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Der Gesetzentwurf „zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ (20/13775) ist bei Sachverständigen auf ein gemischtes Echo gestoßen. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Montagabend deutlich. Der von mehr als 300 Abgeordneten von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sowie vom fraktionslosen Abgeordneten Stefan Seidler getragene Gesetzentwurf sieht vor, die bisher in den Paragrafen 218 und 218a des Strafgesetzbuches normierten Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu reformieren. Danach soll ein Schwangerschaftsabbruch bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche grundsätzlich nicht mehr rechtswidrig sein. Voraussetzung ist eine Beratung. Diese Regelung und die Einzelheiten sollen im Schwangerschaftskonfliktgesetz verankert werden, während Paragraf 218a gestrichen würde.
Thematisiert wurde bei der Anhörung auch ein Antrag derselben Gruppe (20/13776). Laut diesem zeige die vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte sogenannte ELSA-Studie, dass fast 60 Prozent der befragten Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen, Schwierigkeiten haben, den Schwangerschaftsabbruch zu organisieren, insbesondere weil sie ihn geheim halten wollen oder müssen. Die Abgeordneten fordern von der Bundesregierung unter anderem, sicherzustellen, dass Schwangerschaftsabbrüche kostendeckend durch die Krankenkassen finanziert werden und Bestandteil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen sein.
Rona Torenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsverbundprojekt „ELSA – Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer. Angebote der Beratung und Versorgung“ an der Hochschule Fulda, sagte, die Ergebnisse der ELSA-Studie stützten in weiten Teilen sowohl die vorgeschlagene Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts als auch die Notwendigkeit einer Verbesserung der medizinischen Versorgung. Die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs trage dazu bei, Stigmatisierungserfahrungen für ungewollt Schwangere sowie Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zu reduzieren, befand sie.
Alicia Baier, Vorstand im Verein Doctors for Choice Germany, sagte, der Gesetzentwurf sei evidenzbasiert und finde in Deutschland einen breiten Rückhalt unter Ärztinnen und Ärzten. Es sei vielfach wissenschaftlich belegt worden, dass die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und der Verzicht auf Zugangshürden wie Pflichtberatung und Wartefrist die Gesundheit der Betroffenen verbessere, „und Abbrüche hierdurch nicht häufiger, sondern früher stattfinden“. Mit dem Gesetzentwurf, so Baier, könne die entscheidende Grundlage dafür gelegt werden, „dass Schwangerschaftsabbrüche fortan als medizinische Leistung und nicht als Kriminalfall behandelt werden“.
Für den Gesetzentwurf sprach sich auch Beate von Miquel, Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, aus. Mit dem Entwurf könne der Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Frau „verfassungskonform und im Einklang mit dem Grundgesetz und internationalen Menschenrechten entkriminalisiert werden“. Die jetzige Gesetzeslage habe eine abschreckende Wirkung auf Ärztinnen und Ärzte, den Abbruch zu erlernen und zu praktizieren, und gefährde somit die Gesundheit und das Leben der Schwangeren, sagte sie. Zu begrüßen sei auch die Regelung, die dreitägige Wartefrist abzuschaffen. Das stärke die Autonomie und Selbstbestimmung von Frauen und ermögliche ihnen einen schnelleren und zuverlässigen Zugang innerhalb der ersten zwölf Wochen.
Professor Matthias David, Gynäkologe am Charité Campus Virchow Klinikum Berlin und Koordinator der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) für die aktuelle Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch, hielt dem entgegen, dass Hinweise auf eine Verschlechterung der Versorgungslage in den letzten Jahren nicht nachweisbar seien. Die bisher veröffentlichten Ergebnisse der ELSA-Studie erschienen aus seiner Sicht nicht dafür geeignet, ein „Versorgungsproblem“ zu beweisen. Vielmehr unterstrichen diese Resultate „eine gute bis sehr gute Erreichbarkeit und Versorgung“. „Die Versorgungslage mit Schwangerschaftsabbrüchen ist nicht prekär“, sagte David, der eine Frist zwischen Beratung und Abbruch von zwei bis drei Tagen als „sehr wichtig“ bezeichnete.
Der Gesetzentwurf sei rechtspolitisch verfehlt, urteilte Professor Michael Kubiciel von der Universität Augsburg. Er verändere die Rechtslage für Ärzte nicht, da diese schon jetzt unter dem Schutz der Rechtsordnung beratene und indizierte Abbrüche vornehmen könnten. Die Vorlage führe auch zu einem gesundheits- und frauenpolitischen Fehlanreiz, „da Schwangeren ein sanktionsfreier Weg zu gefährlichen Abbrüchen von Laien außerhalb des regulatorischen Rahmens eröffnet wird“. Auch widerspreche die Abschaffung der Drei-Tages-Frist dem Zweck der Beratung und sei zur Ermöglichung eines rechtzeitigen Abbruchs nicht erforderlich, sagte Kubiciel.
