Am 28. September 2023 fand die Tagung des Arbeitskreises Kartellrecht statt. Auf Einladung des Bundeskartellamtes beteiligten sich über 100 Wettbewerbsexpertinnen und -experten an der Diskussion und dem Gedankenaustausch zum Thema „Leitlinien zu Artikel 102 AEUV – Neue Maßstäbe für die Missbrauchsaufsicht“.
Der Arbeitskreis setzt sich zusammen aus zahlreichen Professorinnen und Professoren rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Fakultäten, hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern nationaler und europäischer Wettbewerbsbehörden und Ministerien sowie Richterinnen und Richtern der Kartellsenate beim Oberlandesgericht Düsseldorf und beim Bundesgerichtshof. Seit über 50 Jahren finden in diesem Rahmen jährliche Konferenzen zu grundsätzlichen wettbewerbspolitischen Themen statt.
Geleitet wurde die Tagung von Prof. Dr. Konrad Ost, Vizepräsident des Bundeskartellamtes.
Prof. Dr. Ost: „Es ist zentrale Aufgabe der Kartellbehörden, den Missbrauch privater wirtschaftlicher Macht zu bekämpfen. In der Vergangenheit zeigte sich insbesondere auf europäischer Ebene, dass die Missbrauchsverfahren zu hohen Anforderungen unterliegen, um praktisch ausreichend wirksam zu sein. Der potenzielle gesamtgesellschaftliche Schaden, der mit einer unzureichenden Durchsetzung des Missbrauchsverbots einhergeht, kann erheblich sein. Die Europäische Kommission hat Anfang des Jahres eine Initiative zur Erarbeitung von Leitlinien zur Anwendung von Artikel 102 AEUV gestartet. In diesen Prozess wird sich das Bundeskartellamt mit der Erfahrung seiner Fallpraxis einbringen. Bei der Erarbeitung von Leitlinien zur Missbrauchsaufsicht muss die Praktikabilität eine zentrale Rolle spielen. Die Erfahrungen mit der deutschen Missbrauchsaufsicht können maßgebliche Impulse für die europäische Diskussion setzen.“
Der Arbeitskreis Kartellrecht hat sich insbesondere mit den über die Jahre steigenden Nachweisanforderungen bei Missbrauchsverfahren nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) befasst. Zunächst wurde grundsätzlich thematisiert, unter welchen Voraussetzungen Eingriffe in die Freiheitsrechte marktbeherrschender Unternehmen erleichtert werden sollten. Es wurde diskutiert, mit welchen Ansätzen man die ausufernde Länge und Komplexität der Missbrauchsverfahren reduzieren kann. Dabei wurden einerseits wertende Ansätze (z.B. Nachweis einer Verdrängungsstrategie, Verhältnismäßigkeitsprüfung) und auf Datenanalyse aufbauende Tests vorgestellt. Dabei ging es auch um die Rolle und den Beweiswert des sog. „as efficient competitor“-Tests. Mit dem Test wird untersucht, ob Märkte für einen ebenso effizienten Wettbewerber bestreitbar sind oder sie durch das Verhalten eines Marktbeherrschers ausgeschlossen werden.
Eröffnet wurde die Veranstaltung durch eine Podiumsdiskussion. In diesem Rahmen stellte die stv. Generaldirektorin der Generaldirektion Wettbewerb, Linsey McCallum, die Initiative der Europäischen Kommission zur Erarbeitung von Leitlinien zur Anwendung von Artikel 102 AEUV vor. Prof.‘in Dr. Heike Schweitzer (Humboldt-Universität Berlin) und Prof. Dr. Roman Inderst (Goethe Universität Frankfurt) beleuchteten die Anwendung von Art. 102 AEUV in den vergangenen 15 Jahren aus juristischer und ökonomischer Sicht. Prof. Dr. Martin Peitz (Universität Mannheim) ging auf Selbstbevorzugung als mögliche Schadenstheorie in der Missbrauchsaufsicht ein. Prof. Dr. Florian Wagner-von Papp (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) betrachtete die Relevanz ebenso effizienter Wettbewerber für die Missbrauchsaufsicht.
Das Arbeitspapier zu der Tagung sowie einzelne Vorträge der Teilnehmer (sobald verfügbar) können auf der Internetseite des Bundeskartellamtes abgerufen werden.
(c) Bundeskartellamt, 29.09.2023