Mit einer möglichen Neuregelung der Suizidhilfe beziehungsweise der Sterbebegleitung wird sich am Montag, 28. November 2022, der Rechtsausschuss befassen. Gegenstand der öffentlichen Anhörung sind in einem ersten Teil der Anhörung ab 14 Uhr drei Gesetzentwürfe, die von fraktionsübergreifenden Gruppen (ohne Beteiligung von AfD-Abgeordneten) eingebracht worden sind. In einem zweiten Teil der Anhörung, der um 18 Uhr beginnen soll, befassen sich die Sachverständigen mit dem Thema Suizidprävention. Dazu liegt ein ebenfalls von einer fraktionsübergreifenden Gruppe eingebrachter Antrag vor.

Urteil des Verfassungsgericht: Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben


Mit ihren Gesetzentwürfen reagieren die Abgeordneten auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 26. Februar 2020. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten seinerzeit das am 6. November 2015 vom Bundestag beschlossene und am 10. Dezember desselben Jahres in Kraft getretene Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe für verfassungswidrig erklärt. Die in Paragraf 217 Strafgesetzbuch normierte Regelung hatte sich im Bundestag gegen drei konkurrierende Entwürfe durchgesetzt. Danach konnte sich strafbar machen, wer geschäftsmäßig die Selbsttötung eines anderen fördert. Auf ein kommerzielles Interesse kam es dabei nicht an, als geschäftsmäßig galt ein auf Wiederholung angelegtes Handeln. Die Abgeordneten hatten dabei unter anderem das Wirken von Sterbehilfe-Organisationen im Blick.
Dem Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe hielt das Verfassungsgericht entgegen, dass die Verfassung ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ umfasse und dafür auch Hilfe Dritte in Anspruch zu nehmen. Die Schutzpflicht des Staates für die Autonomie Suizidwilliger sowie für das Leben könne grundsätzlich eine strafrechtliche Regelung des Sachverhaltes rechtfertigen. Allerdings habe die vom Bundestag beschlossene Regelung die Möglichkeiten eines assistierten Suizids so sehr eingeschränkt, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen geschützten Freiheit verbleibe, stellten die Richterinnen und Richter fest.
Vor diesem Hintergrund schlagen alle drei Gesetzentwürfe einen Weg vor, wie Sterbewillige Hilfe zur Selbsttötung in Anspruch nehmen können. Die Entwürfe eint dabei zudem, dass sie auch den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten regeln. Zudem sind in allen Entwürfen Beratungspflichten, wenn auch in stark divergierendem Umfang, vorgesehen, bevor ein tödliches Medikament verschrieben werden darf.


Gruppe Castellucci: Grundsätzliches Verbot mit Ausnahmen
Der wesentliche Unterschied zwischen den Entwürfen ist, wie sie sehr sie das postulierte Recht auf selbstbestimmtes Sterben beziehungsweise die Schutzpflicht für die Autonomie und das Leben betonen. Daraus folgt auch ein unterschiedlicher Bezug zum Strafrecht. Der „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ (20/904) der Gruppe von 85 Abgeordneten aus Reihen aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD um den Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) bezieht sich auf die vom Verfassungsgericht beschriebene Möglichkeit einer strafrechtlichen Regelung und sieht ein grundsätzliches Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe vor. Verstöße sollen mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe geahndet werden können. Nicht rechtswidrig ist die geschäftsmäßige Sterbehilfe danach, wenn bestimmte Voraussetzungen hinsichtlich Beratungspflichten und Wartezeiten erfüllt sind. Konkret sollen Sterbewillige im Regelfall mindestens zwei Untersuchungen durch Fachärztinnen beziehungsweise Fachärzte für Psychiatrie oder Psychotherapie sowie mindestens eine weitere Beratung absolvieren. Zudem ist ein Verbot für die Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung vorgesehen, das sich an das abgeschaffte Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche in Paragraf 219a Strafgesetzbuch anlehnt.


