Das entsetzliche Geschehen in Freudenberg gibt keinen Anlass, die Grenze der Strafmündigkeit Jugendlicher zu verändern. Mehr Ressourcen in Kindergärten, Schulen und in der Kinder- und Jugendhilfe könnten helfen frühzeitiger zu intervenieren. Neue Strafandrohungen nützen hingegen nichts.
Wegen der schlimmen Tat der beiden strafunmündigen Kinder wird versucht mal wieder über die Grenze der Strafmündigkeit in § 19 StGB zu diskutieren. Die Neue Richtervereinigung (NRV) lehnt eine Herabstufung des Strafmündigkeitsalters ab.
Hinter den Äußerungen zur Herabsetzung der Strafbarkeitsgrenze scheint ein eher reflexhaftes Streben nach Härte und Strafe zu stehen und die Grundannahme, dass harte Strafen die Begehung weiterer Straftaten verhindern. Das ist insbesondere bei Kindern falsch und geht an den wirklichen Problemen völlig vorbei.
Aus den polizeilichen Kriminalstatistiken für die letzten Jahre geht hervor, dass es jährlich um die 20 Fälle schwerer Delinquenz im Kindesalter gibt. Alle diese Fälle sind schwer fassbar. Das sollte aber niemanden dazu verleiten, von einem „beunruhigenden Anstieg solcher Taten“ zu sprechen. So etwas schürt Ängste und verhindert eine sachorientierte Betrachtung. Tatsächlich kann man bei den sehr niedrigen Zahlen aus den kleinen jährlichen Schwankungen in der Statistik gar nichts herleiten.
Die Gründe, warum Kinder- und Jugendliche ein delinquentes Verhalten zeigen, sind vielfältig und sehr individuell. Für Kinder unter 14 Jahren braucht es nicht das Jugendstrafrecht, um zu angemessenen Reaktionen zu kommen. Denn auch bei Kindern unter 14 Jahren reagiert der Staat, wenn sie Straftaten begehen. Das SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) sieht vielfältige Maßnahmen vor, die jeweils ganz individuell auf die betroffenen Kinder-, Jugendlichen und Familien angepasst werden. Solche Maßnahmen können auch gem. § 1631 Abs. 3 BGB mit Unterstützung des Familiengerichts und gem. §§ 1666, 1666a BGB durch das Familiengericht auch gegen Willen der Eltern und Jugendlichen durchgesetzt werden.
Damit das funktioniert, ist eine gute Zusammenarbeit aller Akteure nötig. Polizei und Staatsanwaltschaften müssen bei delinquentem Verhalten frühzeitig Jugendämter und Familiengerichte informieren. Auch das sieht die Rechtslage schon jetzt vor. Alle Akteure müssen fallunabhängig und auf kommunaler Ebene gut vernetzt sein, damit auch im Einzelfall gut agiert werden kann. Und sehr wichtig ist schließlich, dass den Akteuren, insbesondere den Jugendämtern und den freien Trägern, die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stehen.
All diese Dinge sind nicht neu. Allerdings haben viele Sparrunden nicht nur im Bildungssektor, sondern auch im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ihre Spuren hinterlassen. Wir haben nicht nur bei Schulen und Kindergärten Systeme, die an ihre Grenzen stoßen. Vielen Kommunen fehlt auch das Geld, die Kinder- und Jugendhilfe wirklich gut auszustatten.
Solche schlimmen Taten, wie wir sie jetzt wieder erleben müssen, bringen großes Leid über die davon betroffenen Familien. Alle Menschen, insbesondere aber die professionellen Mitarbeiter:innen in Kindergärten, Schulen und sonstigen Einrichtungen, müssen ein waches Auge haben, wenn sich bei Kinder und Jugendliche möglicherweise schwierige Situationen entwickeln und sie müssen dann wissen, was zu tun ist. In unterausgestatteten Institutionen wird das aber schwieriger. Hier liegen die wirklichen Ansätze, wenn wir eine bessere Prävention erreichen wollen.
Quelle: Neue Richtervereinigung, Pressemitteilung vom 20. März 2023