Wie und wo kann eine Aufarbeitung des NSU-Komplex stattfinden, welche Räume gibt es, welche Bedingungen braucht es dafür? Den zukünftigen Standort für das Pilotvorhaben eines Dokumentationszentrums zum NSU-Komplex in Chemnitz stellte heute das zivilgesellschaftliche Konsortium bestehend aus der Initiative Offene Gesellschaft e.V., dem RAA Sachsen und dem ASA-FF e.V. vor.

Damit ist ein bedeutender Meilenstein in der Aufarbeitung der Verbrechen der neonazistischen Vereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) erreicht. Die Präsentation fand in der ehemaligen Zentrale von EinsEnergie in der Augustusstraße in Chemnitz statt, in der die Eröffnung des Dokumentationszentrums Jahr 2025 geplant ist – parallel zur Auszeichnung Chemnitz‘ als Kulturhauptstadt Europas. Auf 1.300 Quadratmetern Fläche sollen die Ausstellung Offener Prozess, dazugehörige Bildungs- und Vermittlungsangebote, ein Forschungsbereich, ein Archiv sowie ein Versammlungsort zum Gedenken an die Opfer des NSU-Komplex entstehen.

Das Pilotvorhaben soll voraussichtlich in das bundesweite NSU-Dokumentationszentrum integriert werden, dessen konkrete Ausgestaltung aktuell das Bundesministerium des Innern und für Heimat gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) plant. Eine seitens der BpB erstellte Machbarkeitsstudie liegt seit Ende Februar 2024 vor und ist veröffentlicht. Bereits 2023 wurde eine sächsische Machbarkeitsstudie von ASA-FF und RAA Sachsen entwickelt, die die Grundlage für das Pilotvorhaben ist.

Das Vorhaben erfährt bundesweit breite Unterstützung durch herausragende Persönlichkeiten und Institutionen, darunter Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat, Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, und Katja Meier, Sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung (SMJusDEG).

Auch Gamze Kubaşık, Tochter von Mehmet Kubaşık, macht auf die Bedeutung des Vorhabens aufmerksam: »Die Stadt Chemnitz spielt eine große Rolle in der NSU-Mordserie. Chemnitz muss sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen und diese aufarbeiten. Daher ist es von hoher Wichtigkeit, einen Gedenkort in dieser Stadt zu errichten. Es muss einen Raum geben, in dem das Recht auf Wahrheit und Aufklärung gegeben ist – etwas das mir und meiner Familie jahrelang verwehrt wurde.«

Lydia Lierke, Projektleitung für die Bereiche Ausstellung, Rahmenprogramm und Bildung im Pilotvorhaben: »Der NSU-Komplex ist eine Zäsur in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Doch schon 11 Jahre nach dem Beginn des NSU-Prozesses wissen viele junge Menschen bereits nichts mehr darüber. Deswegen machen wir Bildungsarbeit für eine kontinuierliche Erinnerung. Die Opfer des NSU dürfen nicht vergessen werden. Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem, es darf kein Schlussstrich gezogen werden.«

Staatssekretärin Juliane Seifert: »Mit dem Pilotvorhaben setzt Sachsen ein wichtiges Zeichen zur Stärkung von Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Die Erinnerung an die rechtsterroristischen Morde des ‚NSU‘ dient nicht nur dem Rückblick. Sie ist auch eine Lektion für die Zukunft, neue Wachsamkeit zu entwickeln. Seit Ende Februar 2024 liegt eine Machbarkeitsstudie für ein bundesweites NSU-Dokumentationszentrum vor. Wir streben an, neben dem Dokumentationszentrum einen Verbund von dezentralen Erinnerungs- und Lernorten aufzubauen. Dort wollen wir das sächsische Vorhaben einbinden ebenso wie viele lokale und regionale Gedenkinitiativen im gesamten Bundesgebiet.«

