Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Audiodokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung wird am morgigen Mittwoch im Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat verhandelt. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) betont, welche Bedeutung das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (DokHVG) für den Rechtsstaat hat.
„Das Strafrecht ist die Ultima Ratio des Rechtsstaates. Im Strafprozess braucht es deshalb besonders hohe Ansprüche an Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Verfahrens“, macht Rechtsanwalt Prof. Dr. Ali B. Norouzi, stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins, klar.
Eine ganze Liste an Gründen spräche für die Einführung der Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung:
1. Nachvollziehbarkeit
Aktuell werden bei der Beweisaufnahme häufig nur die Formalitäten protokolliert („Der Zeuge ist erschienen und machte Angaben zur Sache“). Das besitzt keine Aussagekraft und hilft den Prozessbeteiligten später auch nicht weiter, wenn es um den Inhalt der Aussagen geht.
2. Europäischer Standard
Die Inhaltsdokumentation des Hauptverfahrens ist in Europa gängige Praxis. Andere EU-Länder wurden ermahnt, weil ihre Audiodokumentation unzureichend ausgebaut war – denn in der fehlenden Transparenz kann ein Verstoß gegen die Fair-Trial-Prinzipien gesehen werden. Der Status quo in Deutschland könnte bedeuten, dass europäische Haftbefehle in Zukunft nicht mehr durchsetzbar werden.
3. Modernität
Mit dem Ziel eines modernen und digitalen Rechtsstaates ist es kaum vereinbar, dass Prozessbeteiligte im Strafverfahren eigenhändig mitschreiben müssen und dadurch ihre Konzentration beeinträchtigt wird. Auch die Chancengleichheit leidet darunter, denn eigene Stenographen für die Dokumentation kann nur beschäftigen, wer über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt.
4. Interesse der Zeug:innen
Wer seiner Bürgerpflicht nachkommt und als Zeuge bzw. Zeugin vor Gericht aussagt, darf erwarten, dass die Aussage auch protokolliert wird. Der Ist-Zustand geht an der Erwartungshaltung der Bevölkerung vorbei.
5. Kein erhöhter Druck
Gegner:innen der Inhaltsdokumentation führen ins Feld, die Aufzeichnung der Aussagen würde die Zeuginnen und Zeugen belasten. Dabei wird verkannt, dass die Aussage vor einem Strafgericht für den durchschnittlichen Zeugen in jedem Fall eine Ausnahmesituation darstellt. Die Dokumentation erhöht den Druck nicht, im Gegenteil können sich Zeug:innen durch sie darauf verlassen, dass Inhalte ihrer Aussagen nicht verfälscht oder vergessen werden.
6. Revisionsverfahren bleibt unbeeinträchtigt
Die Audiodokumentation soll nicht das Formalprotokoll ersetzen – Letzteres bleibt weiterhin Grundlage der Revision. Durch die genaue Inhaltsdokumentation können jedoch blinde Flecken im Revisionsrechtsschutz beseitigt werden.
7. Effektivität wird erhöht
Mit wenig Aufwand gewinnt die Justiz nicht nur an Transparenz und Qualität, sondern wird auch effizienter. Das Transkript dient als ergänzendes Hilfsmittel zum Formalprotokoll, den Prozessbeteiligten, auch den Angehörigen der Gerichte, bleibt das Anfertigen eigener zusätzlicher Notizen zu den Aussagen erspart. Stattdessen steht allen die objektive Inhaltsdokumentation zur Verfügung.
Norouzi ist sicher: „Wenn die Einführung der Inhaltsdokumentation scheitert, wird das der internationalen Reputation des deutschen Rechtsstaates Schaden zufügen.“ Schon seit Monaten werde über das Gesetz diskutiert, doch noch immer sei kein einziges valides Argument gegen die Dokumentation aufgebracht worden. „Dass ‚die Praxis‘ die Audiodokumentation ablehnt, ist schlicht und ergreifend falsch“, so Norouzi. Erstens gehöre auch die das Gesetz vorbehaltlos unterstützende Anwaltschaft zur Praxis; zweitens sei das Meinungsbild innerhalb der Justiz differenzierter, als es die Stellungnahmen einzelner Verbände vermuten lassen.
Der Vermittlungsausschuss müsse dem nun Rechnung tragen. „Eine weitere Blockade des DokHVG ist nicht vertretbar“, erklärt der Rechtsanwalt.
(c) DAV, 20.02.2024