Hamburgs Innensenator Andy Grote und der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Torsten Voß, haben am heutigen Montag, 5. Juni 2023, den aktuellen Verfassungsschutzbericht 2022 vorgestellt.
Die Kernbotschaften:
- In Hamburg ist nach wie vor eine starke islamistische Szene aktiv – das Personenpotenzial ist von 1.650 (2021) auf 1.755 gestiegen. 82 Prozent aller Islamisten gelten in Hamburg als gewaltorientiert. Ausdruck islamistischer Aktivitäten war unter anderem eine Demonstration im Februar 2023 in St. Georg mit etwa 3.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Diese Demonstration wurde von „Muslim Interaktiv“ organisiert, einer Gruppierung, die ideologisch der verbotenen Hizb ut-Tahrir (HuT)nahesteht. Zur Intensivierung der Aufklärung hat der Hamburger Verfassungsschutz eine neue Internet-Spezialeinheit Islamismus aufgestellt.
- Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus in Deutschland insgesamt stellen weiterhin die größten Bedrohungen für unsere Demokratie dar. Die Anzahl der Straftaten im Bereich PMK rechts in Hamburg ist nach wie vor auf einem hohen Niveau. Die Cyberagents der Internet-Spezialeinheit Rechtsextremismus des LfV Hamburg leistet effektive Arbeit bei der Infiltration von geschlossenen Internetforen.
- Die Aufgaben des Hamburger Verfassungsschutzes im Kampf gegen Cyberspionage und Cyberattacken gewinnen weiter massiv an Bedeutung – nicht zuletzt vor dem andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Zahl der Außenkontakte der Hamburger Cyberspionageabwehr erreichte 2022 einen neu-en Höchststand.
- Hamburg hat die zunehmende Verbreitung verfassungsfeindlicher Verschwörungsideologien zum Anlass genommen, im Verfassungsschutzbericht als erstes Bundesland unter der Überschrift „Verschwörungsideologischer Extremismus“ zu berichten. Unter diesen Phänomenbereich fallen die „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierer des Staates“ sowie „Reichsbürger und Selbstverwalter“.
- Hauptprotagonisten unter den extremistischen Delegitimierern in Hamburg sind „UMEHR e. V.“ und dessen ideologisches Umfeld sowie „Hamburg steht auf“. Auch wenn die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen im Verlaufe des Jahres 2022 rückläufig waren, bewegen sich die Online-Aktivitäten dieser Verfassungsfeinde nach wie vor auf einem hohen Niveau.
- Die Zahl der Reichsbürger in Hamburg steigt auf einen neuen Höchststand – von 290 (2021) auf 340 (2022). Gründe: Steigende Meldungen von Behörden, Aufklärung des Dunkelfeldes, Zulauf in die Szene.
- In Hamburg ist nach wie vor eine starke linksextremistische Szene aktiv. 75 Prozent aller Hamburger Linksextremisten gelten als gewaltorientiert. Linksextremistische Gruppierungen wie die gewaltorientierte „Interventionistische Linke Hamburg“ (IL Hamburg) versuchen, gesellschaftlich relevante, viel diskutierte und populäre Themen für ihre ideologischen Zwecke zu instrumentalisieren – zum Beispiel den Kampf gegen Umweltzerstörung und Klimawandel oder das breit akzeptierte Engagement gegen Rechtsextremismus.
- In Hamburg sind zudem Extremisten mit Auslandsbezug aktiv, darunter Anhänger der verbotenen PKK sowie türkische Rechtsextremisten. Die Anzahl der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) in diesem Bereich ist aufgrund von Aktivitäten der PKK-Anhänger im Kontext von Versammlungen, von iranischen Oppositionellen sowie auch durch Taten im Kontext des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gestiegen.
Innensenator Andy Grote: „Der neue Verfassungsschutzbericht erscheint in einer Zeit, in der wir uns nach wie vor im Krisenmodus befinden. Unsere Demokratie wird von vielen Seiten bedroht – eine Entspannung ist derzeit nicht in Sicht. Die Zeitenwende ist auch eine Zeitenwende für unseren Verfassungsschutz, der sich neuen Herausforderungen stellen muss. So versuchen extremistische Verschwörungsideologen, aktuelle Themen wie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die Folgen, zum Beispiel für die Preisentwicklung, für ihre Zwecke zu missbrauchen und die Legitimität unserer demokratischen Institutionen zu untergraben. Gleichzeitig ist unser Verfassungsschutz so stark wie nie zuvor gefordert, mögliche nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberattacken aufzudecken, zum Beispiel aus Russland. Zudem hat unser Landesamt nach wie vor die starke islamistische Szene im Fokus und neben der Internet-Spezialeinheit Rechtsextremismus eine neue, weitere Spezialeinheit zur Beobachtung und Bekämpfung des Islamismus im Internet aufgestellt.
Die Wirkung von Extremisten in die Mitte unserer Gesellschaft hinein reicht weit über das extremistisch eingeschätzte Personenpotenzial hinaus, wie die Teilnehmerzahlen bestimmter Demonstrationen oder die Resonanz in sozialen Netzwerken zeigen. Daher kommt unserem Verfassungsschutz als Frühwarnsystem und erster Verteidigungslinie der Demokratie eine unverzichtbare Funktion zu. Er erkennt und analysiert Bedrohungen bereits weit im Vorfeld von Straftaten und ermöglicht der Gesellschaft insgesamt frühzeitig und rechtszeitige Abwehrmaßnahmen. Genau deswegen ist unsere Demokratie auch nicht wehrlos, sondern äußerst wehrhaft und robust. Eine Vielzahl von Ermittlungsverfahren, Durchsuchungen, Verbote, Prozesse und Verurteilungen in Hamburg und in ganz Deutschland wären ohne die Erkenntnisse unserer Verfassungsschutzbehörden nicht möglich gewesen. Insofern: Unser Verfassungsschutz wirkt.“
Senatsdirektor Torsten Voß, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz: „Nach wie vor ist das Phänomen der Entgrenzung eine große Bedrohung für unsere Demokratie. Verfassungsfeinde jeglicher Couleur versuchen, gesellschaftlich relevante Fragen für ihre Zwecke ausnutzen – immer mit dem Ziel, in die Mitte der Gesellschaft zu rücken und Bündnisse mit demokratischen Initiativen zu schließen. Demokratiefeindlichen Narrativen soll so schleichend zu breiterer Akzeptanz verholfen werden. Diese Entgrenzungsversuche halte ich für eine der größten Gefahren für unsere Demokratie, da Verfassungsfeinde auf diese Weise versuchen, ganze Diskurse zu bestimmen und Einfluss zu gewinnen. Umso wichtiger war, ist und bleibt die Funktion des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem und auch als lebhafter Diskursmotor unserer Demokratie unsere vornehmste und wichtigste Aufgabe. Daher wird auchkünftig die breite Information der Öffentlichkeit einen wichtigen Teil unserer Arbeit ausmachen – im Bewusstsein, dass informierte und aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger der beste Schutz für unsere Demokratie sind.“
Der aktuelle Verfassungsschutzbericht, der neben weiteren Zahlen, Daten und Fakten auf den Homepages von Innenbehörde und Landesamt für Verfassungsschutz abrufbar ist, enthält zudem umfangreiche Informationen zur Scientology-Organisation, zur Spionage- und Cyberabwehr, zum Geheim- und Sabotageschutz sowie zu den vielfältigen, gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungsaufgaben des Nachrichtendienstes.
(c) Behörde für Inneres und Sport Hamburg, 05.06.2023