Der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, hat heute die Broschüre „Jahresbericht 2022/23“ der Behörde vorgestellt.
Wettbewerbsschutz in bewegten Zeiten
Andreas Mundt: „Bei allen Krisen bleibt die ordnungspolitische und verbraucherorientierte Ausrichtung des Bundeskartellamtes unverändert. Die Pandemie liegt hinter uns, aber die Auswirkungen des furchtbaren russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind überall spürbar. Wir geben Orientierung, wenn Unternehmen nach Wegen suchen, um zur Krisenbewältigung zu kooperieren. Das Kartellrecht ist hinreichend flexibel, um Zusammenarbeit zu ermöglichen, selbst wenn sie unter normalen Umständen wettbewerblich schwierig wäre. Im Gegensatz dazu gibt es keine Rechtfertigung für Verstöße gegen das Kartellrecht. Besonders in Zeiten von Inflation mit großen Belastungen für Verbraucherinnen und Verbrauchern verfolgen wir wettbewerbswidrige Praktiken mit aller Konsequenz. Hierbei sind wir sehr erfolgreich – auf und unter dem Radar.“
Missbrauchsaufsicht / Digitalwirtschaft
Im Bereich der allgemeinen Missbrauchsaufsicht stand im vergangenen Jahr die Verkehrsbranche im Fokus. Im Juni 2023 hat das Bundeskartellamt der Deutsche Bahn aufgegeben, bestimmte Verhaltensweisen und Vertragsklauseln gegenüber Mobilitätsplattformen zu ändern (s. Pressemitteilung vom 28. Juni 2023). In einem Verfahren gegen die Lufthansa wurde der Zugang von Condor zu Zubringerflügen gesichert (beide Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig).
Die digitale Wirtschaft ist für das Bundeskartellamt nach wie vor ein zentraler Arbeitsbereich. Im vergangenen Jahr wurden wiederum zahlreiche Verfahren im Bereich der erweiterten Missbrauchsaufsicht über Digitalkonzerne geführt. Verfahren gegen Amazon, Apple, Google / Alphabet, Meta / Facebook sowie Microsoft laufen und sind zum Teil schon abgeschlossen.
Daneben wurde im vergangenen Jahr die Sektoruntersuchung zur nicht-suchgebundenen Online-Werbung abgeschlossen und neue Verfahren eingeleitet (etwa gegen PayPal, s. Pressemitteilung vom 23. Januar 2023).
Andreas Mundt: „Eine schnelle und effektive Rechtsdurchsetzung ist in der Digitalwirtschaft wichtig. Seit 2021 können wir durch eine Erweiterung unserer Befugnisse große Digitalkonzerne besser kontrollieren. Erste greifbare Verbesserungen haben wir schon erwirkt, weitere werden zeitnah folgen. In der Digitalwirtschaft sind Zugang zu Daten und Marktmacht eng verknüpft. Das kürzlich ergangene richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu unserem Facebook-Fall aus 2019 bedeutet für unseren Ansatz starken Rückenwind. Damals hatten wir Facebook insbesondere untersagt, Nutzerdaten ohne deren Einwilligung aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen. Das Gericht stellt jetzt klar, dass Datenschutzregeln auch von Wettbewerbsbehörden im Rahmen von Missbrauchsverfahren geprüft werden können. Wir können kontrollieren, ob die Nutzung der sehr persönlichen Daten der Verbraucherinnen und Verbraucher durch die Internetkonzerne im kartellrechtlichen Sinne missbräuchlich ist.“
Auf europäischer Ebene ist mit dem Digital Markets Act (DMA) ein neues Instrument zur Regulierung großer Onlineplattformen in Kraft getreten. Das Bundeskartellamt arbeitet mit der EU-Kommission als zuständiger Durchsetzungsbehörde eng zusammen. Die nationalenWettbewerbsregeln, insbesondere der §19a GWB, bleiben anwendbar und werden den DMA komplementär ergänzen.
