Wer einen Rechtsanspruch auf Herausgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut hat, soll diesen künftig leichter durchsetzen können. Das sieht ein Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vor, den das Kabinett heute beschlossen hat. Der Gesetzentwurf setzt eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode um.
Bundesminister der Justiz Dr. Marco Buschmann erklärt hierzu:
„Im nationalsozialistischen Deutschland sind hunderttausende Kulturgüter ihren Eigentümern unrechtmäßig entzogen worden. Auch das war Teil der Entrechtungs- und Vernichtungspolitik des NS-Regimes. Es waren insbesondere Jüdinnen und Juden, die so um ihren Besitz gebracht und ihrer Lebensgrundlagen beraubt wurden. Viele von den Nazis entzogenen Kulturgütern sind auch weiterhin nicht im Besitz ihrer Eigentümer. Das liegt sehr oft daran, dass ihr Verbleib ungeklärt ist. Es gibt aber auch Fälle, in denen das Recht es zu schwer macht, bestehende Herausgabeansprüche durchzusetzen. Das heute vom Bundeskabinett beschlossene Gesetz soll die Durchsetzung bestehender Herausgabeansprüche erleichtern.“
Bei dem Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut handelt es sich um einen gemeinsamen Gesetzentwurf des Bundesministeriums der Justiz und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Er sieht Änderungen insbesondere des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), des Kulturgutschutzgesetzes (KGSG), des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und der Zivilprozessordnung (ZPO) vor. Diese Änderungen sollen die Durchsetzung bestehender rechtlicher Ansprüche auf Herausgabe von Kulturgut erleichtern, das in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen wurde. Neue Herausgabeansprüche sind nicht Gegenstand des Gesetzentwurfs.
Im Einzelnen sind in dem Gesetz folgende Regelungen vorgesehen:
I. Neuer Anspruch auf Auskunft im Kulturgutschutzgesetz
Im KGSG soll ein neuer Auskunftsanspruch geregelt werden. Der Anspruch richtet sich gegen Personen, die Kulturgüter in Verkehr bringen, die ihren Eigentümern in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die Inverkehrbringenden müssen gegebenenfalls Auskunft geben über ihnen bekannte Namen und Anschriften von Einlieferern, Veräußerern, Erwerbern und Auftraggebern sowie über vorhandene Erkenntnisse zur Provenienz des betreffenden Kulturguts. Der Auskunftsanspruch kann geltend gemacht werden von den Personen, denen zum Zeitpunkt seiner Entziehung das Eigentum an dem betreffenden Kulturgut zustand, sowie von deren Rechtsnachfolgern. Der Auskunftsanspruch soll insbesondere die Prüfung erleichtern, ob den ursprünglichen Eigentümern bzw. ihren Rechtsnachfolgern weiterhin das Eigentum zusteht – oder ob das Eigentum inzwischen, zum Beispiel durch Ersitzung, auf eine andere Person übergegangen ist.
II. Einschränkung der Einrede der Verjährung
Die Regeln über die Verjährung von Ansprüchen auf Herausgabe von Kulturgut sollen modifiziert werden. Der Besitzer eines Kulturguts soll sich künftig nur noch dann darauf berufen können, dass der Herausgabeanspruch gegen ihn verjährt ist, wenn er den Besitz in gutem Glauben erworben hat. Das heißt: Die Einrede der Verjährung soll ihm nur offenstehen, wenn ihm bei Erwerb des Besitzes an der Sache nicht bekannt war und es sich ihm auch nicht aufdrängen musste, dass der Veräußerer nicht Eigentümer der Sache war. Diese Einschränkung der Einrede der Verjährung soll für NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut auch dann gelten, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist. Die Regeln über die Ersitzung bleiben von diesen Änderungen unberührt.
III. Konzentration der Zuständigkeit bei den Landgerichten
Die erstinstanzliche gerichtliche Zuständigkeit für Ansprüche auf Herausgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut sowie für darauf bezogene Auskunftsansprüche soll bei den Landgerichten konzentriert werden. Die Landgerichte sollen für entsprechende Klagen also unabhängig davon zuständig sein, wie hoch der Streitwert der konkreten Rechtssache ist. Damit soll der Komplexität entsprechender Rechtssachen Rechnung getragen werden: Für ihre Bewältigung sind Landgerichte besser geeignet als Amtsgerichte.
IV. Einführung eines besonderen Gerichtsstands in Frankfurt am Main
Es soll ein besonderer Gerichtsstand in Frankfurt am Main für Ansprüche auf Herausgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut sowie für darauf bezogene Auskunftsansprüche eingeführt werden. Entsprechende Klagen sollen also in jedem Fall auch in Frankfurt am Main erhoben werden können – unabhängig davon, wo der Beklagte ansässig ist. Auch dadurch soll die Durchsetzung von Herausgabeansprüchen erleichtert werden: Frankfurt am Main ist insbesondere auch für Klägerinnen und Kläger aus dem Ausland gut zu erreichen.
V. Pflicht zur Rückzahlung staatlicher Leistungen im Falle der Restitution
In Ergänzung zu den Vorschriften, die die Durchsetzung von Herausgabeansprüchen erleichtern sollen, sieht der Gesetzentwurf auch die Schaffung eines Gesetzes zur Rückzahlung von Rückerstattungsleistungen (Rückerstattungsrückzahlungszahlungsgesetz) vor. In diesem soll gesetzlich bestimmt werden, dass staatliche Schadensersatz- oder sonstige Geldleistungen, die eine Eigentümerin oder ein Eigentümer oder eine Rechtsvorgängerin oder ein Rechtsvorgänger aufgrund rückerstattungsrechtlicher Vorschriften erhalten hat, grundsätzlich zurückzuzahlen sind, wenn sie oder er den Besitz des Vermögensgegenstandes oder ein Surrogat erlangt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Hinblick auf die Eigentums- oder Besitzentziehungen, die Ausdruck nationalsozialistischen Unrechts waren, aufgrund des alliierten und des bundesdeutschen Rückerstattungsrechts in vielen Fällen Entschädigungen gewährt.
Den Gesetzentwurf und die Synopse finden Sie hier.
(c) BMJ, 24.07.2024