Die Anzahl der politisch motivierten Straftaten ist 2023 in Niedersachsen im Vergleich zum Vorjahr (5.124 Taten) um etwa zehn Prozent auf 4.596 Taten erneut gesunken. Die Anzahl liegt allerdings weiterhin deutlich über dem Zehnjahresmittelwert von 3.998 Taten.
Die maßgeblichen Gründe für den Rückgang stellen die geringeren Nachwirkungen der COVID-19-Pandemie sowie des seit mehr als zwei Jahren andauernden Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine dar. Darüber hinaus gab es in Niedersachsen im vergangenen Jahr keine überregionalen Wahlen, die in der Regel dazu führen, dass mehr politisch motivierte Straftaten registriert werden. So ist allein der Anteil der Taten, die in einem direkten Zusammenhang mit diesen Ereignissen standen, von 1.761 auf 268 deutlich gesunken.
Mit Blick auf die verschiedenen Phänomenbereiche erklärt sich der Rückgang der Fallzahlen in Niedersachsen vor allem durch die zum Teil deutlich rückläufigen Zahlen der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) in den Bereichen „sonstige Zuordnung“ und „links“. Mit einem deutlichen Anstieg bildet der Phänomenbereich „rechts“ wieder den größten Anteil an der PMK insgesamt und weist den zweithöchsten Wert im Zehn-Jahresvergleich auf. Neu hinzugekommen sind im vergangenen Jahr zudem Straftaten, die in einem direkten Zusammenhang mit dem Terrorangriff der Hamas auf den Staat Israel und der militärischen Reaktion der Netanjahu-Regierung stehen. Hier wurden 2023 insgesamt 237 Taten registriert, die häufig einen antisemitischen Hintergrund hatten.
Die Niedersächsische Ministerin für Inneres und Sport, Daniela Behrens, erklärt zur PMK-Statistik 2023: „An der Statistik zur PMK können wir sehr genau ablesen, was die Menschen in Niedersachsen politisch umtreibt und was dann bei einem Teil der Bevölkerung dazu führt, dass Straftaten begangen werden. Der aktuelle Rückgang der PMK ist vor diesem Hintergrund jedoch nicht geeignet, das nach wie vor hohe Niveau der politisch motivierten Straftaten zu relativieren. Vielmehr zeigt die Statistik: Die fundamentalen Werte unseres Zusammenlebens werden von unterschiedlichen Gruppen aus den unterschiedlichsten Gründen abgelehnt und aktiv angegriffen. Deshalb müssen wir die Wehrhaftigkeit unserer Demokratie stärken. Dazu gehören gut aufgestellte Sicherheitsbehörden. Die Polizei Niedersachsen steht jeden Tag ganz unmittelbar für diese Werte ein und verteidigt sie, dafür danke ich allen Beschäftigten sehr!
Zudem brauchen wir aber auch eine wache Bevölkerung. Wir werden den Demokratiefeinden in unserer Gesellschaft nur dann die Stirn bieten können, wenn neben dem Staat und seinen Sicherheitsbehörden auch die anständigen und aufrechten Demokratinnen und Demokraten, wenn auch die Bürgerinnen und Bürger, ihren Beitrag leisten! Dazu gehört es, auch im privaten Umfeld, im Internet, in der Kneipe oder auf dem Sportplatz zu widersprechen, wenn unser Rechtsstaat, aber auch Politikerinnen und Politiker oder andere Menschen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, pauschal verächtlich gemacht, herabgewürdigt oder beschimpft werden.“
Wie in den Jahren zuvor wurde das Personal sowohl im Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA) als auch bei den Fachkommissariaten Staatsschutz in den Polizeidirektionen weiter verstärkt.
Ministerin Behrens: „Im vergangenen Jahr wurden entscheidende Veränderungsprozesse erfolgreich umgesetzt. Wir haben Bürokratie abgebaut, Regelungen vereinfacht und Ressourcen zur Bekämpfung der PMK gebündelt. Dies führt zu einer weiteren Professionalisierung und gezielteren Aufgabenwahrnehmung in diesem Bereich. Die Einführung eines flächendeckenden Gefährdungsmanagements hat sich bewährt. Die speziell für den Aufgabenbereich der Präventionsarbeit ausgebildeten Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter leisten vor Ort mit vielen weiteren Akteuren unglaublich wichtige Netzwerkarbeit.“
Die Anzahl der Gewaltstraftaten der PMK ist im vergangenen Jahr auf 192 (2022: 296) zurück gegangen und liegt damit unter dem Zehn-Jahresmittelwert von 242. Den größten Anteil bilden dabei trotz einer Halbierung wieder 73 Gewaltstraftaten mit einer Tatmotivation der sonstigen Zuordnung (2022: 150), gefolgt von 63 Gewaltdelikten (2022: 69) mit einer rechten Tatmotivation. Im Bereich „links“ haben sich die Gewaltdelikte von 65 im Vorjahr auf 35 für 2023 nahezu halbiert.
