Im Rahmen der Veröffentlichung des „Lagebilds Verfassungsschutz 2021“ hat Innenminister Reinhold Jost auf mögliche Auswirkungen aktueller Krisen-Themen auf die Innere Sicherheit im Saarland hingewiesen.
Dabei geht die größte Gefahr für unseren freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat derzeit von Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Delegitimierern aus.
Innenminister Reinhold Jost: „Insbesondere die am 7. Dezember bundesweit durchgeführte Razzia gegen die Reichsbürgerszene liefert dafür ein aussagekräftiges Beispiel. Die Pläne der verhafteten Personen veranschaulichen deutlich, von welcher immensen Bedeutung der Verfassungsschutz und seine Arbeit sind.“
„Prinzipiell ist die demokratisch-politische Grundordnung im Saarland stabil und wird von der großen Mehrheit der Saarländerinnen und Saarländer gestützt. Nichtsdestotrotz existiert – und das belegt besagte Razzia – eine kleine Minderheit, zum Beispiel Extremisten und Verschwörungserzähler, die versuchen, die demokratische Grundordnung unseres Landes zu zersetzen“, so der Minister weiter.
Der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Ministerium für Inneres, Bauen und Sport, Ulrich Pohl, ergänzte: „Dabei nutzen sie die momentan bestehenden Krisen um Untergangsfantasien, Angst und Verunsicherung zu verbreiten und so die Demokratie schließlich zu destabilisieren und angreifbar zu machen.“
Als weitere Beispiele für Themen, die Demokratiefeinde für ihre Zwecke vereinnahmen, nannte Pohl unter anderem den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Entwicklungen der Energie- und Lebenshaltungskosten sowie der Inflation, das Protestgeschehen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen sowie die Folgen des Klimawandels.
Bemerkenswert sei hierbei, dass es den Demokratiefeinden dabei jedoch nicht um die eigentliche Thematik gehe: diese sei nämlich austauschbar. Vielmehr würden aktuelle Themen als Mittel zum Zweck herangezogen, um den Staat, seine Institutionen und seine Repräsentanten zu diffamieren und verächtlich zu machen, mit dem Ziel, das Vertrauen der Bevölkerung in unsere Demokratie nachhaltig zu beschädigen.
Minister Jost: „Die freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit sind im Grundgesetz verankerte wesentliche Elemente unserer freiheitlichen Demokratie und vom Staat zu achten und zu schützen. Es ist diesbezüglich der gesetzliche Auftrag des saarländischen Verfassungsschutzes, Verfassungsfeinde zu erkennen, Informationen über sie zu sammeln und diese zu analysieren. Dabei ist eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Verfassungsfeinden und Menschen, die demokratische Rechte in Anspruch nehmen, wichtig. Besagte Aufgabe hat sich mit der Zeit aber verändert und ist komplizierter geworden.“
Ursache dafür sei eine Entgrenzung des Extremismus, die die Trennlinie zwischen Extremisten und unzufriedenen Bürgerinnen und Bürgern gerade bei Versammlungen und Demonstrationszügen immer unschärfer werden lasse.
Aus diesem Grund hat die Abteilung Verfassungsschutz im Oktober 2021 das neue Beobachtungsobjekt „Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates“ eingerichtet. Dort werden verfassungsschutzrelevante Akteure, die von Bürgerinnen und Bürgern, die ihre demokratischen Freiheitsrechte vollkommen legitim ausüben, zu unterscheiden sind, zugeordnet und nachrichtendienstlich bearbeitet.
Für das Jahr 2021 war weder ein Netzwerk noch eine kollektive Identität zu erkennen, die eine zentrale Steuerung der unterschiedlichen und eher voneinander abgegrenzten Corona-Protestgruppen möglich machen könnten. Allerdings gibt es (ideologische) Schnittmengen für einen gemeinsamen Resonanzboden von Extremisten, Querdenkern, Corona-Leugnern und Impfgegnern. Wegen der Austauschbarkeit der Themen, derer sich die Diffamierer bedienen, können sich zukünftige Proteste gegen jede beliebige staatliche Maßnahme richten, da der Personenkreis aus seiner Position gesehen per se nicht gegen die einzelne Maßnahme kämpft, sondern gegen „das System“. Von einem Anhalten der Aktivitäten bei einer Fortdauer bzw. Wiederaufnahme der Corona-Schutzmaßnahmen ist auszugehen.
Die Ergebnisse des „Lagebilds Verfassungsschutz 2021“ im Detail:
Im Phänomenbereich Rechtsextremismus war 2021 die Corona-Thematik ein bestimmender Faktor. Staatliches Handeln wurde von den Akteuren heftig kritisiert, staatliche Maßnahmen diffamiert. Die bereits im vorangegangenen Jahr zu beobachtende Erosion der klassischen organisationsbezogenen Aktivitäten setzte sich fort. Kommunikation, Kommentierungen, Terminierungen, etc. erfolgten in der Hauptsache über soziale Netzwerke, abgeschottete Chatgruppen und Messenger-Dienste wie Telegram. Insbesondere über das Internet wurde versucht, die Verunsicherung von Teilen der Bevölkerung aufzugreifen, um das Vertrauen in die Regierung zu untergraben. Die Zahl der erkannten und vermuteten Rechtsextremisten im Saarland blieb mit 330 Personen auf dem Vorjahresniveau. Davon werden unverändert 20 Personen als gewaltorientiert eingestuft.