Gruppe Helling-Plahr: Jeder hat das Recht, Hilfe beim Suizid zu leisten
Die Entwürfe der Gruppe um 68 Abgeordnete (20/2332) aus den Reihen von SPD, Grünen, FDP und Linken um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (FDP) sowie der Gruppe von 45 Abgeordneten aus den Reihen von SPD und Grünen (20/2293) um die Abgeordnete Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) eint hingegen, dass ihre Regelungsvorschläge vor allem darauf abzielen, Sterbewilligen Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten zu verschaffen und sich dabei unterstützen zu lassen.
Die Gruppe Helling-Plahr will mit ihrem Entwurf die Suizidhilfe in einem eigenen „Gesetz zur Wahrung und Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende (Suizidhilfegesetz)“ regeln. Danach sollen sich Sterbewillige durch einen Arzt beziehungsweise Ärztin nach Aufklärung ein tödlich wirkendes Medikament verschreiben lassen dürfen. Voraussetzung dafür ist unter anderem eine Beratung durch eine staatliche anerkannte Beratungsstelle, deren Ausgestaltung ebenfalls in dem Entwurf geregelt wird. Festgeschrieben werden soll auch, dass Dritte ein Recht haben, Menschen, die ihr Leben beenden wollen, Hilfe zu leisten und sie bis zum Eintritt des Todes zu begleiten. Zudem soll niemand aufgrund seiner oder ihrer Berufszugehörigkeit untersagt werden dürfen, diese Hilfe beziehungsweise Begleitung zu leisten. Wie die Abgeordneten ausführen, sollen damit gegenläufige Regelungen in den berufsständischen Ordnungen der Ärzteschaft abgelehnt werden.


Gruppe Künast: Zulassung für Sterbehilfe-Organisationen
Der Entwurf der Gruppe Künast wiederum sieht als Kernstück ein „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“ vor. In diesem wird verfahrenstechnisch zwischen Sterbewilligen in einer medizinischen Notlage und jenen, die sich nicht in einer medizinischen Notlage befinden, unterschieden. Im ersteren Fall sollen ebenfalls Ärztinnen oder Ärzte für die Verschreibung als auch für die Beratung zuständig sein. In das Verfahren sollen im Regelfall zwei Ärztinnen beziehungsweise Ärzte involviert werden. Im letzteren Fall soll der Sterbewillige seinen Sterbewunsch glaubhaft darlegen und einen Antrag bei einer vom jeweiligen Land zu bestimmenden Stelle stellen. Weitere Voraussetzung ist unter anderem eine zweimalige Beratung in einer unabhängigen, staatlich zugelassenen Beratungsstelle. Der Entwurf sieht zudem Regelung für das Wirken von Hilfsanbietern vor, etwa zur Abgabe der tödlich wirkenden Medikamente an diese Hilfsanbieter. Für Hilfsanbieter ist eine Zulassung erforderlich. Der Entwurf sieht ferner strafrechtliche Regelungen vor. Danach soll mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bestraft werden, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht, um für andere oder zum Missbrauch für Straftaten eine Bescheinigung für die Abgabe des Betäubungsmittels zu erhalten. Als Ordnungswidrigkeit soll unter anderem die „grob anstößige“ Werbung geahndet werden können.


Antrag zur Suizidprävention
In dem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag setzen sich zahlreiche Abgeordnete für eine Stärkung der Suizidprävention ein. In Deutschland nähmen sich jedes Jahr mehr als 9.000 Menschen das Leben, die Zahl der Suizidversuche liege geschätzt zehn Mal so hoch, heißt es in dem Antrag (20/1121). Die Abgeordneten fordern eine Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Suizidgedanken durch mehr Information und Aufklärung. Durch verbesserte Lebensbedingungen müsse der Suizidalität vorgebeugt werden. Genannt werden die Armutsbekämpfung und Konzepte gegen Vereinsamung. Menschen mit Suizidgedanken bräuchten leicht erreichbare Angebote zur Beratung, Behandlung und Unterstützung am Lebensende. Zudem sollte der Zugang zu Suizidmitteln und -orten reduziert werden. Die Abgeordneten schlagen unter anderem einen bundesweiten Suizidpräventionsdienst vor, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online sofortigen Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht.

Quelle: Deutscher Bundestag HiB Nr. 682 vom 23. November 2022

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