Das durch das Starkregenereignis im Juli 2021 ausgelöste Hochwasser, bei dem in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen mehr als 180 Menschen zu Tode kamen, zahlreiche weitere verletzt und traumatisiert wurden, wird nach den bislang vorliegenden Zahlen auch als die historisch schadenreichste Naturkatastrophe in Deutschland in die Geschichte eingehen. Enorme Sachschäden an Wohn- und Gewerbeimmobilien sind infolge des Unwetters zu beklagen. Zum Wiederaufbau von Gebäuden, aber auch von öffentlicher Infrastruktur haben Bund und Länder 30 Milliarden Euro bereitgestellt. Nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels darf man nicht darauf vertrauen, dass es sich hier um ein singuläres Ereignis handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner vielbeachteten Entscheidung zum Klimaschutz hervorgehoben, dass der Staat nicht nur die Pflicht hat, die Einhaltung der Klimaziele zu ermöglichen. Er muss zugleich Maßnahmen treffen, um die negativen Folgen des Klimawandels abzumildern (sogenannte Anpassungsmaßnahmen).
Minister der Justiz Peter Biesenbach: „Die verheerende Hochwasserkatastrophe 2021 hat gezeigt, dass wir es mit einer neuen Dimension von Schäden zu tun haben. Angesichts der geänderten klimatischen Bedingungen müssen wir davon ausgehen, dass sich solche Ereignisse wiederholen. Gleichwohl besitzt rund die Hälfte aller Wohnungseigentümer bislang keine Versicherung gegen Elementarschäden. Hier klafft eine große Versicherungslücke, die für die Betroffenen existenzbedrohend sein kann und bislang im Schadenfall häufig nur unter Einsatz öffentlicher Gelder teilweise geschlossen werden konnte. Wir müssen hierauf nicht nur mit präventiven Schutzmaßnahmen, sondern auch mit dem Instrument einer Pflichtversicherung für Elementarschäden bei Wohngebäuden reagieren. Ich habe mich schon im letzten Jahr unmittelbar nach der Hochwasserkatastrophe dafür stark gemacht. Ich persönlich halte eine Pflichtversicherung für Elementarschäden für wirtschaftlich geboten und im Grundsatz für verfassungsrechtlich zulässig.“
Für die allermeisten Fälle werden weder die Versicherungswirtschaft noch die Bürgerinnen und Bürger durch die Einführung einer Pflichtversicherung vor unzumutbare Herausforderungen gestellt werden. In Deutschland existieren rund 21 Millionen Gebäudeadressen. 98,5 Prozent dieser Gebäude wären in den niedrigen Gefahrenklassen 1 und 2 versicherbar, bei denen die durchschnittliche Versicherungsprämie zwischen 70 und 220 Euro pro Jahr beträgt. Nur 0,4 Prozent sind in der höchsten Gefahrenklasse 4 versichert, in der die durchschnittliche Jahresprämie bei circa 700 bis 800 Euro liegt.
Gleichwohl ist die Versicherungsquote unter den Wohngebäudeeigentümern nach wie vor noch zu gering: Bundesweit besitzt nur die Hälfte der Wohngebäudeeigentümer eine Elementarschadenversicherung. In Nordrhein-Westfalen sind dies 52 Prozent.
Diese Versicherungslücke führt zu erheblichen Herausforderungen. Die von Naturkatastrophen existentiell betroffenen und traumatisierten Bürgerinnen und Bürger können ohne Versicherungsschutz auch finanziell häufig vor dem Abgrund stehen. Da die Solidargemeinschaft vor der individuellen Not der Betroffenen und der Verwüstung ganzer Kulturregionen die Augen nicht verschließen kann, muss sie bislang mit steuerfinanzierten Mitteln helfen. Das System staatlicher Nothilfen wirft jedoch zunehmend Fragen auf, weil sich Extremwetterereignisse häufen. Zudem kann auch hinterfragt werden, warum – wie im Fall gewährter Nothilfen – die Allgemeinheit für die Schäden der Wohngebäude einstehen muss, wenn in den allermeisten Fällen private Versicherungen zu zumutbaren Prämien abgeschlossen werden können.
In der Vergangenheit hatten Arbeitsgruppen der Länder und des Bundes die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer Pflichtversicherung von Elementarschäden für Wohngebäudeeigentümer eher zurückhaltend bewertet. Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse haben die Justizministerinnen und Justizminister im Herbst 2021 auf Initiative Nordrhein-Westfalens um eine erneute, ergebnisoffene Prüfung der rechtlichen Zulässigkeit unter der Federführung der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gebeten. Der aktuelle Bericht der Länderarbeitsgruppe liegt den Justizministerinnen und Justizministern nun vor und wird auf der anstehenden Frühjahrskonferenz von diesen beraten.
Quelle: Justizministerium Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 31. Mai 2022