Die Zahl der Reichsbürgerist mit 140 ebenfalls gleichgeblieben. In 2021 konnte ein Anstieg an Aktivitäten innerhalb des „Reichsbürgerspektrums“ verzeichnet werden, was sich insbesondere durch Widersprüche gegen behördliche Entscheidungen äußerte. Wie bereits im Vorjahr stellten jedoch auch die staatlichen Corona-Maßnahmen einen Agitationsschwerpunkt dar und führten zu einer Mobilisierung sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt, so dass insgesamt mit einem Anstieg der Reichsbürger im Saarland zu rechnen ist.
Das Personenpotenzial der dem Beobachtungsbereich Islamismus zugeordneten Organisationen, Gruppierungen und Einzelaktivisten im Saarland belief sich im Jahr 2021 auf insgesamt rund 420 Personen (Vorjahr: ca. 400), wobei die Zahl der Salafisten, die nach wie vor das Gros des islamistischen Personenpotenzials im Saarland stellen, einen Zuwachs von ca. 6 % verzeichnete. Im Saarland wird eine große Mehrheit der Salafisten dem sogenannten „politischen Salafismus“ zugerechnet. Seine Anhänger versuchen mittels Bekehrung und politischer Einflussnahme eine allmähliche Veränderung der Gesellschaft und des politischen Systems in ihrem Sinne zu erreichen. Nur eine kleine Minderheit von rund 10 % wird als gewaltorientiert eingeschätzt. Unter dem Eindruck der Corona-Pandemie ergaben sich kaum Veränderungen des etablierten salafistischen Spektrums.
Deutschland steht unverändert im Zielspektrum islamistischer Terrororganisationen. Im Jahr 2021 konnte ein islamistisch motiviertes Attentat (2020: 3) verzeichnet werden (6. November 2021: Messerattacke eines Syrers im ICE zwischen Regensburg und Nürnberg). Weitere Anschläge konnten durch die sehr gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sicherheitsbehörden vereitelt werden. Die größte Gefahr droht durch hoch ideologisierte und jihadistisch indoktrinierte Einzeltäter und Kleinstgruppen unter Verwendung einfachster Tatmittel, die so eine anhaltend hohe Gefährdungslage für Deutschland aufrechterhalten.
Das Mitgliederpotenzial auslandsbezogen extremistischer Gruppierungen ist im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben (440). Die größte Gruppe stellt weiterhin die in Deutschland seit dem 26. November 1993 mit einem Betätigungsverbot belegte „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) dar. Sie ist im Saarland mit etwa 300 Mitgliedern/Anhängern und einem Mobilisierungspotenzial von rund 1.000 Personen die mitgliederstärkste und auf Grund ihrer Aktivitäten in der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommene Einzelgruppierung. Der Rest des Gesamtmitgliederpotenzials verteilt sich auf Anhänger der türkischen rechtsextremistischen „Ülkücü“-Bewegung und des türkischen linksextremistischen Spektrums. Hiesige Anhänger verfolgten die politischen Entwicklungen in der Türkei, in Syrien und im Nordirak sehr genau. Trotz der staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den Kontaktbeschränkungen fanden 2021 quasi wöchentlich Demonstrationen und Kundgebungen statt. Die Protestaktionen verliefen ausnahmslos friedlich. Die Teilnehmerzahlen erreichten jedoch nicht das Niveau wie vor Beginn der Corona-Pandemie.
Mit Blick auf die anhaltenden türkischen Militäroperationen gegen Stellungen der PKK in den kurdischen Siedlungsgebieten wird das Spannungsverhältnis zwischen türkischen Nationalisten/Rechtsextremisten und PKK-Anhängern allerdings weiterhin hoch eingeschätzt.
Im Saarland haben sich Strukturen und Erscheinungsbild des organisierten und gewaltorientierten Linksextremismus im vergangenen Jahr gegenüber 2020 kaum verändert. Das Gesamtmitgliederpotenzial linksextremistischer Parteien, Organisationen, Gruppierungen und Zusammenschlüsse ist gegenüber dem Vorjahr konstant geblieben. Dem Phänomenbereich Linksextremismus im Saarland sind schätzungsweise noch etwa 335 Personen zuzurechnen. Den Hauptanteil stellt mit ca. 270 Mitgliedern/Anhängern nach wie vor das organisierte linksextremistische Parteienspektrum einschließlich seiner Umfeldorganisationen gegenüber etwa 65 Aktivisten der gewaltorientierten linksextremistischen Szene. Auch im Jahr 2021 war das „übliche Szeneleben“ innerhalb des militanten linksextremistischen Spektrums bundesweit durch die andauernden, flächendeckenden Schutz- und Beschränkungsmaßnahmen infolge der Corona-Pandemie stark eingeschränkt. Dennoch boten Proteste in diesem Zusammenhang bundesweit Anknüpfungspunkte für zahlreiche gewalttätige „antifaschistische“ Übergriffe auf dabei ausgemachte Angehörige der rechtsextremistischen Szene innerhalb des zivilgesellschaftlichen Spektrums von Impfgegnern, Coronaleugnern und Verschwörungserzählern sowie auf die körperliche Unversehrtheit von Sicherheitskräften. Demgegenüber stagnierte im Saarland sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht die Zahl der Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund auf einem im bundesweiten Vergleich ohnehin schon sehr niedrigen Niveau.
Quelle: Ministerium für Inneres, Bauen und Sport des Saarlandes, Pressemitteilung vom 9. Dezember 2022