Wenn staatliche Maßnahmen gesundheitliche Schäden nach sich ziehen, beschäftigt dies unter anderem auch die Sozialgerichte. So sind etwa Rechtsstreitigkeiten über Versorgungsansprüche aufgrund von Impfschäden und bestimmter anderer Prophylaxemaßnahmen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen. Zu diesen Versorgungsansprüchen zählen die Fälle mehrerer tausend Frauen, die in den Jahren 1978 und 1979 in der DDR im Rahmen der sogenannten Anti-D-Immunprophylaxe durch verunreinigtes Immunglobulin eine Hepatitisinfektion erlitten. Mit der Anti-D-Immunprophylaxe sollte und soll die Bildung von Antikörpern im Blut einer Mutter während und nach der Schwangerschaft verhindert werden, wenn deren Blut keinen Rhesus-Faktor aufweist und das Kind Rhesus-positiv ist. Denn diese Antikörper könnten bei einer Folgeschwangerschaft zu schweren Komplikationen führen. Die Kompensation der durch den sogenannten Anti-D-Skandal eingetretenen Schäden erfolgt durch das Anti-D-Hilfegesetz (AntiDHG), das unter anderem eine monatliche Rente vorsieht. Die Höhe der Rente bemisst sich dabei nach dem sogenannten Grad der Schädigungsfolgen (GdS). Der in Zehnerschritten auf einer von Null bis 100 reichenden Skala angegebene GdS soll die Auswirkungen der Hepatitisinfektion und der daraus resultierenden weiteren Gesundheitsstörungen abbilden.
Einen derartigen Fall hatte aktuell der 6. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG) zu entscheiden. Die dortige Klägerin erhielt nach dem AntiDHG eine Rente nach einem GdS von 40 wegen einer Hepatitis-C-Infektion mit geringer Aktivität sowie einer Vitiligo und einer Alopezie (Weißfleckenkrankheit und Haarausfall) als weiteren Schädigungsfolgen. Die Klägerin machte nunmehr geltend, dass ihr GdS zwischenzeitlich mit 60 zu bemessen sei, da nach einer neuen antiviralen Therapie – welche zu einer kompletten Remission der Hepatitis-C-Infektion geführt hatte – Geruchshalluzinationen hinzugekommen seien und sich ihre Beschwerden verschlimmert sowie psychische Beeinträchtigungen verursacht hätten. Eine behandelnde Ärztin, die in erster Instanz auch als sachverständige Zeugin befragt wurde, bescheinigte der Klägerin, dass es bei dieser aufgrund von Entzündungen der Haut zu einem verstärkten Juckreiz und einem Gefühl des Unwohlseins gekommen sei, was zu einem sozialen Rückzug, Lustlosigkeit und Selbstabwertung führe. Es habe sich nun zusätzlich, bedingt durch die fehlende Anerkennung durch den Beklagten, eine Verbitterungsstörung entwickelt.
Die Klägerin blieb mit ihrem Begehren vor dem Landessozialgericht erfolglos. Insbesondere aufgrund der Verbesserung der Hepatitis-C-Infektion kam nach den medizinischen Ermittlungen ein höherer GdS nicht in Betracht. Soweit psychische Beeinträchtigungen der Klägerin zumindest teilweise auf die Hepatitis-C-Infektion und deren Folgen zurückgeführt werden konnten, führten diese im Ergebnis nicht zu einer Erhöhung des GdS. Für die bei der Klägerin diagnostizierte Verbitterungsstörung als Sonderform der Verbitterungsreaktion aufgrund der – nach Ansicht der Klägerin – unberechtigten Verweigerung der Anerkennung ihrer Schädigungsfolgen durch den Beklagten fehlte es schon an einer reellen Grundlage. Jedenfalls war die Verbitterungsstörung aber nicht rechtlich ursächlich auf die vom AntiDHG erfasste Schädigung zurückzuführen. Sie resultiert nicht unmittelbar aus der Hepatitis-C-Infektion und ist auch nicht mittelbar durch diese verursacht worden. Vielmehr beruht sie auf der eigenverantwortlichen, den Zurechnungszusammenhang unterbrechenden Entscheidung des Beklagten, die sich zudem zur Überzeugung des zuständigen Senats, wie auch des in erster Instanz entscheidenden Sozialgerichts Freiburg, als rechtmäßig erwiesen hat. Das Nichtdurchdringen selbst mit einem berechtigten Begehren gegenüber einem Sozialleistungsträger ist ein allgemeines Lebensrisiko und nicht vom Schutzzweck des sozialen Entschädigungsrechts, damit auch nicht vom AntiDHG, umfasst. Das soziale Entschädigungsrecht beinhaltet keine Anspruchsgrundlage für die Entschädigung von jeglichen Folgen exekutiven Unrechts.
Urteil vom 25. Mai 2023 – L 6 VM 3577/21 –
(c) LSG Baden-Württemberg, 25.07.2023