Der Hessische Innenminister Peter Beuth hat auf der Frühjahrskonferenz der Innenminister in Würzburg zu bundesweit verstärkten Anstrengungen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und der Verbreitung von Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie Kinderpornografie aufgerufen. Konkret fordert Peter Beuth, dass zum Schutze überwiegend minderjähriger Opfer die Löschung im Internet noch vorhandener Dateien (Fotos, Videos, etc.) frühestmöglich und bundesweit zentral koordiniert erfolgen muss.
Mit Bezug auf die aktuellen Ermittlungen in Nordrhein-Westfalen betonte Peter Beuth, der auch Sprecher der unionsgeführten Innenministerien in der Bundesrepublik ist: „Die Aufdeckung schwerster Missbrauchsfälle in Wermelskirchen machen uns fassungslos. Der Komplex zeigt erneut, dass unseren Sicherheitsbehörden dringend weitere Instrumente benötigen, um diese barbarischen Gräueltaten möglichst frühzeitig zu verhindern. Es darf nicht bei der Diskussion um die Vorratsspeicherung und Löschfristen bleiben, es müssen rasch pragmatische Lösungen her. Der Datenschutz ist und bleibt ein hohes Rechtsgut, aber er darf nicht als erstes Hindernis gegenüber dem Schutz von Leib und Leben unserer Kinder stehen.“
Wer Kinder sexuell missbrauche, müsse mit der gesamten Macht des Staates kompromisslos bekämpft und verfolgt werden. „Angesichts der Tatsache, dass mehr als 60 Prozent des weltweit verschickten Datenmaterials mit Missbrauchsdarstellungen von Kindern auf Servern in der Europäischen Union festgestellt werden, besteht hier dringender Handlungsbedarf. Denn unser gemeinsames Ziel, diese skrupellosen Straftäter und die damit verbundenen pädokriminelle Netzwerke im In- und Ausland noch zügiger ausfindig zu machen, um sie hinter Schloss und Riegel zu bringen. Hierbei ist völlig unstrittig, dass die Sicherheitsbehörden die Missbrauchsdarstellungen rechtssicher identifizieren und sichern müssen, um die Strafverfahren nicht zu gefährden. Es ist aber gleichzeitig unsere gemeinsame Verpflichtung die ohnehin bereits stark traumatisierten und wehrlosen Opfer vor weiteren Sexualstraftätern im Netz zu schützen. Es ist nicht hinnehmbar, dass diese abscheulichen Darstellungen zum Teil noch Jahre nach der Tat abrufbar im Internet sind“, erklärte der Hessische Innenminister. Das Bundeskriminalamt solle als Zentralstelle, diese Löschungen und Abstimmungen zwischen Strafverfolgungsbehörden im In- und Ausland koordinieren, damit die Sicherheitsbehörden bundesweit koordiniert und noch schlagkräftiger gegen Kindesmissbrauch und der Verbreitung seiner Darstellung vorgehen können.
Worum geht es in der hessischen Initiative?
Die Löschung von Dateien mit Darstellungen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen sowie von kinder- und jugendpornografischen Inhalten im Internet sollen künftig nicht allein von den individuellen Verfahrensweisen der ermittlungsführenden Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften abhängig sein, sondern proaktiv gesichtet, für Strafermittlungen gesichert und aus den Plattformen gelöscht werden. Bislang bleiben solche Dateien aufgrund der besonderen Online-Architektur von sogenannten pädokriminellen Plattformen teilweise jahrelang im Internet verfügbar. Selbst nach Löschung der entsprechenden Plattformen können die Dateien aufgrund der breiten Streuung innerhalb der pädokriminellen Szene im Internet abrufbar sein, da auf den entsprechenden Plattformen bspw. im Darknet oftmals eine Verlinkung auf die ausgelagerten Speicherorte der Daten (Download-Link) stattfindet. Damit auch diese Speicherorte erfasst und zugleich Strafermittlungen erfolgreich geführt werden können, bedarf es eines abgestimmten, zielgerichteten und bundesweit koordinierten Ansatzes. Denn die weiterhin bestehende Verfügbarkeit dieser Daten im Internet lässt die Opfer auch nach der Tat noch weitere Male zu Opfern werden.
Bundesweite Verdopplung der Fallzahlen
In den letzten Jahren sind weltweit und auch in Deutschland schockierende Verbrechen im Bereich Kinderpornografie und dem sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen aufgedeckt worden. Laut Bundeskriminalamt wurden im vergangenen Jahr in mehr als 39.000 Fällen von Kinderpornografie Anzeige erstattet. Im Vorjahr waren es bundesweit rund 18.800 Anzeigen. Auch die Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch stiegen um 6,3 Prozent auf mehr als 15.500 registrierte Straftaten an. Die Sicherheitsbehörden gehen allerdings von einem vielfach höheren Dunkelfeld aus. In vielen Fällen erhalten die Ermittlungsbehörden Hinweise von Internetdienstleistern oder der US-amerikanischen Organisation „National Center for Missing and Exploited Children“ (NCMEC), die von Internetprovidern über Missbräuche im Zusammenhang mit Kinderpornografie informiert wird. Alleine im vergangenen Jahr wurden hessenweit im Durchschnitt an jedem Tag mehr als drei Beschlussvollstreckungen durchgeführt, um pädokriminellen Täterinnen und Tätern habhaft zu werden. Dabei gehen die Ermittlerinnen und Ermittler besonders akribisch jeder Verdachtsmeldung nach.
