Nach dem Bruch der Ampelkoalition wirft der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, der FDP und ihrem Vorsitzenden Christian Lindner mangelnde Kompromissbereitschaft vor. „Der Sargnagel war Lindners fehlende Kompromissbereitschaft“, sagte Fechner der Wochenzeitung „Das Parlament“. Bei vielen Fragen habe Lindner als Finanzminister „blockiert und die Mitarbeit verweigert“. Insofern sei die Entscheidung des Kanzlers richtig gewesen, fügte Fechner hinzu, auch wenn er sich gewünscht hätte, dass die Koalition noch wichtige Gesetze hätte beschließen können.
Der SPD-Parlamentarier wertete es als „Kernübel“ des Ampel-Bündnisses, dass bei Grünen und FDP zu oft die Bereitschaft gefehlt habe, ihrer eigenen Klientel Kompromisse zuzumuten. Das sei in der Großen Koalition von Union und SPD anders gewesen, „weil es darum ging, für das Land Verantwortung zu übernehmen“. Eine Lehre aus dem Scheitern der Ampel müsse sein, „dass als Grundvoraussetzung für stabile Regierungen jeder Partner bereit sein muss, seiner eigenen Klientel Kompromisse zuzumuten“. Das sei zum Ende der Ampel bei der FDP nicht mehr gegeben gewesen.
Das Interview im Wortlaut:
Frage: Herr Fechner, hatte Sie der Bruch der Ampel-Koalition am Mittwoch vergangener Woche überrascht?
Fechner: Eigentlich schon, weil ich gedacht habe, dass insbesondere die FDP so viel Verantwortung hat, zu sehen, dass unser Land noch wichtige Entscheidungen zur Entlastung der Unternehmen und der Bürgerinnen und Bürger braucht. Bei vielen Fragen hat der Finanzminister aber blockiert und die Mitarbeit verweigert. Insofern war die Entscheidung des Kanzlers richtig, auch wenn ich mir gewünscht hätte, die Ampel hätte noch wichtige notwendige Gesetze beschließen können.
Frage: Die Prämisse der Ampel war die Unterschiedlichkeit der drei Partner, die hatten alle Parteien zu Beginn betont. Letztendlich ist die Koalition an dieser Unterschiedlichkeit gescheitert. Hat der Rauswurf von Christian Lindner die Prämisse übergangen?
Fechner: Der Sargnagel war Lindners fehlende Kompromissbereitschaft. Zwar kommen wir aus unterschiedlichen Ecken, aber viele Dinge, die mit der Union nicht möglich waren, waren nur in dieser Ampelkonstellation durchsetzbar – beispielsweise die Verkleinerung des Bundestages, die Bürgerinnen und Bürger zu Recht eingefordert hatten.
Frage: Was zählt noch zu den Punkten, die die SPD nur mit der Ampel umsetzen konnte?
Fechner: Wir haben etwa lange Zeit in der GroKo für ein Deutschlandticket geworben, also einen einheitlichen Tarif für Bus und Bahn. Das war mit der Union aber nie möglich. In der Ampel haben wir es hinbekommen und jetzt 13 Millionen Abonnenten.
Frage: Nun wird ja oft geklagt, die Ampel habe viel erreicht, aber es nicht geschafft, ihre Erfolge auch entsprechend zu kommunizieren. War das ein Kernübel des Bündnisses?
Fechner: Das Kernübel war, dass bei Grünen und FDP zu oft die Bereitschaft gefehlt hat, ihrer eigenen Klientel Kompromisse zuzumuten. Das war in der GroKo anders, weil es darum ging, für das Land Verantwortung zu übernehmen.
Frage: Gleichwohl hat Sie das Aus der Ampel dann doch überrascht, wie Sie sagen. War aber der Haushalt für das kommende Jahr nicht spätestens die Soll-Bruchstelle, nachdem die Regierung es im Sommer nicht geschafft hatte, dem Bundestag einen durchfinanzierten Haushalt vorzulegen?
Fechner: Schwierigkeiten waren schon länger da. Aber ich war überrascht, dass insbesondere der Bundesfinanzminister so wenig Verantwortungsbewusstsein zeigte und die vom Bundeskanzler angebotenen Kompromisse etwa zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen nicht mitmachte. Wir hätten auch viele weitere Themen gehabt, aber wären zu Kompromissen bereit gewesen. In der Tat war schon im Sommer sichtbar, dass der Haushalt eine Herausforderung wird und die Gemeinsamkeiten immer schwieriger zu erkennen sind – eigentlich schon in den Diskussionen, nachdem der Klima- und Transformationsfonds von Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Mit diesem Urteil war schon ein wichtiger Pfeiler für die Ampel-Zusammenarbeit abhandengekommen.
