Die Neue Richtervereinigung e.V. (NRV) begrüßt das Anliegen des Entwurfs eines Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (CannG-E), Cannabis reguliert für Erwachsene freizugeben. Eine Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum ist nicht mehr zu rechtfertigen. Trotz aller Prohibitionsbemühungen ist der Konsum dieses mit Alkohol vergleichbaren Betäubungsmittels weit verbreitet. Während für den Konsum im Jugendalter erhebliche Gesundheitsgefahren belegt sind, unterschreitet das Konsumrisiko für Erwachsene je nach Konsumform die Gefahren von Alkohol- und Tabakgenuss (siehe auch Fischer, www.lto.de/recht/meinung/m/frage-an-fischer-legalisierung-cannabis-chancen-risiken/). Dementsprechend geht die Bundesregierung mit der Vorlage eines Gesetzesentwurfs zur Cannabislegalisierung für Erwachsene einen richtigen Schritt.

Damit das Gesetzesvorhaben erfolgreich ist, muss der vorliegende Entwurf jedoch deutlich optimiert werden. Die Neue Richtervereinigung sieht sowohl wesentliche Lücken als auch normative Widersprüche, die es auszuräumen gilt. Im Folgenden sollen nur einige hervorstechende Defizite herausgegriffen werden, im Übrigen schließt sich die Neue Richtervereinigung dem Schildower Kreis (https://www.uni-frankfurt.de/140891208/Schildower_Kreis_Stellungnahme_CanG.pdf) an.

Dass bislang der Rechtsbegriff „nicht geringe Menge“, mit der möglichen Folge einer Verbrechensstrafbarkeit gem. § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCannG-E, nicht durch den Gesetzgeber ausgefüllt worden ist, verstößt gegen Art. 103 Abs. 2 GG. Die Materialien zum Kabinettsentwurf lassen keine Auseinandersetzung mit der Problematik erkennen. Wir nehmen bedauernd zur Kenntnis, dass die Konturierung der Begrifflichkeit weiterhin der Rechtsprechung überlassen werden soll (BVerfG BeckRS 2023, 16492 Rn. 107), obwohl damit die Aufgabenzuordnung der Rechtssetzung im Strafrecht auf den Gesetzgeber, die Art. 103 Abs. 2 GG vornimmt, unterlaufen wird.

§ 9 Abs. 1 KCannG-E steht im Widerspruch zu § 2 Abs. 1 Nr. 3 KCannG-E: Der Anbau von Cannabisplanzen ermöglicht die Ernte der Kopfblätter und Blüten, deren Trocknung ein Herstellen i.S.d. § 2 Nr. 4 BtMG (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 85, 86; Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak § 29 Rn. 122, 205; MüKo StGB/Oğlakcıoğlu § 29 BtMG Rn. 34; HK-Gs/Duttge Vor § 211 Rn. 132; Weber/Kornprobst/Maier/Weber § 29 BtMG Rn. 74) und somit einen Akt des § 2 Abs. 1 Nr. 3 KCannG-E darstellt. § 9 Abs. 1 KCannG-E rechtfertigt nach seinem eindeutigen Wortlaut jedoch nur den Anbau, nicht auch die Herstellung (näher siehe Sobota, ZRP 2023 im Erscheinen). Konsequent hieße das, war Cannabispflanzen anbaut, muss sie bei Reife vernichten.

§ 9 Abs. 1 KCannG-E kann mit der starren Grenze des Eigenbesitzes von höchstens 25g Cannabis kollidieren: Wer Betäubungsmittel anbaut, kann an diesen gleichzeitig Besitz haben (BGH NStZ 1990, 285), jedoch tritt der Besitz nach bisher h.M. als Auffangtatbestand hinter dem Anbau zurück (MüKo StGB/Oğlakcıoğlu § 29 BtMG Rn. 83). Ob die konkurrenzrechtliche Bewertung angesichts der unterschiedlichen Anknüpfung (Zahl der Pflanzen in§ 9 KCannG-E, Gewicht in § 3 KCannG-E) so beizubehalten ist, bedarf zumindest der Klarstellung. Können aus drei Pflanzen mehr als 25g Cannabis gewonnen werden, droht eine sinnwidrige Kriminalisierung von Erntenden. Hier muss klargestellt werden, dass der Besitz zur sofortigen Vernichtung der überschießenden Ernte straffrei bleibt, nachdem anders als in den bisher anerkannten Fallgruppen (Patzak/Volkmer/Fabricius/Patzak § 29 Rn. 1018 ff.) kein nur kurzzeitiger Besitz vorliegt – schließlich bestand der Besitz schon in der Anbauphase. Angesichts des Weitergabeverbots des § 9 Abs. 2 KCannG-E müssen die legalen Vernichtungswege klar geregelt werden.

Im Licht des Art. 103 Abs. 2 GG ist § 36 Abs. 1 Nr. 4 KCannG-E höchstproblematisch. Für die Normunterworfenen ist kaum erkennbar, ob sie sich gerade innerhalb von 200 Metern von einer der in § 5 Abs. 2 KCannG-E benannten Stätten befinden. Die Grenzen der Ordnungswidrigkeit bleiben für sie damit unklar. Die Sanktionierung des Konsums von Erwachsenen innerhalb der benannten Bannzonen ist erhöht begründungsbedürftig. Ob vom öffentlichen Konsum durch Erwachsene eine abstrakte Gefahr für Jugendliche ausgeht, ist bereits fraglich. Warum diese nur und gerade im Abstand von 200 Metern von den aufgezählten Einrichtungen entsteht, lässt der Kabinettsentwurf offen. Klarzustellen gilt, welche Einrichtungen als „Kinder- und Jugendeinrichtungen“ i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 3 KCannG-E gelten sollen; eine Referenz auf sozialrechtliche oder immissionsschutzrechtliche Termini ist angesichts abweichender Schutzzwecke fraglich (vgl. auch die abweichende Terminologie in § 33 Nr. 1 IfSG).

Diese Schlaglichter zeigen einen grundlegenden Überarbeitungsbedarf der Konzeption des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften. Es ist Sache des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, Strafnormen gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen, wie das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich betonte (BeckRS 2023, 16492 Rn. 93). Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muss er schon angesichts des Art. 103 Abs. 2 GG ein systemisch stimmiges Gesetz ausgerichtet an einem vom Gesetzgeberwillen getragenen Schutzzweck vorlegen. Wird ein Normkomplex systematisch ausgelagert, muss klargestellt werden, welche Begriffe aus einem anderen Regelungskomplex übernommen und welche neu verstanden werden. Der vorliegende Entwurf erfüllt diese Anforderungen bisher nicht.

(c) Neue Richtervereinigung, 14.09.2023

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