Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neustrukturierung des Bundespolizeigesetzes (20/10406) wird von Sachverständigen unterschiedlich beurteilt. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montag deutlich. Die Neuregelung des 30 Jahre alten Bundespolizeigesetzes sieht vor, dass die Bundespolizei künftig Drohnen zur Bild- und Tonaufzeichnung einsetzen kann. Sie soll zudem Aufenthaltsverbote und Meldeauflagen verhängen und „Gewahrsamsräume“ per Bild und Ton überwachen dürfen. Die Möglichkeit, Telekommunikation zu überwachen und Verkehrs- und Nutzungsdaten zu erheben, soll erweitert werden. Eine Überwachung der verschlüsselten Kommunikation (Quellen-TKÜ) sowie Online-Durchsuchungen sollen der Bundespolizei gleichwohl nicht ermöglicht werden. Geplant ist außerdem eine individuellen Kennzeichnungspflicht der Beamten sowie die Pflicht zur Ausstellung sogenannter Kontrollquittungen nach einer Befragung durch die Bundespolizei.
Letztgenanntes stieß insbesondere bei Polizeigewerkschaftsvertretern auf Ablehnung. Kennzeichnungspflicht und Kontrollquittungen ließen das Vertrauen der Kollegen gegenüber dem Gesetzgeber schwinden, sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Andreas Roßkopf. Sie erweckten den Eindruck, „als ob fälschlicherweise in gewissen Bereichen der Bundespolizei von strukturellen Problemen gesprochen werden kann“. Ein modernes Polizeigesetz, so Roßkopf weiter, müsse der Behörde Befugnisnormen geben, die sie dazu befähigen „auf Augenhöhe rechtssicher arbeiten zu können“. Dies werde mit dem Entwurf „nur sehr bedingt erreicht“.
Heiko Teggatz, stellvertretender Bundesvorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft (DPolG), vermisst in dem Gesetzentwurf Befugnisse zur Gesichtserkennung, eine anonymisierte Verhaltenserkennung auf Bahnhöfen und öffentlichen Plätzen sowie die Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchungen. Für „entbehrlich“ halte die DPolG hingegen eine Kennzeichnungspflicht sowie Kontrollquittungen. Die aktuell schon vorhandene taktische Kennung auf dem Rücken der Beamten lasse eine Identifizierung „bis in die Halbgruppe“ zu. Enttäuscht zeigten sich die Gewerkschaftsvertreter, dass die Grenzschutzzuständigkeit der Bundespolizei nicht von 30 km auf 50 km im Inland erweitert wird. Dies sei „dringend notwendig“, befand Teggatz.
Bei einer Ausweitung der Befugnisse für die Bundespolizei müsse eine Erosion der Zuständigkeiten der Landespolizeien vermieden werden, sagte Uta Schöneberg, Referatsleiterin Recht im Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport. Die im Entwurf enthaltenen neuen Befugnisse nannte sie „richtig und sinnvoll“. Bei Meldeauflagen und Aufenthaltsverboten bestehe aber in besonderer Weise die Gefahr einer Überschneidung mit Maßnahmen der Landespolizei.
Aus Sicht von Lea Voigt vom Deutschen Anwaltsverein wird der Berufsgeheimnisträgerschutz durch den Entwurf angemessen geregelt. Die Zurückhaltung bei der Ausweitung der Befugnisse der Bundespolizei sei überaus sachgerecht, sagte sie. Bei der Telekommunikationsüberwachung ist die Eingriffsschwelle ihrer Ansicht nach zu niedrig angesetzt. Diese „sehr eingriffsintensive Maßnahme“ könne auch schon bei Bagatellgefahren ergriffen werden, bemängelte sie. Positiv bewertete Voigt die Kennzeichnungspflicht, die es aber ausnahmslos brauche. Es sei eben nicht so, dass derzeit schon die Identifizierung von Beamten im Nachhinein sichergestellt sei, sagte die Vertreterin des Deutschen Anwaltsvereins.
