Überregionale und internationale Entwicklungen bestimmen zunehmend, wie Feinde der freiheitlichen Demokratie agieren. Das belegt der Verfassungsschutzbericht 2023, der heute veröffentlicht wurde. Die von extremistischen Akteuren bediente Themenpalette reichte 2023 vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dem Nahostkonflikt über Migration, der Wirtschaftslage in Deutschland bis hin zur Energie- und Klimapolitik. Gezielte Desinformation greift dabei Raum.

Im Fokus steht der häufig als „System“ abgewertete Staat mit dem Ziel, ein vorgebliches Scheitern des Staates zu propagieren und ihn zu destabilisieren. Eigene Positionen werden als jene der Mehrheit idealisiert. Mit vermeintlich einfachen – oft gegen Grundprinzipien der freiheitlichen Demokratie verstoßenden – Ansätzen will man glauben machen, äußerst komplexe Sachlagen klären zu können.

Gefährdung durch Rechtsextremismus ungebrochen hoch

Der rechtsextremistischen Szene Thüringens werden zirka 2.880 Personen zugerechnet. Im Spektrum der rechtsextremistischen Parteien dominiert die AfD Thüringen, was sich auch in personellem Zuwachs (auf zirka 1.650 Personen) ausdrückt. Ihrem völkisch-nationalistischen Ziel eines ethnisch-homogenen Staatsvolks entsprechend ist ihr Agieren von den Themen „Anti-Asyl“ und Migration geprägt. Mit den Forderungen nach „millionenfacher Remigration“ und „Rückabwicklung“ von erworbenen deutschen Staatsangehörigkeiten treten ihre rassistischen und rechtsstaatswidrigen Positionen offen zu Tage. Die Jugendorganisation „Junge Alternative Thüringen“ folgt diesem Kurs mit Parolen wie „Deutsche Jugend fordert Remigration“.

Große Besorgnis erweckt zudem, dass nationalsozialistischer Sprachgebrauch innerhalb der Partei zur Verharmlosung der NS-Zeit insgesamt beiträgt und Unsagbares dadurch scheinbar salonfähig wird – auch über die AfD hinaus. Die AfD will den politischen Debattenraum für rechtsextremistische Positionen öffnen. Nach dem Konzept der „kulturellen Hegemonie“ soll eine Vielzahl von Einzelakteuren in losen Bündnissen und mit unterschiedlichsten Vorgehensweisen schleichend Positionen, die sich gegen unsere freiheitliche Demokratie richten, verbreiten, sie „normalisieren“ und sukzessive politisch mehrheitsfähig machen. Dieser Ansatz verfängt auch in Thüringen. So etwa im Zuge des Protestgeschehens im Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung. Die AfD übernahm hier mitunter die organisatorische Verantwortung.

Die übrigen in Thüringen vertretenen rechtsextremistischen Parteien „Die Heimat“ (vormals NPD) und „Der III. Weg“ erreichen kaum mehr öffentliche Wahrnehmung, das Mitglieder- und Anhängerpotenzial stagniert auf niedrigem Niveau. Der Thüringer Landesverband der „Neue Stärke Partei“ erklärte im November 2023 seine Auflösung.

Anders verhält es sich in den Bereichen des parteiunabhängigen und des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Spektrums. Hier ist neben einem personellen Aufwuchs von insgesamt zirka 130 Personen auch ein gewisses Maß an öffentlichkeitswirksamer Betätigung feststellbar. Die Aktionen werden häufig durch mediale Inszenierungen begleitet, um ihre Reichweite zu erhöhen.

Rechtsextremistische Musikfestivals sind aufgrund repressiver Maßnahmen seit 2019 Geschichte. Doch kleinere Musikveranstaltungen erfahren nach den Jahren mit Corona-Schutzmaßnahmen wieder deutlichen Zuspruch. In Thüringen fanden 2023 mehr als 20 „Liederabende“ statt. Zwei rechtsextremistische Konzerte wurden polizeilich aufgelöst. Auffällig auch hier: Rechtsextremistische Liedermacher versuchen „Graubereiche“ für sich zu erschließen. Die in Teilen der Bevölkerung bestehende allgemeine Unzufriedenheit findet sich in den Liedtexten wieder und wird zielgerichtet forciert. Auftritte bei den von Akteuren der entsprechenden Protestbewegung organisierten Veranstaltungen zielen genau darauf ab.

Nicht zu unterschätzen bleibt der Einfluss regional aktiver Einzelakteure. Sie verbinden das vorgebliche Engagement für die Heimatregion mit der Verbreitung rechtsextremistischer Botschaften und verfolgen mit ihren Aktionen zunehmend auch eigene kommerzielle Interessen. Dessen ungeachtet erfahren sie mit ihrer „Kümmerstrategie“ mehr Zuspruch in Teilen der Bevölkerung als früher.

Das strategische oder zumindest thematische Zusammenwirken der Einzelspektren trägt zu einer starken Polarisierung innerhalb der Bevölkerung bei. Dabei fällt auf: Extremistische Positionen werden häufig nicht mehr als solche wahrgenommen, werden verharmlost oder gar als Lösung für die Herausforderungen der Gegenwart angesehen. Um dem entgegenzuwirken, sind die Mechanismen der wehrhaften Demokratie gefordert, wie lange nicht.

Leugnen und Verächtlichmachen von Staat und Institutionen

Das Potenzial der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ bewegt sich mit zirka 1.000 Personen auf konstant hohem Niveau. Die Szene ist äußerst heterogen, ihr ideologisches Fundament ebenso. Von tiefem Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen sowie von Verschwörungsglaube geprägt wähnen sie sich ermächtigt, nach eigenen Regeln außerhalb des staatlichen Gefüges leben zu dürfen. Diese Selbstermächtigung reicht mitunter bis zur Gewaltandrohung gegenüber Behördenvertretern oder im äußersten Fall auch zu Umsturzplänen unter Einsatz von Waffengewalt. Bekanntestes Beispiel mit Bezügen nach Thüringen ist die „Gruppe Reuß“. Am 11. Dezember klagte der Generalbundeswalt mehr als 20 der Gruppe zuzurechnende Personen wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens an.

Überregional aktive „Reichsbürger“-Gruppierungen wie der „Vaterländische Hilfsdienst“ halten Treffen in Thüringen ab. Das „Königreich Deutschland“ verfügt auch hier über Anhänger und inzwischen auch eine Immobilie in Gera.

Das staatliche System durch systematische Verächtlichmachung seiner Institutionen, Verfahren und Repräsentanten insgesamt zu erschüttern, ist Ziel der Akteure im Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates (VDS). Die Szene lebt von kontroversen gesellschaftlichen Debatten, spricht daher auch Anhänger anderer Extremismusbereiche an. Daraus erwächst eine sehr heterogene Gemengelage, die durch reichenweitenstarke virtuelle Agitation zusätzlich angeheizt wird. Verschiedene Verschwörungserzählungen bilden die ideologische Basis. Die Vorstellung, Stimme einer Massenbewegung zu sein, hält sich ungeachtet einer 2023 insgesamt abflachenden Protestbewegung. An einigen Orten hat sie sich auf einen extremistischen Kern reduziert. Unterstützung fanden VDS-geprägte Proteste auch durch die AfD Thüringen.

(c) IM Thüringen, 24.10.2024

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