Wiederaufnahme, Dokumentation der Hauptverhandlung, Vorratsdatenspeicherung, Entkriminalisierung, Elektronischer Rechtsverkehr, Digitalpakt – die Rechtspolitische Runde des Deutschen Anwaltvereins (DAV) war das würdige Ende des ersten Tags beim Deutschen Anwaltstag 2022. Unter dem Titel „(Fast) 200 Tage Ampel-Koalition – Rückblick und Ausblick“ diskutierten die rechtspolitischen Expert:innen der Bundestagsfraktionen über Geplantes, Gewünschtes und (Un-)Mögliches.
Unter der Moderation von Dr. Felix W. Zimmermann (LTO) diskutierten die rechtspolitischen Sprecher:innen der Bundestagsfraktionen Sonja Eichwede (SPD), Helge Limburg(Bündnis 90/Die Grünen), Katrin Helling-Plahr (FDP) sowie der Obmann des Rechtsausschusses für die CDU/CSU-Fraktion Carsten Müller.
StPO: Dokumentation kommt – Wiederaufnahme geht?
In der letzten Legislatur kurz vor dem Ende durchgepeitscht, steht die Regelung zur Wiederaufnahme zulasten Freigesprochener nachhaltig in der Kritik, auch bei der Ampel. Helling-Plahr sprach von einer „korrigierungsbedürftigen Situation“. Limburg verwies auf die höchstrichterliche Rechtsprechung, die hierzu noch ausstehe, und warnte vor Retraumatisierung durch neue Verfahren: „Wir geben Angehörigen Steine statt Brot – es werden sehr hohe Hoffnungen geschürt, die im Zweifel enttäuscht werden.”Müllerverteidigte das Gesetz: Er halte auch die ausnahmsweise Durchbrechung des „Ne bis in idem“-Grundsatzes für vertretbar, wenn nicht geboten.
Die Dokumentation der Hauptverhandlung, eine langjährige Forderung des DAV, kündigte sich im Koalitionsvertrag an. Auf die Frage von Zimmermann, wann denn „so ungefähr“ mit einer Umsetzung zu rechnen sei, versprach Eichwede, der Referentenentwurf sei in den letzten Zügen.
Kriminalitätsbekämpfung priorisieren
Eine Entschlackung des Strafrechts steht ebenfalls auf der Agenda der Ampel: Das Werbeverbot für Abtreibungen (§ 219a StGB) wird in den nächsten Tagen kippen, auch der Besitz von Cannabis und das Fahren ohne Fahrschein sollen nicht länger Straftaten sein. Nach Einschätzung von Limburg könnte man auch den Diebstahl geringwertiger Sachen zur Ordnungswidrigkeit herabstufen, damit sich die Staatsanwaltschaft um die wirklich schweren Taten kümmern kann.
Bei der Wahl der Ermittlungsbefugnisse für Kommunikationsdaten gehen die Meinungen auseinander: Während sich die Regierungsfraktionen für das anlassbezogene „Quick Freeze“-Verfahren aussprachen, bedauerte Müller, dass es mit dieser Regierung keinen weiteren Anlauf für eine Vorratsdatenspeicherung geben werde: „Quick Freeze ist ein Werkzeug, das nicht scharf genug ist.”
Digitalisierung der Justiz
Ein Thema haben alle Beteiligten auf ihrer Agenda: die Digitalisierung der Justiz. Helling-Plahr plädierte dafür, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen statt Druckstraßen. Eichwede empfand dies schon als Richterin als „unhaltbaren Zustand“. In Sachen Digitalpakt sei das Bundesjustizministerium im Austausch mit den Ländern, um ein Konzept zu erarbeiten.
Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 21. Juni 2022