In Reaktion auf den islamistischen Terrorangriff von Solingen hat sich die Bundesregierung auf ein sicherheitspolitisches Maßnahmenpaket verständigt. Es sieht Anpassungen im Waffenrecht vor, Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus und aufenthaltsrechtliche Maßnahmen. 

Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz Anja Hajduk stellen das Papier heute in einer Pressekonferenz vor:

„Der islamistische Terroranschlag von Solingen hat unser Land ins Mark getroffen. Wir trauern mit den Angehörigen um die Toten, unsere Gedanken sind auch bei den an Leib und Seele Verletzten, ihnen wünschen wir schnelle Genesung. Wir danken den Einsatz- und Rettungskräften und allen Helfern für ihren professionellen Einsatz.

Unser Staat wird auf diesen Akt des islamistischen Terrors mit der notwendigen Härte antworten. Unsere Sicherheitsbehörden konnten den mutmaßlichen Täter schnell ermitteln und festnehmen. Gleichzeitig ziehen wir die notwendigen Schlüsse aus dieser verbrecherischen islamistischen Tat.

Dazu werden wir Änderungen im Waffenrecht vornehmen und unsere Sicherheitsbehörden noch besser in die Lage versetzen, den gewalttätigen Islamismus zu bekämpfen. Darüber hinaus wird das Aufenthaltsrecht weiter verbessert, um dafür zu sorgen, dass Abschiebungen in der Praxis effektiver und erfolgreicher umgesetzt werden.

1. Verbesserungen im Waffenrecht

a.) Wir werden die Regelungen zum individuellen Waffenverbot schärfen, indem wir durch Regelbeispiele klarstellen, wann eine Person keine Waffe besitzen darf.

b.) Es wird ein generelles Umgangsverbot für gefährliche Springmesser im Waffenrecht eingeführt. Bestimmten Berufs- und Personengruppen wie Jägern oder Handwerkern, sofern sie ein berechtigtes Interesse und berufliche Notwendigkeit für die einhändige Nutzung eines Springmessers haben, wird der Umgang ermöglicht.

c.) Es wird ein absolutes Messerverbot bei Volksfesten, Sportveranstaltungen, Messen, Ausstellungen, Märkten oder ähnlichen öffentlichen Veranstaltungen eingeführt. Dazu wird § 42 Abs. 1 Waffengesetz (WaffG) entsprechend geändert. So wird ein gesetzliches Messerverbot durch Bundesrecht geschaffen, ohne dass es einer Ermächtigung der Landesregierung bedürfte. Begründete Ausnahmen werden weiter ermöglicht, beispielsweise soweit für den Veranstaltungszweck erforderlich etwa für Gastronomie, Verkaufsstände auf Märkten oder Schausteller.

d.) Die Länder werden ermächtigt, absolute Messerverbote an kriminalitätsbelasteten Orten wie z.B. an betroffenen Bahnhöfen einzuführen. Damit können die Landesregierungen durchsetzen, dass das Führen von Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 WaffG oder von Messern mit feststehender oder feststellbarer Klinge auf bestimmten öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen allgemein oder im Einzelfall verboten wird. Auch hier werden Ausnahmen bei berechtigtem Interesse vorgesehen (z.B. Gastronomie, Handwerker). Aktuell sind die Länder nur ermächtigt, an diesen Orten Verbote für Messer mit einer Klingenlänge von mehr als vier Zentimetern zu erlassen.

e.) Messerverbote im öffentlichen Personenverkehr: Es wird im Fernverkehr bundesweit einheitliche Regelungen für alle Beförderer (Bahn, Fernbus etc.) geben. Ausnahmen werden beispielsweise für Handwerker oder für den Transport von Haushaltsmessern in Behältnissen sowie auch für Jäger und Sportschützen und andere Personen mit einem berechtigten Interesse ermöglicht. Derzeit ist bei der Deutschen Bahn die Mitnahme gefährlicher Gegenstände, wie etwa Messer, nach den allgemeinen Beförderungsbedingungen verboten. Im öffentlichen Personenverkehr (inkl. Nahverkehr) können die Länder per Verordnungsermächtigung das Mitführen von Messern ab einer Klingenlänge von mehr als vier Zentimetern verbieten (§ 42 Abs. 6 WaffG).

f.) Die Umsetzung der Verbote wird sichergestellt. Dazu werden den Ländern erweiterte Kontrollbefugnisse für die oben genannten Waffenverbotszonen für Volksfeste/Sportveranstaltungen etc. (§ 42 Abs. 1 WaffG), an kriminalitätsbelasteten Orten (§ 42 Abs. 5 WaffG) sowie im öffentlichen Personenverkehr (§ 42 Abs. 6 WaffG) ermöglicht. Die meisten Länder haben keine erweiterten Kontrollbefugnisse.

Durch eine Änderung des Bundespolizeigesetzes (BPolG) erhält die Bundespolizei die Befugnis, stichprobenartig verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen. Nach geltender Rechtslage kann die Bundespolizei nach § 43 i.V.m. § 23 BPolG solche Kontrollen/Durchsuchungen nur durchführen, wenn Anhaltspunkte gegeben sind, dass die Person Straftaten begehen wird. Die Auswahl der verdachtsunabhängig kontrollierten Personen anhand eines Merkmals im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz ohne sachlichen, durch den Zweck der Maßnahme gerechtfertigten Grund, ist unzulässig.

g.) Im Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG) wird klargestellt, dass Vollzugsbeamte des Bundes Distanzelektroimpulsgeräte (DEIG, sog. Taser) nutzen dürfen. Die Anwendererprobung durch die Bundespolizei läuft bereits. Die Nutzung von DEIG wird flächendeckend bei der Bundespolizei zum Einsatz gebracht.

h.) Extremisten dürfen nicht in den Besitz von Waffen kommen. Daher werden künftig auch die Bundespolizei (BPol), das Bundeskriminalamt (BKA) und das Zollkriminalamt (ZKA) abgefragt, wenn jemand eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt oder die Zuverlässigkeit eines Antragstellers geprüft wird (Änderung § 5 WaffG). In die Regelabfrage zur Eignung für die Beantragung und Überprüfung waffenrechtlicher Erlaubnisse werden ebenfalls zusätzliche Polizeibehörden (ZKA, BPol sowie die zuständigen Polizeibehörden der letzten 10 Jahre) aufgenommen (Änderung § 6 WaffG). Verfahrensverzögerungen sind auszuschließen und auch nicht zu erwarten, da die Bundesbehörden über polizeiliche Verfahren digital angeschlossen sind und Landespolizeibehörden grundsätzlich über Abfragemöglichkeiten verfügen.

i.) