierfür liegt in der Einführung und den schrittweisen Erhöhungen des Mindestlohns. „Aber auch die veränderte Lohnpolitik der Gewerkschaften, die zunehmend auf Mindestzahlungen für untere Lohngruppen setzt, wirkt sich auf den Niedriglohnsektor positiv aus.“ So arbeitete Mitte der 2000er Jahre etwa ein Viertel der Beschäftigten zum Niedriglohn, was auch im internationalen Vergleich viel war. Mit der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober 2022 waren es aber nur noch rund 15 Prozent.
Lohn- und Einkommensentwicklung unterscheidet sich stark nach Dezilen
Trotz der insgesamt positiven Lohnentwicklung fällt der Zuwachs im untersten Lohndezil seit 1995 mit rund sechs Prozent am geringsten aus. In den obersten vier Dezilen legten die Löhne um etwa 20 Prozent zu. In den letzten Jahren ist die Lohnungleichheit aber gesunken und so niedrig wie zuletzt zu Beginn der 2000er Jahre.
Auch bei den Haushaltsnettoeinkommen, die von allen Personen in Privathaushalten – nicht nur von abhängig Beschäftigten – erfasst werden, unterscheiden sich die Erhöhungen seit 1995 stark nach Einkommensgruppen: Die zehn Prozent der niedrigsten Einkommen sind gerade einmal um vier Prozent gestiegen, die höchsten zehn Prozent hingegen um etwa die Hälfte. Dadurch ist die Ungleichheit der Haushaltsnettoeinkommen zunächst zu Beginn der 2000er Jahre stark gestiegen: Der Gini-Koeffizient legte von 0,25 im Jahr 1999 auf knapp 0,29 im Jahr 2007 zu. Unter leichten Schwankungen wird im Jahr 2020 dann ein Wert von 0,3 erreicht.
Großer Anteil an Menschen ist noch von niedrigen Einkommen betroffen
Aktuell ist etwa jeder Sechster in Deutschland von niedrigen Einkommen betroffen. „Hier sollte die Politik nachsteuern“, empfiehlt Markus M. Grabka. So müssen Zugewanderte besser und schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden. Ihr Anteil im untersten Einkommensdezil hat sich in den vergangenen 30 Jahren mehr als verdoppelt. Es braucht eine gezieltere Förderung der Sprachkenntnisse für Zugewanderte sowie einen Abbau von administrativen Hürden für ihren Jobeinstieg. Zudem müssen junge Erwachsene ohne Berufsabschluss gezielt qualifiziert werden, da sie vielfach dauerhaft von Armut bedroht sind. Außerdem sollte die Kindergrundsicherung zügig eingeführt werden. „Die Niedrigeinkommensquote ist unter Kindern und Jugendlichen überdurchschnittlich hoch. Die Kindergrundsicherung kann die Kinderarmut reduzieren“, so Markus M. Grabka. „Zu bedenken ist jedoch, dass sie die Ursachen für die schlechte finanzielle Lage der Familien nicht beheben wird.“ Die finanzielle Lage der Privathaushalte insgesamt wird maßgeblich durch die weiterhin überdurchschnittliche Inflation beeinflusst. Eine Verbesserung ist auch davon abhängig, inwiefern die Gewerkschaften in der Lage sind, Lohnabschlüsse über der aktuellen Preissteigerung zu verhandeln. Denn die Löhne sind weiterhin die wichtigste Einkommensart in Deutschland.
(c) DIW, 31.01.2024