Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck hat sich heute zu Patrick Graichen geäußert.
Dieses Statement finden Sie nachfolgend hier als Text:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
die letzten Wochen wurden von der Debatte über die Neubesetzung der dena- Geschäftsführung überschattet.
Hierbei ist ohne Frage ein Fehler passiert. Wir haben über diesen Transparenz hergestellt und wir haben die Hebel in Bewegung gesetzt, damit die Geschäftsführung der dena neu ausgeschrieben wird und die dena befreit vom Verdacht von Interessenskonflikten arbeiten kann.
Wir haben außerdem die Berichterstattung rund um die Verwandtschaftsverhältnisse von Patrick Graichen zum Anlass genommen, um die Compliance-Verfahren, die aus diesen Gründen zu Beginn der Legislatur etabliert wurden, zu überprüfen und Transparenz bei Vergaben und Zuwendungen herzustellen.
Diese Prüfungen wurden am 23. April beauftragt.
Wir haben zwischenzeitlich die Listen der Anträge und Zuwendungen veröffentlicht.
Daraus können Sie entnehmen, dass die Aufträge und Zuwendungen an das Öko-Institut nicht gestiegen sind, sie bewegen sich in dem Bereich, der in den Vorjahren unter einer anderen politischen Leitung üblich war. Das gleiche gilt für die Zuwendungen an den BUND und Agora Energiewende.
Das BMWK hat auch die Vorgänge, die zu Aufträgen und Zuwendungen geführt haben, auf Herz und Nieren geprüft.
Es wurde von unserem zentralen Rechtsreferat festgestellt, dass seit Beginn der Legislaturperiode – wie von den Compliance-Verfahren vorgesehen – keine Entscheidungen über Aufträge oder Zuwendungen an das Ökoinstitut oder Zuwendungen an den BUND e.V. unter Beteiligung von Staatssekretär Graichen getroffen wurden. Das gilt auch für Zuwendungen an Agora.
Wir haben auch die Verfahren kritisch geprüft und bewusst sehr kritische und kleinteilige Fragen und auch Nachfragen gestellt.
Im Zuge dieser Prüfungen ist nun ein Sachverhalt aufgetaucht, zu dem mir seit gestern Abend ein Prüfergebnis vorliegt.
Dieses Prüfergebnis ist der Grund für die heutige Pressekonferenz.
Es ist ein Sachverhalt, der bislang öffentlich nicht diskutiert wurde und über den ich nun Transparenz herstelle.
Dieser Sachverhalt hat mich im Rahmen der internen Prüfungen erstmals am Dienstag letzter Woche erreicht, die erste kursorische Einschätzung war aber entlastend. Es stellten sich aber eine Reihe von weiteren Fragen, um deren Klärung und gründliche Prüfung und Bewertung ich bat.
Bei diesem Sachverhalt handelt es sich um einen Vorgang im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative.
Es ist eine sogenannte „Aufforderung zur Antragstellung“, also eine Vorstufe für konkrete Förderanträge. Entsprechend der Vorlage hat Patrick Graichen am 30.11.2022 die Vorlage und eine Liste mit drei Projektskizzen gebilligt. Eines dieser Projekte stammt vom BUND Landesverband Berlin (Fördersumme knapp 600 000 Euro).
Es ist noch kein Geld geflossen, aber das Projekt wurde mit der Abzeichnung als förderwürdig eingestuft; die finale Förderentscheidung war damit im Prinzip nur noch eine Formsache.
Es ist der Landesverband, nicht der Bundesverband. Allerdings ist im Landesverband Berlin die Schwester von Patrick Graichen Vorstandsmitglied. Sie hat zwar keine formale Vertretungsbefugnis, war aber laut Vereinsregister bis Mai 2022 Landesvorsitzende.
Insofern ist es, wie die tiefere Prüfung zeigt, als Compliance-Verstoß zu bewerten. Diese Vorlage hätte Patrick Graichen laut Compliance-Regeln weder vorgelegt werden dürfen noch hätte er sie abzeichnen dürfen. Es muss allein schon der Anschein der Parteilichkeit vermieden werden, und das ist hier nicht eingehalten worden.
Außerdem gibt es einen zweiten Vorgang, der in einem Graubereich liegt, und den wir deshalb im Zuge der Prüfungen noch mal ausgeleuchtet haben. Es ist die Besetzung der Expertenkommission zum Energiewendemonitoring, bei der unter anderem Felix Matthes als Experte berufen wurde.
