Nach einem jetzt veröffentlichten Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe kommt eine Kindeswohlgefährdung in Betracht, wenn Eltern – erst wegen der Corona-Maßnahmen, dann wegen einer bevorzugten häuslichen Beschulung – den Schulbesuch ihres Kindes verweigern. In der Folge kann das Sorgerecht der Eltern eingeschränkt und dem Jugendamt die Umsetzung der Schulpflicht übertragen werden.

 

Zur Entscheidung kam der Fall eines Grundschülers, der im September 2021 im Alter von knapp sieben Jahren als Erstklässler eingeschult wurde, aber bis zum Ende des Schuljahrs im Sommer 2022 zu keinem einzigen Schultag erschienen war. 

 

Den fehlenden Schulbesuch erklärten die Eltern zunächst mit Test- und Maskenpflichten wegen der im Schuljahr 2021/2022 geltenden Corona-Maßnahmen und der angeblichen Gefahr einer Zwangsimpfung durch die Schule. Das daraufhin von der Schule eingeschaltete Jugendamt und ein vom Familiengericht eingesetzter Verfahrensbeistand scheiterten mit Gesprächs- und Vermittlungsangeboten. Nachdem die schulbezogenen Corona-Maßnahmen geendet hatten, erklärten die Eltern den weiterhin fehlenden Schulbesuch schließlich damit, dass ihr Sohn sich durch das „Freilernen im Homeschooling“ „toll“ entfalten könne. Er habe den Wunsch, dies so weiterzuführen. Sein Bildungsstand könne jederzeit überprüft werden.

 

Das Familiengericht Offenburg erteilte den Eltern das Gebot, für eine regelmäßige Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen. Gegen diese Entscheidung legten die Eltern – unter Verweis auf die ihrer Meinung nach gesundheitsschädigende Maskenpflicht – Beschwerde ein.

 

Das Oberlandesgericht Karlsruhe, das über die Beschwerde der Eltern zu entscheiden hatte, hat im Interesse des Kindes im Wege einer einstweiligen Anordnung die Entscheidung des Familiengerichts Offenburg verschärft und den Eltern – in Bezug auf die schulischen Angelegenheiten – das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihren Sohn vorläufig entzogen. Die hiermit zusammenhängenden Aufgaben sind auf das zuständige Jugendamt übertragen worden.

 

Zur Begründung dieser weitreichenden Maßnahme hat der zuständige 5. Senat für Familiensachen mit Sitz in Freiburg ausgeführt, dass Anhaltspunkte für eine erhebliche Kindeswohlgefährdung bestünden. Die allgemeine Schulpflicht ziele nicht nur auf die Vermittlung von Wissen und sozialen Fertigkeiten ab, die möglicherweise auch im familiären Rahmen erlernt werden könnten. Vielmehr diene die Schulpflicht auch dem staatlichen Erziehungsauftrag und den dahinterstehenden Gemeinwohlinteressen. Vorliegend seien die Corona-Maßnahmen längst nicht mehr der Grund für den fehlenden Schulbesuch. Stattdessen setzten die Eltern ihre eigene Einschätzung über die Bedeutung der Schulpflicht einfach an die Stelle der gesetzgeberischen Entscheidung. Durch dieses elterliche Verhalten werde nicht nur die Entwicklung des Kindes zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch dessen gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft gefährdet.

 

Soweit die Eltern darauf hingewiesen hätten, dass es dem Willen ihres Sohnes entspreche, zu Hause beschult zu werden, spiele dies keine Rolle. Denn eine so weitreichende und weichenstellende Entscheidung wie die Frage der Beschulung könne nicht dem Willen eines siebenjährigen Kindes anvertraut werden, das die damit zusammenhängenden Auswirkungen nicht annähernd überschauen könne.

 

Die ergangene Entscheidung des Oberlandesgerichts ist unanfechtbar.

 

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 25.8.2022, Aktenzeichen: 5 UFH 3/22

Vorinstanz: Amtsgericht – Familiengericht – Offenburg, Beschluss vom 18.5.2022, Aktenzeichen 1 F 334/21

Quelle: Oberlandesgericht Karlsruhe, Pressemitteilung vom 11. Oktober 2022

Cookie Consent mit Real Cookie Banner