Die Alternative für Deutschland (AfD) stellt sich oft als bürgernahe Volkspartei dar. Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) belegt: Die Partei wird ihrem Selbstbild nicht gerecht – und ist viel weniger in der Bevölkerung verwurzelt, als sie vorgibt.
Heute vor zehn Jahren wurde die Alternative für Deutschland (AfD) gegründet. Seitdem hat sich der Fokus der damaligen stark westdeutsch geprägten „Professorenpartei“ nach Ostdeutschland verschoben. Das belegen nicht nur die Wahlergebnisse: Mittlerweile sind dort auch überproportional viele Mitglieder (26 Prozent) beheimatet. Allerdings hat die AfD bundesweit Schwierigkeiten, sich hinsichtlich der Mitglieder und Anlaufstellen in der Fläche zu verankern. Das Verhältnis von Anlaufstellen zu Bundestagsabgeordneten als ein Indikator für die organisationale Durchdringung ist mindestens um den Faktor viereinhalb schlechter als bei allen anderen Parteien, zeigt eine IW-Studie.
Partei wird eigenem Selbstverständnis nicht gerecht
Entgegen ihrer Selbstzuschreibung, das Ohr besonders nah am Volk zu haben, bildet die AfD unter den im Bundestag vertretenen Parteien mit nur 144 Anlaufstellen wie Wahlkreis-, Abgeordneten- und Bürgerbüros sowie Landes- oder Kreisgeschäftsstellen in der gesamten Republik mit deutlichem Abstand das Schlusslicht. Das wird besonders im Verhältnis zur Anzahl der Bundestagsabgeordneten deutlich. Die Erwartung, dass eine im Bundestag vertretene Partei – zumal mit dem Selbstbild der AfD – über einen entsprechenden organisatorischen Unterbau verfügt, wird enttäuscht: Auf einen MdB der AfD kommen im Schnitt lediglich 1,7 Anlaufstellen. Bei Bündnis 90/Die Grünen sind es schon 8,1, bei der FDP 9,8, bei der Linkspartei 13,9, bei der SPD 14,9 und in der Spitze bei der Union 15,8 Anlaufstellen pro MdB.
In anderen Worten: Schon im Vergleich mit der Partei mit den zweitwenigsten Anlaufstellen, der Linkspartei, wird deutlich, wie schwach die organisatorische Verankerung der AfD ist: Sowohl bundesweit wie auch in Ostdeutschland, wo beide Parteien besonders präsent sind, verfügt die AfD über jeweils 3,8 Mal weniger Anlaufstellen – und das bei mehr als doppelt so vielen Sitzen im Bundestag und fünf Mal so vielen Direktmandaten.
Im Osten gelingt die Verwurzelung in der Breite noch am ehesten
Dabei befinden sich 38 Prozent der AfD-Büros in Ostdeutschland, wo es der Partei wesentlich besser gelungen ist, Fuß zu fassen als im Westen. Und die Büros finden sich nicht allein in Sachsen und Thüringen, wo 14 von 16 Direktmandaten errungen wurden, sondern genauso in den anderen ostdeutschen Bundesländern.
„Der Weg von der westdeutschen Professorenpartei zur flächendeckenden Verankerung in Ostdeutschland war kurz“, sagt Mit-Studienautor Knut Bergmann. „Das Selbstbild der Partei, besonders volksnah zu sein, trügt mindestens hinsichtlich ihrer Verankerung in der Fläche.“ IW-Ökonom Matthias Diermeier fügt an: „Nach zehn Jahren steht die AfD im Westen klar in der Schmuddelecke. Im Osten dagegen scheint das Maß an enttäuschter Unzufriedenheit dermaßen groß, dass selbst radikale Positionen dort eher einen Platz in der Mitte der Gesellschaft finden.”
Zur Methodik:
Da eine Statistik zur Anzahl und geographischen Verteilung von Anlaufstellen der Partei nicht einmal bei der Bundes-AfD existiert, wurden die Daten anhand von Google Nearby Search API maschinell ausgelesen. Im Fokus stehen dabei alle Orte, die in Google als „Politische Parteien“ gelabelt sind. Dieses Vorgehen garantiert keine fehlerlose Treffsicherheit und unterschätzt vermutlich die tatsächliche Anzahl an Anlaufstellen; die stichprobehafte Überprüfung deutet jedoch auf eine valide Approximation der Verteilung von Anlaufstellen hin. Die weitergehende Klassifikation der aufgefundenen 10.102 Anlaufstellen in Deutschland nach Parteiaffiliation erfolgte über stichwortbasierte Positivlisten basierend auf der String-Methode sowie eingelesenen Listen von Bundes- und Landtagsabgeordneten. Nicht klassifizierte Büros wurden manuell kodiert. Insgesamt 8.735 Ablaufstellen konnten so den derzeit im Bundestag vertretenen Parteien zugeordnet werden.
Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft, Pressemitteilung vom 6. Februar 2023