Kartellverfolgung
2022 hat das Bundeskartellamt rund 24 Mio. Euro Bußgeld gegen insgesamt 20 Unternehmen und sieben natürliche Personen verhängt. Betroffen waren Branchen wie Brückendehnfugen oder der Industriebau. Im ersten Halbjahr 2023 wurden bislang Bußgelder in Höhe von knapp 200.000 Euro im Straßenbau verhängt, wobei erwartet wird, dass diese Zahl noch deutlich steigt.
Andreas Mundt: „Zwar bleibt die Zahl der verhängten Bußgelder im Jahr 2022 als Folge vor allem der Pandemie hinter der Zahl der Vorjahre zurück, aber jetzt läuft die Kartellverfolgung wieder auf Hochtouren. Wir haben in 2022 mit 18 Aktionen die größte Zahl an Durchsuchungen seit Jahren. Auch das erste Halbjahr 2023 verläuft vielversprechend.“
Insgesamt hat das Bundeskartellamt im Jahr 2022 zwölf eigene und sechs weitere Durchsuchungen im Wege der Amtshilfe durchgeführt. Im ersten Halbjahr 2023 liegt die Zahl der Durchsuchungsaktionen bisher bei sechs (davon zwei als Amtshilfe). Zum Vergleich: In 2021 konnten pandemiebedingt lediglich zwei Durchsuchungsaktionen durchgeführt werden.
Fusionskontrolle
Das Bundeskartellamt hat 2022 rund 800 Fusionen geprüft. Davon wurden acht Zusammenschlüsse in der sogenannten zweiten Phase vertieft geprüft. Eine Fusion im Bereich Oberflächenentwässerung wurde untersagt. Zwei weitere, die Übernahme von OMV-Tankstellen durch EG Group (Esso) und die Verbindung von Rheinenergie und Westenergie (E.ON), wurden nur unter Auflagen freigegeben. In zwei weiteren Fällen haben die beteiligten Unternehmen das Vorhaben während der laufenden Prüfung aufgegeben.
Im laufenden Jahr 2023 hat das Bundeskartellamt die Übernahme von Teilen des Molkereigeschäfts von Friesland Campina durch Theo Müller nur unter Auflagen freigegeben und drei weitere Hauptprüfverfahren eingeleitet
Andreas Mundt: „In konzentrierten Märkten ist Preissetzungsmacht leichter durchzusetzen. Die Fusionskontrolle ist das einzige Instrument, um dem präventiv Grenzen zu setzen. Darüber hinaus entfaltet die Fusionskontrolle eine beachtliche Vorfeldwirkung im Hinblick auf Zusammenschlüsse, die wegen der zu erwartenden kartellrechtlichen Hürden gar nicht erst angemeldet werden. Im Hinblick darauf und auf die rückläufige Zahl der Anmeldungen erscheinen die derzeitigen Umsatzschwellen als angemessen, und nach der 2021 erfolgten Anhebung der Anmeldeschwellen wäre eine weitere Anhebung für eine wirksame Fusionskontrolle schädlich.“
Kraftstoffpreise
Das Bundeskartellamt hat seine fortlaufende Beobachtung der Kraftstoffpreise an den rund 15.000 Tankstellen in Deutschland durch die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe weiter intensiviert. Im Herbst vergangenen Jahres wurden erste Ergebnisse der Untersuchung der Raffinerie- und Großhandelsebene vorgestellt.
