Justizministerin Barbara Havliza hat heute eine Initiative in den Bundesrat eingebracht, mit der Niedersachsen flexiblere Unterbrechungsmöglichkeiten strafgerichtlicher Hauptverhandlungen erreichen will. Dazu soll der Sachgrund der „höheren Gewalt“ unbefristet in die Strafprozessordnung aufgenommen werden, um Unterbrechungsfristen zu hemmen. Außergewöhnlichen Lagen soll künftig Rechnung getragen werden, zum Beispiel im Falle von Naturkatastrophen oder anderen Seuchen.
Ministerin Havliza: „Die Corona-Pandemie hat uns grundlegend und deutlich vor Augen geführt, dass die gesetzliche Hemmungsfrist bei der Unterbrechung strafgerichtlicher Hauptverhandlungen in bestimmten Fällen zu kurz ist. Die Gefahr, dass unter Umständen aufwändige Hauptverhandlungen ausgesetzt und von Neuem beginnen müssen, ist struktureller Natur und unabhängig von der aktuellen Corona-Pandemie. (…)
Über die Pandemie hinaus haben in der Vergangenheit auch anders gelagerte Ereignisse mit globalen Auswirkungen ein praktisches Regelungsbedürfnis belegt. Ich erinnere zum Beispiel an die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder an den Ausbruch eines isländischen Vulkans im Jahr 2010. All diese Ereignisse hatten zur Folge, dass wichtige Strafverfahren entweder wiederholt werden mussten oder aber zumindest in die Gefahr einer Wiederholung gerieten. (…)
In Anlehnung an die Regelung des § 10 EGStPO erscheint es (…) sachgerecht, den zusätzlichen Hemmungstatbestand um die Fälle der höheren Gewalt nicht mehr von einer Mindestdauer der Hauptverhandlung von zehn Tagen abhängig zu machen. Denn auch unterhalb dieser Grenze ist eine Wiederholung der Hauptverhandlung mit zahlreichen Nachteilen behaftet. Denken Sie etwa an den Umstand, dass Opferzeugen, z. B. missbrauchte Kinder, ihre Aussagen regelmäßig in den ersten Hauptverhandlungstagen machen. Ihnen bliebe durch eine nicht fristgebundene Geltung eine erneute – oft sehr belastende – Aussage erspart.“Zum Verständnis: Grundsätzlich erlaubt die Strafprozessordnung (StPO) nur eine vergleichsweise kurze Unterbrechung einer Hauptverhandlung. Die StPO sieht Unterbrechungen der Hauptverhandlung grundsätzlich bis zu drei Wochen vor, nach zehn Verhandlungstagen bis zu einem Monat – und in klar benannten Fällen (Erkrankung oder Mutterschutz) kann der Zeitraum weiter verlängert werden. Was aber passiert z.B. bei Unterbrechungen aufgrund von Quarantäne-Anordnungen oder „höherer Gewalt“? Die Strafprozessordnung hat hierauf aktuell keine Antwort.
Quelle: Niedersächsisches Justizministerium, Pressemitteilung vom 16. September 2022