Thomas Krüger: »Das Chemnitzer Pilotvorhaben für ein Dokumentationszentrum ist ein bedeutender Meilenstein für die weiterführende Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex. Es liefert uns wichtige Impulse für das Bundesvorhaben. Als Bundeszentrale für politische Bildung/bpb fördern wir bereits seit der Selbstenttarnung des NSU-Komplex bundesweit Projekte zur Aufarbeitung. Dazu gehört auch das Ausstellungsprojekt »Offener Prozess« des ASA-FF e.V. Auch für die Zukunft planen wir, Vorhaben in Sachsen und an anderen Orten zu unterstützen, die dem Gedenken an die Opfer und der weiterführenden Aufklärung des NSU-Komplex dienen. In der kürzlich veröffentlichten Machbarkeitsstudie der bpb zur Errichtung eines Erinnerungsortes sowie eines Dokumentationszentrums für die Opfer des NSU auf Bundesebene haben wir betont, dass das Dokumentationszentrum im Verbund mit dezentralen Orten entstehen soll. Wir standen dabei in engem Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen in Sachsen, die mit dem heute vorgestellten Pilotdokumentationszentrum einen ersten Schritt in Richtung unseres Vorhabens gehen.
Es muss der Forderung von Betroffenen, Zivilgesellschaft und Wissenschaft gerecht werden, den NSU-Komplex ausgehend von der langen Geschichte des Rechtsterrorismus und Rassismus nach 1945 aufzuarbeiten und das Gedenken an die Opfer aufrecht zu erhalten. Diese Verantwortung können wir nur gemeinsam tragen.«

Staatsministerin Katja Meier: »Wir tragen eine Verantwortung hinsichtlich der Aufarbeitung des NSU-Komplexes und der zukünftigen Verhinderung rassistisch motivierter Straftaten. In den letzten Jahren haben wir gemeinsam mit den zivilgesellschaftlichen Trägern in Sachsen, den Angehörigen und Betroffenen an der Entwicklung und Vorbereitung eines Ortes gearbeitet, an dem sowohl Erinnern als auch Dokumentation und Bildungsarbeit möglich sein werden. Ich bin froh, dass wir in Chemnitz einen angemessenen Ort gefunden haben, der im Rahmen der Kulturhauptstadt 2025 sowohl Platz als auch Raum bietet für eine kritisch-selbstreflexive Bildungsarbeit zur Auseinandersetzung mit Rassismus und Rechtsextremismus.«

Das Pilotvorhaben basiert auf langjährigen Vorarbeiten der sächsischen Zivilgesellschaft. Es soll als Labor für ein bundesweites Dokumentationszentrum dienen und später in das nationale Verbundsystem integriert werden. Finanziert wird das Pilotvorhaben für ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex in Sachsen aktuell mit Mitteln des SMJusDEG.

Hintergrund

Schwerpunkte der Arbeit der RAA in Sachsen – aber auch bundesweit – sind die Herstellung von mehr Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit für Kinder und Jugendliche, und die Förderung einer demokratischen Kultur in Schule und Gesellschaft sowie die Unterstützung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Struktur und Projekte werden dabei von Bund, dem Land, den Kommunen, Spenden sowie durch die Freudenberg Stiftung finanziert. Der RAA Sachsen arbeitet in ressort- und organisationsübergreifenden Kooperationen auf allen Ebenen von Schule, Jugendhilfe und Sozialem mit anderen Akteuren zusammen. Getragen ist die Arbeit von der Überzeugung, dass Herausforderungen nur mit Expertinnen und Experten verschiedener Professionen im Team gemeinsam angegangen werden können.
Die Konzeptionierung und Umsetzung der drei zentralen Anliegen Archiv, Forschung und Schutzraum für Betroffene rechter Gewalt, die im Rahmen der Machbarkeitsstudie entwickelt wurden, obliegen der RAA Sachsen.
Mehr unter: https://www.raa-sachsen.de

  • Der Verein ASA-FF e.V.

Der Verein ASA-FF sieht es als seine Aufgabe, mit diversen Mitteln – darunter politische Bildung, Kulturarbeit und der Förderung von sozialem Unternehmerinnentum, Demokratie zu stärken und Diversität sichtbar zu machen. Die hauptamtlichen Mitarbeitenden des Vereins arbeiten vor allem in Chemnitz und Sachsen, das Vereinsnetzwerk wirkt jedoch bundesweit, in manchen Projekten sogar global. ASA-FF e.V. ist der Trägerverein des Projektes Offener Prozess.
Der ASA-FF ist der maßgebende Akteur in den Bereichen Ausstellung, Rahmenprogramm, Gedenkorte und Vermittlung. Neben der Integration von der Ausstellung «Offener Prozess” ins Gesamtkonzept koordiniert er das Projekt »re:member the future«, in dem ein physischer Gedenkort in Chemnitz entsteht, der inhaltlich und organisatorisch an das PilotDZ angegliedert werden soll. Der ASA-FF arbeitet hierbei eng mit der Stadt Zwickau zusammen, die ebenfalls Gedenkorte plant.
ASA-FF e.V. ist zudem der Trägerverein des Projektes Offener Prozess.
Mehr unter: https://www.asa-ff.de