Der Vorgang liegt schon länger zurück. Auch hier kommt nun die vertiefte Prüfung, die mir seit gestern vorliegt, zum Schluss, dass der Anschein der Parteilichkeit besser hätte vermieden werden sollen.
Um es festzuhalten: auch hier hat sich die Einschätzung geändert von erst entlastend zu belastend.
Die Fehler sind unterschiedlich gravierend und stünde jeder dieser Fehler für sich allein, würde er eine solche dramatische Konsequenz, wie wir sie heute ziehen, nicht nötig machen.
Aber die Fehler stehen eben nicht allein, sondern sind in der Gesamtschau zu sehen.
Ich habe mich in den letzten Wochen trotz des schweren Fehlers bei der dena-Neubesetzung vor Patrick Graichen gestellt. Menschen machen Fehler, jeder und jede von uns.
Aber um mit dem einen schweren Fehler umzugehen, muss ich sicher sein, dass die Compliance-Brandmauer, die wegen der Verwandtschaftsverhältnisse gezogen wurde, keine Risse hat.
Diese Risse hat sie nun.
In der Gesamtschau hat sich Patrick Graichen damit zu angreifbar gemacht, um sein Amt noch wirkungsvoll ausüben zu können.
Vor diesem Hintergrund sind Patrick Graichen und ich gestern Abend in einem persönlichen Gespräch darin übereingekommen, dass wir die gemeinsame Arbeit nicht fortsetzen.
Ich beabsichtige daher, den Bundespräsidenten zu bitten, Patrick Graichen in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.
Ich möchte hier ausdrücklich sagen:
Dass Patrick Graichen in den letzten Wochen über das berechtigte Maß an Kritik und Aufklärung, so angefeindet wurde, dass von rechtsextremen Accounts Lügen über die Familie verbreitet und von prorussischen Accounts weiter gepusht werden, ist unerträglich. Das macht mir große Sorgen.
Es ist nicht das erste und es wird sicher nicht das letzte Mal sein, aber so können und dürfen politische Debatten nicht ausarten.
Patrick Graichen hat große Leistungen für dieses Land erbracht. Er hat durch seinen überaus großen Einsatz Deutschland vor einer Gasmangellage bewahrt und maßgeblich dazu beigetragen, eine Wirtschaftskrise abzuwenden. Er hat die Energiewende wieder flott gemacht und Klimaschutz zum Regierungshandeln. Dafür danke ich ihm ausdrücklich.
Die Abzeichnung der BUND-Vorlage fällt in die Hochphase der Krise. Es war eine Phase extremer Arbeitslast.
Aber das ändert nichts an der Gesamtschau. Es ist der eine Fehler zu viel. Deshalb habe heute ich diese Entscheidung nun getroffen.
Es ist eine weitreichende, schwere Entscheidung. Weitreichend für mein Haus, schwer für mich und sehr hart für Patrick Graichen.
Es geht aber darum, das Vertrauen in die Arbeit dieses Hauses als Institution zu schützen. Es geht darum die politische Handlungsfähigkeit zu wahren. Ich werde nun zügig eine Nachfolge bestellen.
Ich möchte abschließend noch einmal deutlich machen:
Ich möchte mich explizit gegen die pauschalen Anwürfe gegenüber meinem Haus und dem Leitungsbereich verwahren. Was zurecht in den Blick gerückt ist, ist die Frage von Compliance.
Sie ist wichtig, weil es um das Vertrauen in die Unabhängigkeit von politischen Entscheidungen und Gesetzgebung geht. Wir haben in der Bundesverwaltung ein gutes Regelwerk. Und im BMWK haben wir dementsprechend die Verfahren der Vorgängerregierung übernommen. Diese setzen stark auf Eigenverantwortung entlang dann dem Regelwerk.
Aber die Debatte zeigt auch, dass es sinnvoll ist, die Compliance-Verfahren noch einmal zu überprüfen und zu schauen, wie wir Kohärenz, Stringenz und Transparenz stärken und verbessern können. Das tun wir bereits für das BMWK und werden das auch innerhalb der Bundesregierung besprechen, damit die Bundesverwaltung möglichst einheitlich nach denselben Maßstäben arbeitet.
Wir haben strenge Regeln in der Bundesregierung. Im BMWK haben wir die Regelungen der Vorgängerregierung übernommen.
Wir werden diese Regelungen aber nochmal überprüfen- das tun wir im BMWK und das tun wir sicher auch in der Bundesregierung.
Vielen Dank.“
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Pressemitteilung vom 17. Mai 2023