Heftig umstritten und nur mit großen Kompromissen wurde im Januar 2023 das Bürgergeld eingeführt, das das Arbeitslosengeld II (Hartz IV) ersetzt. Doch wie bewerten die Jobcenter ein Jahr später die Umsetzung in der Praxis? Für eine aktuelle Studie unter Beteiligung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) wurden im Januar und Februar 2024 Beschäftigte in sieben Jobcentern in Nordrhein-Westfalen befragt. Demnach sieht jede*r fünfte Jobcenterbeschäftigte im Bürgergeld eine Verbesserung, ungefähr die Hälfte allerdings eine Verschlechterung. Rund 60 Prozent der Befragten bezweifeln, dass die neuen Regeln die Leistungsberechtigten ausreichend motivieren, sich eine neue Stelle zu suchen.
„Zu den wenig positiven Bewertungen können neben der Ausgestaltung des Bürgergelds auch die verschlechterte wirtschaftliche Lage in Deutschland oder die zunehmend aufgeladene Stimmung gegen Bürgergeldbeziehende geführt haben“, gibt Studienautor Jürgen Schupp zu bedenken, der zusammen mit Fabian Beckmann von der Universität Duisburg-Essen, Rolf G. Heinze von der Universität Bochum und Dominik Schad, Kreisdirektor in Recklinghausen, die Studie erstellt hat. „Damit ist aber noch nicht gesagt, dass das Bürgergeld nicht seine Aufgabe erfüllt, nämlich die Erwerbsintegration von Leistungsberechtigten zu verbessern. Ob das gelingt, muss die weitergehende und langfristige Forschung zeigen.“
78 Prozent befürworten verbessertes Coaching für Langzeitarbeitslose
Konkret zeigt die Befragung, dass 73 Prozent der Jobcenterbeschäftigten vor allem die neue Sanktionspraxis ablehnen. Auch die höheren Freibeträge beim Schonvermögen und die höheren Regelsätze für Erwachsene stoßen mehrheitlich nicht auf Zustimmung. Ein höherer Regelsatz für Kinder wird hingegen von der Mehrheit der Jobcenterbeschäftigten positiv bewertet. Große Zustimmung findet ebenfalls das verbesserte Coaching-Angebot Langzeitarbeitsloser, das mehr als drei Viertel der Befragten beibehalten wollen.
Auch wenn die Ergebnisse nicht repräsentativ sind, können die Befunde einen ersten Puzzlestein darstellen, um eine empirische Aussage zu den Auswirkungen der Bürgergeldreform zu treffen. „Für ein umfassendes evidenzbasiertes Urteil sollten vor allem die Ergebnisse des auf mehrere Jahre angelegten Evaluationsprogramms des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) abgewartet werden“, empfiehlt Schupp. Reformen des Bürgergelds oder gar neue Konzepte – wie im März das der CDU – sollten nicht vorher in die Debatte geworfen werden und aus politischem Kalkül die Stimmung gegen Bürgergeldbeziehende weiter anheizen. „Gefragt ist jetzt eine politische Kommunikation, die die Debatte versachlicht, pragmatisch über die Bedarfslagen und Ansprüche aufklärt und die Umbauprozesse erklärt“, fordert Schupp.
(c) DIW, 24.04.2024