  • Das Projekt Offener Prozess

Im Projekt Offener Prozess werden Formate zur NSU-Aufarbeitung in Sachsen erarbeitet. Ziel ist, das komplexe Thema für ein breites Publikum verständlich und emotional ansprechend aufzubereiten. Gefördert werden soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex. Das Projekt versteht sich als Beitrag zum Gedenken an die Opfer des NSU. Entwickelt werden dazu u.a. eine Ausstellung, die einen Raum der Recherche und Archivierung schaffen wird, einen Raum für Begegnung, Vernetzung und Bildung. Weiterhin erarbeiten wir Formate, um das Thema dauerhaft im Schulunterricht zu integrieren. Offener Prozess vernetzt bereits bestehende Aufarbeitungsinitiativen und bezieht deren langjährige Arbeit ein. Das Projekt ist ein Beitrag zu einem lebendigen Erinnern, in dem für die Perspektiven der Betroffenen rechter Gewalt sensibilisiert wird und die Kontinuitäten und Entstehungsbedingungen rechtsterroristischer Strukturen ausgeleuchtet werden.
Mehr unter: https://offener-prozess.de

  • Der Verein Initiative Offene Gesellschaft e.V.

Die Initiative Offene Gesellschaft (IOG) ist eine gemeinnützige, unabhängige, zivilgesellschaftliche Organisation mit Sitz in Berlin. Ihre Mission ist die Stärkung von gesellschaftlichem Zusammenhalt und die Stärkung und Weiterentwicklung der pluralen Demokratie. Seit ihrer Gründung im Jahr 2016 hat sich die IOG als eine feste Größe im Bereich Dialog, Beteiligung und Demokratieförderung etabliert. Sie arbeitet eng mit Zivilgesellschaft, Kommunen, staatlichen Institutionen, Stiftungen und Kultureinrichtungen in ganz Deutschland zusammen.
Die Rolle der IOG ist vor allem die eines Facilitators. Sie hat die Federführung bei der Gestaltung, Koordination, Umsetzung und Realisierung des Projektes. Dafür wird sie die Arbeit der bislang beteiligten Akteure zusammenführen, geplante Bereiche einbinden und auf ein gemeinsames Ziel und Narrativ ausrichten.
Die Hauptaufgabe der IOG in diesem Bereich besteht in der Entwicklung eines Betriebskonzepts, das den aktuellen Projektstand einbezieht und auf das Projektziel, die fristgerechte und erfolgreiche Eröffnung des PilotDZ, ausgerichtet ist. Die gute Zusammenarbeit zwischen Projektpartnerinnen und -partnern, lokalen Vereinen, dem bestehenden Kreis aus Unterstützerinnen und Unterstützern und Kooperationspartnerinnen und -partnern und dem SMJusDEG wird durch gemeinsame Workshops, Beteiligungsprozesse und schnelle, konstruktive Kommunikation garantiert, die die IOG koordiniert.
Durch ihre Expertise im Bereich der demokratischen Partizipation ist die IOG in der Lage, auch kurzfristig, z.B. bei Änderungen innerhalb der Projektplanung oder bei Konflikten, weitere Perspektiven, auch von Außenstehenden, durch Beteiligungsprozesse in Konzept und Umsetzung aufzunehmen.
Die IOG übernimmt außerdem die Veranstaltungsplanung übergeordneter Veranstaltungen und die Aufbereitung der Erkenntnisse aus dem Entwicklungsprozess des PilotDZ für die Planung des permanenten DZ.
Mehr unter: https://offenegesellschaft.org

(c) SenJusDEG, 17.04.2024

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