Andreas Mundt: „Unsere andauernde Untersuchung zu Raffinerien liefert erste Erkenntnisse, was zwischen Rohöleinkauf und dem Verkauf an der Tankstelle eigentlich passiert. Wir sehen nach wie vor strukturelle Probleme im Markt, wie zum Beispiel die Tatsache, dass viele Gesellschaften vom Bohrloch bis zum Zapfhahn auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette aktiv sind und dass eine hohe Markttransparenz auch auf der Raffinerie- und Großhandelsebene existiert. Auf dieser Grundlage werden wir unsere Untersuchung zur Preisgestaltung, Kosten und tatsächlichen Gewinnmargen weiter vorantreiben. Parallel betreiben wir ein durchgehendendes Monitoring der Tankstellenpreise und sorgen für bestmögliche Transparenz im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher.“
Energiepreisbremsen
Anfang des Jahres hat das Bundeskartellamt die Missbrauchsaufsicht über die Energiepreisbremsen für Strom, Gas und Fernwärme übernommen. Die Missbrauchsverbote der Preisbremsen-Gesetze verbieten eine Preisgestaltung gegenüber den Letztverbraucherinnen und Letztverbrauchern, die zur Erlangung ungerechtfertigter staatlicher Entlastungsbeträge führt.
Andreas Mundt: „Die Missbrauchsaufsicht über die Energiepreisbremsen ist komplex. Der Staat stellt gewaltige Entlastungsbeträge zur Verfügung und unsere Aufgabe besteht darin, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vor Ausbeutung zu schützen. Wir haben Anfang des Jahres direkt mit der Umsetzung begonnen. Mittlerweile laufen drei Tranchen von Prüfverfahren bei Gas, Fernwärme und Strom.“
Zur Umsetzung der Missbrauchsverbote werden sämtliche Antragsdaten von Versorgern ausgewertet. Sollten auf der Basis von Prüfverfahren Verstöße festgestellt werden – insbesondere, wenn aufgerufene Verbraucherpreise sachlich nicht gerechtfertigt sind – müssen unrechtmäßig erlangte Ausgleichzahlungen an die Bundesrepublik Deutschland zurückgezahlt werden. Auch die Verhängung von Geldbußen ist möglich.
Wettbewerbsregister
Seit über einem Jahr ist das Wettbewerbsregister in vollem Betrieb. Das voll-elektronische Register stellt allen öffentlichen Auftraggebern, Sektorenauftraggebern und Konzessionsgebern in Deutschland Informationen darüber zur Verfügung, ob ein Unternehmen wegen begangener Wirtschaftsdelikte von einem öffentlichen Vergabeverfahren auszuschließen ist oder ausgeschlossen werden kann.
GWB-Novelle
Am 6. Juli 2023 hat der Bundestag die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beschlossen. Durch das Gesetz sollen u.a. Sektoruntersuchungen gestärkt, die Vorteilsabschöpfung effektiviert und die Möglichkeit der Anordnung einer Anmeldepflicht von Fusionen unterhalb der Aufgreifschwellen verbessert werden. Der Kern der Novelle sind neue Befugnisse zur Abstellung einer festgestellten erheblichen Wettbewerbsstörung bis hin zur ultima ratio einer missbrauchsunabhängigen Entflechtung. Das Bundeskartellamt hat zu der Novelle eine Stellungnahme veröffentlicht.
Andreas Mundt: „Die neuen Eingriffsmöglichkeiten können dazu beitragen, Wettbewerb und Innovationen auf verkrusteten oder vermachteten Märkten wieder zu ermöglichen. Mit der Anwendung der Vorschriften werden wir uns auf neues Terrain begeben, mit vielen zusätzlichen Rechtsfragen. Das Verfahren ist sehr komplex, bietet den betroffenen Unternehmen umfangreiche Rechtsschutzmöglichkeiten und unterliegt sehr hohen Nachweisanforderungen. Solche Verfahren sind sehr aufwändig und werden wohl Jahre dauern. Wir hoffen, dass wir dafür die notwendigen Ressourcen erhalten.“
Für die laufende Legislatur ist auch ein Entwurf einer 12. GWB-Novelle angekündigt, der die Stärkung des Verbraucherschutzes besonders in den Blick nehmen soll.
Die Broschüre „Jahresbericht 2022/23“ gibt Ihnen einen anschaulichen Überblick über die Aktivitäten des Amtes im Zeitraum Mitte 2022 bis Mai 2023.
(c) Bundeskartellamt, 11.07.2023