Frage: Mittlerweile gibt es Einigkeit über den 23. Februar als Termin für Neuwahlen; am 16. Dezember soll der Bundestag über die Vertrauensfrage abstimmen. Zuvor hatte die SPD argumentiert, dass diese Abstimmung über die Vertrauensfrage vor dem ursprünglich vom Bundeskanzler genannten 15. Januar schon aus formalen Gründen zur Vorbereitung der Neuwahl unpraktikabel sei?
Fechner: Nein, das ist unzutreffend. Wir haben gesagt, im Januar zu wählen, mag von den Fristen des Grundgesetzes her möglich sein, ist aber faktisch unmöglich. Denn viele Kandidatinnen und Kandidaten sind noch nicht einmal nominiert. Dafür muss zu Nominierungsveranstaltungen mit Fristen eingeladen werden. Es müssen im Anschluss auf Landesparteitagen, zu denen Delegierte mit Einladungsfristen zu wählen sind, die Listen aufgestellt werden. All diese Wahlvorgänge müssen dann von Wahlbehörden geprüft werden. Erst dann können die Stimmzettel in Druck gehen und ausgeliefert werden. Das ist alles eine enorme zeitliche Herausforderung. Man kann es schaffen in ein paar Wochen, aber das ist extrem fehleranfällig. Wir sollten auf gar keinen Fall das Risiko einer Pannenserie eingehen, wie wir sie in Berlin bei der Bundestagswahl 2021 erlebt haben. Dort wurde das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Wahlvorgang, immerhin das zentrale Element in einer Demokratie, massiv geschädigt. Deshalb ist es gut, dass wir erst Ende Februar wählen.
Frage: Auch damit werden die vom Grundgesetz vorgegebenen Fristen nicht voll ausgeschöpft. Sehen Sie darin keine der geschilderten Risiken?
Fechner: Wir wollen so schnell wie möglich Neuwahlen, aber ohne Pannenrisiko. Wir haben mit der Bundeswahlleiterin gesprochen und wir haben mit Bürgermeistern gesprochen, und die haben uns signalisiert, dass die Risiken bei dem Termin Ende Februar beherrschbar sind. Weil uns die Praktiker und Experten sagen, dass sie den Termin 23. Februar schaffen, haben wir diesen Termin gewählt.
Frage: Auch nach dem Bruch der Ampelkoalition sollen im Bundestag noch einige Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden. Welche davon wären Ihnen besonders wichtig?
Fechner: Wir wollen noch in diesem Jahr Unternehmen entlasten. Wir wollen das Kindergeld erhöhen und für stabile Renten sorgen. Auch müssen wir in dieser Wahlperiode noch Bundestag und Bundesverfassungsgericht noch besser gegen Verfassungsfeinde absichern. Und weil wir bald Wahlkampf haben und dabei immer droht, dass Fraktionen – ich habe da insbesondere eine Fraktion im Auge – ihre Mittel für Öffentlichkeitsarbeit zur Parteienfinanzierung missbrauchen, wollen wir das Abgeordnetengesetz so verschärfen, dass solche veruntreuten Fraktionsmittel schnell zurückgefordert werden können.
Frage: Noch einmal zu den Unterschieden zwischen der Union einerseits sowie FDP und Grünen anderseits als Koalitionspartner: Was lehrt das vorzeitige Scheitern der Ampel – ist ein solches Dreierbündnis für die Bundesebene schlicht zu schwierig oder fehlt nur die Routine, damit umzugehen?
Fechner: Die Ampel regierte in sehr herausfordernden Zeiten. Herausforderungen wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine, die hohen Energiepreisen und vieles andere mehr. Das hatten frühere Regierungen nicht zu bewältigen. Eine Lehre daraus muss sein, dass als Grundvoraussetzung für stabile Regierungen jeder Partner bereit sein muss, seiner eigenen Klientel Kompromisse zuzumuten und so Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Das war zum Ende der Ampel bei der FDP nicht mehr gegeben.
Frage: Ist es für Sie bei künftigen Koalitionsbildungen ein Argument, ob man dabei mit einem oder mit zwei Partnern arbeiten muss?
Fechner: Das kommt darauf an, wer diese Partner sind und wie sie sich aufstellen. Dann spielt natürlich eine Rolle, wie kompromissbereit und verantwortungsvoll die Partner sind, damit man wirklich vier Jahre stabil regieren und unser Land voranbringen kann.
(c) Deutscher Bundestag, 15.11.2024