Die Anzahl antisemitischer Straftaten als Teil der Hasskriminalität ist von 216 Taten im Vorjahr auf 349 angestiegen. Davon sind 244 rechtsmotiviert, gefolgt von 67 Taten mit ausländischer Ideologie.
Ministerin Behrens: „Wir haben es gerade im Bereich antisemitischer Straftaten mit einem deutlichen Anstieg zu tun, der mich beschämt und den wir vor dem Hintergrund unserer Geschichte niemals tolerieren oder achselzuckend zur Kenntnis nehmen dürfen! Auch hier ist der weit überwiegende Teil einer rechten Tatmotivation zuzuschreiben. Aber auch die aktuelle Situation im Nahen Osten – ausgelöst durch den furchtbaren Terrorangriff der Hamas auf den Staat Israel – hat einen deutlichen Einfluss, den wir beim Namen nennen müssen. Jede dieser Taten ist eine zu viel und wir sind uns in der Landesregierung einig, dass wir in Niedersachsen jede dieser Taten schnellstmöglich ermitteln und konsequent bestrafen wollen!“
Die Straftaten gegen Amts- und Mandatstragende sind von 537 auf 445 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Davon waren 67 rechts- und 30 linksmotiviert. In 338 Fällen konnte keine Zuordnung erfolgen.
Innenministerin Behrens: „Die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatstragende ist zwar rückläufig, aber leider immer noch deutlich zu hoch. Der Rückgang dürfte zudem auch damit zu tun haben, dass wir im vergangenen Jahr in Niedersachsen keine größeren Wahlen hatten. Wir erleben derzeit eine Verrohung der politischen Auseinandersetzung, die mit einer dramatisch steigenden Zahl von Hasspostings im Netz beginnt und sich über Sachbeschädigungen und Pöbeleien auf der Straße bis zu brutalen Gewalttaten wie gegen die Wahlkämpfenden in Dresden am vorvergangenen Wochenende entlädt. Die Polizei Niedersachsen hat in den vergangenen Jahren über eine Aufklärungskampagne für Amtsträgerinnen und Amtsträger und Ehrenamtliche bereits ein flächendeckendes Beratungsangebot mit festen Ansprechpartnern etabliert, welches wir weiter ausbauen werden.“
Bei der Hasskriminalität im Bereich der LSBTIQ, frauen- und männerfeindlichen Straftaten, wurden im Jahr 2023 insgesamt 195 Fälle erfasst. 2022 waren es noch 109.
Ministerin Behrens: „Einen besonders hohen Anstieg haben wir leider bei Straftaten zu verzeichnen, die gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität und Orientierung oder wegen ihres Geschlechts begangen werden. Sie werden zu einem hohen Anteil durch Hasspostings im Internet begangen. Allerdings hat sich in diesem Bereich auch die Zahl der Gewalttaten erhöht. Auch hier zeigt sich einmal mehr der Verrohungseffekt, dass aus hasserfüllter Sprache Gewalttaten werden. Zwar ist es gut, dass diese Taten nun häufiger angezeigt und damit aus dem Dunkel- in das Hellfeld überführt werden, aber mir ist wichtig zu betonen: Wir werden nicht zulassen, dass Menschen in Niedersachsen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts zum Opfer von Straftaten werden! Die Polizei Niedersachsen ist hier stark sensibilisiert und aufmerksam.“
Zu den einzelnen Phänomenbereichen:
PMK „rechts“
Im Bereich der PMK „rechts“ sind die Taten von 1.844 auf 2.313 deutlich angestiegen und bilden wieder den größten Anteil aller PMK-Delikte. Bei über der Hälfte der Taten handelt es sich um Propagandadelikte durch das öffentliche Zeigen bzw. Aufbringen von verbotenen Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, wie beispielsweise Hakenkreuze und SS-Runen.
Die Zahl der rechtsmotivierten Gewaltdelikte ist im Jahr 2023 von 69 Taten auf 63 um sechs Fälle zurückgegangen. Unter den 63 Gewaltdelikten befinden sich 38 einfache und 15 gefährliche Körperverletzungen, sowie vier Brandstiftungen, die in drei Fällen einen ausländer-/fremdenfeindlichen Hintergrund hatten.
Die Straftaten im Zusammenhang mit der Ausländer-/Asylthematik haben sich mit 235 zu 110 Taten aus dem Vorjahr mehr als verdoppelt. In 167 Fällen sind diese aus einer rechten Tatmotivation heraus begangen worden.