Nachbesserungsbedarf an dem Entwurf sahen Professor Markus Thiel von der Deutschen Hochschule der Polizei und Professor Hartmut Aden von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin – wenn auch in gegensätzlicher Richtung. Der Entwurf ist aus Sicht von Aden ein „untauglicher Versuch zur Bewältigung der Diskriminierungsrisiken“. Er forderte, die Eingriffsbefugnisse für anlassunabhängige Personenkontrollen weitgehend zu reduzieren. Zudem sollten Kontrollquittungen bei allen Kontrollen und Befragungen von Amts wegen ausgegeben werden, „nicht nur auf Verlangen“. Bei der Kennzeichnungspflicht sprach sich Aden gegen eine Ausnahmeklausel aus.
Thiel hält hingegen die Kennzeichnungspflicht für unnötig und die Kontrollquittungen für entbehrlich. Mit dem Entwurf werde die Gelegenheit versäumt, Rechtsgrundlagen für die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchungen zu schaffen, kritisierte er. Es erschließe sich ihm nicht, warum man aus rechtspolitischen Gründen auf bestimmte polizeiliche Einsatzbefugnisse verzichte, die „anerkanntermaßen und von der Verfassungsgerichtsbarkeit bestätigt, verfassungskonform geregelt werden können“, sagte Thiel.
Die Bundespolizei brauche Cyberabwehrbefugnisse in ihrem Aufgabenbereich, machte der Präsident des Bundespolizeipräsidiums, Dieter Romann, deutlich. Die Bedrohungslage warte nicht auf eine für andere Bundessicherheitsbehörden erforderliche Verfassungsänderung zur Gefahrenabwehr und auf fehlende einfachgesetzliche Anpassungen der rechtlichen Befugnisnormen für die Bundespolizei. Eine für die Grundgesetzänderung nötige Zwei-Drittel-Mehrheit sei nicht in Sicht, so Romann. Für die Befugniserweiterung im Aufgabenbereich der Bundespolizei sei eine solche hingegen nicht erforderlich, da die gefahrenabwehrrechtliche Zuständigkeit der Bundespolizei unverändert bleibe und lediglich in digitale Befugnisse transferiert werden müsse.
Der Gesetzentwurf stärkt nach Auffassung von Felix Ruppert von der Ludwig-Maximilians-Universität München in einigen Punkten die Rechtsstaatlichkeit. Ruppert begrüßte den Verzicht auf die Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchung. Das Verbot des Racial Profilings samt zugehöriger Möglichkeit einer entsprechenden Kontrollquittung stärke zudem die Transparenz des bundespolizeilichen Handelns und trete unbegründeten Willkürvorwürfen ebenso entgegen wie das Zusammenspiel beider Instrumente diskriminierende Motive festhalten könne, sagte er.
Positiv fiel auch das Fazit des Polizeibeauftragter des Bundes beim Deutschen Bundestag, Uli Grötsch, aus. Der Entwurf sei ein gutes Signal an die Beschäftigten der Bundespolizei und auch an die Öffentlichkeit. Die Regelung zum Racial Profiling sieht Grötsch keineswegs als Generalverdacht gegenüber der Bundespolizei. Sie sei vielmehr eine Erwartungshaltung des Gesetzgebers an die Bundespolizei. Positiv bewertete Grötsch auch die Kontrollquittungen. Die Regelungen zu deren Ausstellung müssten nun so gestaltet werden, dass sie unkompliziert handhabbar sind.
Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Ulrich Kelber, äußerte datenschutzrechtliche Bedenken. Die ersatzlose Streichung der Pflicht zur Erstellung einer sogenannten Errichtungsanordnung für automatisierte Dateien nach Paragraf 36 BPolG führe zum Wegfall eines wichtigen datenschutzrechtlichen Kontrollinstruments, befand er. In dieser vom Bundesinnenministerium zu genehmigenden Verwaltungsvorschrift müsse die Bundespolizei nach derzeitiger Rechtslage vor Beginn einer automatisierten Datenverarbeitung deren Kernpunkte wie unter anderem Rechtsgrundlagen, Verarbeitungszwecke, Datenarten, betroffene Personen und Löschfristen festlegen.
(c) HiB Nr. 256, 22.04.2024