Die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg hat mit Beschluss vom 27. Oktober 2022 (5 B 3146/22) dem Antrag des Freundeskreises freilebender Wölfe e.V. auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stattgegeben.
Das Land Niedersachsen, in diesem Fall handelnd durch den Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), hat mit Ausnahmegenehmigung vom 14. September 2022 die zielgerichtete letale Entnahme, d.h. den Abschuss, des Individuums GW2888m der streng geschützten Tierart Wolf aus dem Rudel „Friedeburg“ genehmigt. Gegen diese Ausnahmegenehmigung hat der Freundeskreis freilebender Wölfe e.V. Widerspruch eingelegt. Das Gericht hat mit dem o.g. Beschluss die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt, weil sich die angefochtene Ausnahmegenehmigung bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig erweist. Der Abschuss von Wölfen auf Grundlage der Genehmigung ist damit zunächst nicht möglich.
Der Antragsgegner hat die streitgegenständliche Ausnahmegenehmigung zwar auf das Wolfsindividuum GW2888m bezogen, dem verschiedene Nutztierrisse zugeordnet werden konnten. Zugleich hat er aber in einer Nebenbestimmung gestattet, dass eine Identifizierung des Wolfsindividuums GW2888m über den engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die zugeordneten Rissereignisse erfolgen kann, solange das Wolfsindividuum GW2888m nicht anhand besonderer leicht erkennbarer äußerer Merkmale (etwa eine besondere Fellzeichnung) identifiziert werden kann. Durch diese Regelung wird auch der Abschuss anderer Wölfe aus dem „Friedeburger“ Rudel als das Wolfsindividuum GW 2888m ermöglicht.
Gestützt hat der Antragsgegner diese Nebenbestimmungen auf die Regelung des § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG, wonach im Umgang mit dem Wolf § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG mit der Maßgabe gilt, dass, wenn Schäden bei Nutztierrissen keinem bestimmten Wolf eines Rudels zugeordnet worden sind, der Abschuss von einzelnen Mitgliedern des Wolfsrudels in engem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit bereits eingetretenen Rissereignissen auch ohne Zuordnung der Schäden zu einem bestimmten Einzeltier bis zum Ausbleiben von Schäden fortgeführt werden darf.
Der Antragsgegner hat insoweit auf die Gesetzesbegründung verwiesen, wonach die Regelung auch den Fall erfassen soll, dass einem oder mehreren Wölfen Nutztierrisse eindeutig genetisch zugeordnet werden können, sich eine gezielte Tötung aber schwierig gestaltet, weil der jeweilige Wolf wegen des Fehlens besonderer, leicht erkennbarer äußerer Merkmale (zum Beispiel eine besondere Fellzeichnung) nicht in der Landschaft erkannt und von anderen Wolfsindividuen unterschieden werden könne.
Nach Auffassung des Gerichts hat der NLWKN hiermit den Anwendungsbereich des § 45a Abs. 2 Satz 1 BNatSchG in unzulässiger Weise erweitert, da dieser von seinem Wortlaut her nur anwendbar ist, wenn Nutztierrisse – anders als hier – keinem konkreten Wolf aus einem Rudel zugeordnet werden können.
Nach Auffassung der Kammer sind die Regelungen des § 45 Abs. 7 Satz 1 BNatschG als Ausnahmevorschrift vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG und (erst recht) auch die hierzu ergangene Vollzugsregelung in § 45a Abs. 2 BNatSchG aufgrund europarechtlicher Vorgaben restriktiv auszulegen und anzuwenden. Eine erweiternde Auslegung dieser Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus ist nach Auffassung der Kammer trotz der gegenteiligen amtlichen Begründung deshalb rechtlich nicht zulässig. Der Beschluss ist nicht rechtskräftig. Der NLWKN kann Beschwerde beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht einlegen.
Quelle: Verwaltungsgericht Oldenburg, Pressemitteilung vom 28. Oktober 2022