Innenministerin Behrens: „Bei allen Veränderungen, die sich aus den Ereignissen des vergangenen Jahres in der Statistik ergeben haben, bleibt eine einfache Wahrheit aktuell wie nie: Die größte Gefahr für unseren Rechtsstaat geht ganz klar von rechts aus! Die Straftaten im Phänomenbereich der PMK -rechts- bilden erneut den größten Anteil an den Gesamtstraften und erreichen den zweithöchsten Wert im Zehn-Jahresvergleich. Ausschlaggebend für diese Steigerung sind fremden- und ausländerfeindliche sowie antisemitische Straftaten. Diese Entwicklung ist beunruhigend und sie ist gefährlich. Rechtspopulistische Themen werden zusehend hoffähig gemacht und zutiefst menschenverachtende und illegale Vorschläge zum Umgang mit Migrantinnen und Migranten als legitime politische Forderungen verkauft. An den Zahlen der PMK zeigt sich, dass auf diesem Nährboden aus solchen Worten rechte Straftaten werden. Die Verdoppelung der Zahlen und der überproportional hohe Anteil an rechten Straftaten gegen Geflüchtete sind ein ernstes Alarmsignal.“
PMK „links“
Diesen Phänomenbereich prägend sind weitüberwiegend Sachbeschädigungen (253) in Form von Graffiti im öffentlichen Raum, die oft einen antifaschistischen Hintergrund haben. Die Gesamtzahlen sind wieder zurückgegangen und erreichen mit 526 Taten den niedrigsten Wert im Zehn-Jahresvergleich.
PMK „sonstige Zuordnung“
Alle Fälle, die nicht unmittelbar einem spezifischen Phänomenbereich zu geordnet werden können, werden unter „sonstige Zuordnung“ in der PMK-Statistik erfasst. Das sind vielfach auch Taten von Reichsbürgern oder sogenannten Selbstverwaltern. Die Anzahl der Straftaten im Bereich der PMK „sonstige Zuordnung“, also der Delikte, die politisch motiviert aber keinem spezifischen Phänomen zuzuordnen waren, ist im Jahr 2023 mit 1.268 Taten um 46 Prozent gesunken (2022: 2.358).
Eine Auffälligkeit bildet auch weiterhin das Phänomen der selbsternannten Reichsbürger und Selbstverwalter. Die Anzahl der Straftaten in diesem Bereich hat sich um 47 verringert, sie liegt jetzt bei 154 (2022: 201). Dabei hat es sich häufig um Beleidigungen (26) und Nötigungen (28) gehandelt; es waren aber auch 17 Gewaltdelikte zu verzeichnen. In 41 Fällen waren die Taten rechtsmotiviert.
Innenministerin Behrens: „Diese extrem heterogene Szene aus Verschwörungstheoretikern, Impfverweigerern und Coronaleugnern, die an vielen Stellen bereits bis in die bürgerlichen Milieus hineinreicht, hat durch das Ende der Corona-Pandemie zwar ein Stück weit an Zulauf verloren, ist aber in Teilen nach wie vor hochgefährlich. Es bleibt daher eine der maßgeblichen Aufgaben aller Sicherheitsbehörden, vor allem aber auch unserer Polizei, diese Szene sehr genau im Blick zu behalten.“
PMK „ausländische“ und „religiöse Ideologie“
Für den Bereich der ausländischen Ideologie sind die Taten von 164 aus dem Vorjahr auf 402 Taten deutlich angestiegen. Sie haben damit einen neuen Höchststand im Zehn-Jahresvergleich erreicht. Ausschlaggebendes Ereignis hierfür ist der Terrorangriff der Hamas auf Israel. Die Taten lassen sich zumeist einer israel- oder judenfeindlichen bzw. pro-palästinensisch geleiteten Ausrichtung zuordnen. Im Bereich der religiösen Ideologie hat die Bedrohung durch den islamistisch geprägten Extremismus/Terrorismus weiterhin eine herausragende Bedeutung. Die Anzahl der in diesem Zusammenhang registrierten Straftaten ist im Vergleich zum Vorjahr von 55 auf 87 angestiegen. Alle in Niedersachsen erfassten terroristischen Straftaten sind aus einer religiösen Tatmotivation heraus begangen worden. Im Zehn-Jahresvergleich liegt mit neun Taten erstmals ein Tiefstand im einstelligen Bereich vor. Innenministerin Behrens: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich ein kleiner Teil insbesondere junger Menschen mit Migrationshintergrund offenbar von unserer Demokratie abwendet und radikalen religiösen oder weltlichen Ideologien folgt, die unsere westliche Kultur in Gänze ablehnen. Diese Entwicklung dürfen wir nicht schönreden und schon gar nicht tolerieren! Zwar ist die Anzahl der terroristischen Straftaten im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen und weist nach dem Vorjahr wieder den niedrigsten Wert im Zehn-Jahresvergleich auf. Allerdings haben alle Taten erstmals ausschließlich eine Tatmotivation in einer religiösen Ideologie. Der islamistisch motivierte Terrorismus stellt vor diesem Hintergrund auch weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar, die wir nachhaltig und mit höchster Priorität bekämpfen. Dazu gehört aktuell insbesondere der Umgang mit Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus den sogenannten Jihad-Gebieten.“
(c) IM Niedersachsen, 13.05.2024