BAO FOKUS: Mehr als 2.300 Durchsuchungen in Hessen
Über die wichtige Präventionsarbeit der Polizei hinaus werden Sexualdelikte z. N. von Minderjährigen in Hessen mit aller Härte des Rechtsstaates verfolgt. Seit dem 1. Oktober 2020 bündelt und intensiviert die BAO FOKUS die polizeilichen Maßnahmen gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie in Hessen. In dieser Zeit wurden hessenweit bereits mehr als 2.300 Durchsuchungen durchgeführt, 29 Haftbefehle vollstreckt und über 38.000 Datenträger (PCs und Notebooks, externe Speichergeräte, Spielekonsolen, CDs/DVDs und mobile Endgeräte) sichergestellt. Zudem erfolgten bei mehr als 1.000 Beschuldigten erkennungsdienstliche Maßnahmen und knapp 650 Beschuldigte wurden unmittelbar nach der Durchsuchung vernommen. Den Beschuldigten werden insbesondere sexueller Missbrauch von Kindern oder Erwerb und Besitz von Kinder- und Jugendpornografie vorgeworfen. Zur Verfolgung von Sexualstraftätern setzt die BAO auch Zielfahnder ein.
Landesregierung investiert vier Millionen für neue Forensikplattform
Darüber hinaus entwickelt das Hessische Landeskriminalamt und der INNOVATION HUB 110 des Hessischen Präsidiums für Technik zurzeit gemeinsam eine Forensikplattform, um die Bekämpfung von Kinderpornografie weiter zu verbessern. Vier Millionen Euro stehen für diese moderne IT-Infrastruktur bereit und sind im Haushalt der Hessischen Landesregierung fest hinterlegt. Daten können so deutlich schneller und zielgerichteter ausgewertet werden – dies ermöglicht Täternetzwerke zu enttarnen und Täter schneller festzunehmen, um Missbrauch von Kindern wirkungsvoll zu verhindern. Durch die weltweite Verbreitung und Verfügbarkeit von kinderpornografischen Darstellungen im Internet stellt allein die Anzahl an Datenträgern bzw. Flut an Datenmaterial, die bei jeder Durchsuchungsmaßnahme sichergestellt und ausgewertet werden müssen, die Ermittler permanent vor große Herausforderungen.
Beratungs- und Hilfehotline der Polizei Hessen
Aufgrund der signifikanten Fallsteigerung gerade bei jungen Menschen haben das Hessische Innenministerium und die hessische Polizei reagiert und eine hessenweite Beratungs- und Hilfehotline zur Prävention und Aufklärung über die Verbreitung von Kinder- und Jugendpornografie eingerichtet. Seit Anfang diesen Jahres können sich hilfesuchende Eltern und junge Menschen vertrauensvoll unter der Rufnummer 0800 – 55 222 00 an die Präventionsexperten der hessischen Polizei wenden*. Hintergrund ist vor allem, dass immer häufiger – meist unbedarft – einschlägige Bilder und Videos von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden über soziale Netzwerke sowie Messenger-Dienste wie WhatsApp, Facebook, Snapchat, tiktok oder Instagram verbreitet werden.
Hintergrund:
In Hessen wurden im vergangenen Jahr insgesamt 7.333 Sexualstraftaten registriert. Dies entspricht einer Steigerung von 31,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Aufklärungsquote befindet sich nach wie vor mit rund 88,2 Prozent auf einem hohen Niveau (2020: 86,7 Prozent). Der Kampf gegen Kindesmissbrauch sowie gegen die Verbreitung von Kinderpornografie hat für das Land Hessen höchste Priorität. Eine Besondere AufbauOrganisation (BAO) FOKUS (Fallübergreifende Organisationsstruktur gegen Kinderpornografie Und Sexuellen Missbrauch von Kindern) der hessischen Polizei bündelt seit Oktober 2020 alle strategischen und polizeilichen Maßnahmen, um Kindesmissbrauch und Kinderpornografie in Hessen mit aller Härte zu bekämpfen.
Lange Verjährungsfristen bei sexuellem Kindesmissbrauch
Die strafrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuellem Kindesmissbrauch ruhen bis zum vollendeten 30. Lebensjahr des Opfers. Die Verjährungsfristen für sexuellen Kindesmissbrauch betragen dann, je nach Schwere der Tat, zwischen fünf und 20 Jahren. Opfer können also auch noch im Erwachsenenalter Taten aus der Kindheit zur Anzeige bringen. Die hessische Polizei ruft dazu auf, solche Taten zur Anzeige zu bringen, damit Täter bestraft und so womöglich weitere Straftaten an Schutzbefohlenen verhindert werden können. Die hessische Polizei arbeitet im Bereich des Opferschutzes eng mit verschiedenen Hilfseinrichtungen zusammen, sodass Opfern und deren Angehörigen schnell Hilfe und Beratung zuteilwird.
Quelle: Hessisches Innenministerium, Pressemitteilung vom 1. Juni 2022