Gegen den Gesetzentwurf positionierte sich Kristijan Aufiero von der Schwangerschaftskonfliktberatung 1000plus-Profemina. Er stelle keine Verbesserung der Situation von Frauen im Schwangerschaftskonflikt in Aussicht, sagte Aufiero. Es brauche eine lebensbejahende Beratung statt einer Legalisierung der Abtreibungen, der Streichung der Wartepflicht von drei Tagen und der Finanzierung von Abtreibungskosten als reguläre Kassenleistung. Es gehe um die uneingeschränkte Achtung jedes menschlichen Lebens, „ganz egal in welchem Stadium seiner Existenz“. Das sei das Fundament einer freiheitlichen Demokratie.
Umstritten blieb während der Anhörung auch die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung. Aus Sicht von Professor Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam ist der Gesetzentwurf verfassungsrechtlich zulässig. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft rechtswidrig – wenngleich nicht zwingend strafbar – sei und Ausnahmen nur bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft wie der medizinischen, der kriminologischen und der embryo- beziehungsweise fetopathischen Indikation gelten würden. Der Gesetzgeber sei bei einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs jedoch nicht an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden, sondern dürfe eine eigene verfassungsrechtliche Neubewertung vornehmen, sagte sie.
Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase sei nicht mehr zu legitimieren, befand auch Professor Karsten Gaede von der Bucerius Law School in Hamburg. Insoweit sei dem Bundesverfassungsgericht ein Begründungsdefizit vorzuhalten. Das Gericht unterstelle schlicht, dass der Körper der Schwangeren prinzipiell fremdnützig zur Erfüllung von Schutzzielen verfügbar und eine Austragungspflicht damit grundsätzlich zumutbar sei. Eine Pflicht zur Austragung der dauerhaft identitätsprägenden und den Körper fundamental umwandelnden Schwangerschaft „in der Frühphase“ sei jedoch nicht begründet.
Professor Gregor Thüsing von der Universität Bonn konstatierte einen „nonchalanten Umgang“ mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Aus seiner Sicht ist der Entwurf „mitnichten minimalinvasiv oder ausgewogen“. Er sei vielmehr aus juristischer Sicht „radikal“. Thüsing sieht die Änderung nicht durch praktischen Bedarf begründet. Wichtiger sei aber: „So wie sie vorgeschlagen wurde, wäre sie auch klar verfassungswidrig.“ Der Verzicht auf die obligatorische Bedenkzeit nach der Beratung und die Relativierung des bisherigen Beratungsziels Lebensschutz führe zu einer deutlichen Absenkung des Schutzes „des sich als Mensch entwickelnden Lebens“. Mit dem Gesetzentwurf werde eine „Brandmauer des Lebensschutzes“ eingerissen, sagte Thüsing.
Professor Frauke Rostalski von der Universität Köln plädierte dafür, den Gesetzentwurf nicht weiter zu verfolgen. Es gebe keine Veranlassung, an der geltenden Rechtslage zu rütteln, befand sie. Weder empirisch noch normativ habe sich in Sachen Schwangerschaftsabbruch etwas geändert, „das nicht bereits ausführlich durch das Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidungen einbezogen wurde“, sagte sie. Ein vermeintlicher breiter gesellschaftlicher Wertewandel sei empirisch, „wie so vieles, was im Entwurf behauptet wird“, nicht nachgewiesen. Zudem sage das Gericht selbst, dass es „verfassungsrechtlich unbeachtlich“ wäre, sollten sich Anschauungen über die Schutzbedürftigkeit werdenden Lebens einmal ändern.
Aus Sicht von Professor Liane Wörner von der Universität Konstanz hebt hingegen der Gesetzentwurf – nebst dem Maßnahmen-Antrag – bei bleibender Pflichtberatung die Mängel der aktuellen Rechtslage weitgehend auf und setzt die Ergebnisse und Empfehlungen der Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin (KOMrSF) um. Die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs auf Verlangen bis zur 12. Woche und das Entfallen der Wartefrist sowie die Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs im Schwangerschaftskonfliktgesetz setzten internationale Maßgaben für Deutschland um, sagte sie. Es bedürfe des Strafrechts nur zum Schutz der Schwangeren vor nicht selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen gegen oder ohne ihren Willen sowie zum Schutz vor der Nötigung gleichermaßen zum Abbruch wie zu dessen Unterlassung.
Weitere Informationen zur Anhörung und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw07-pa-recht-schwangerschaftsabrueche-1038836
HiB Nr. 83, 10.02.2025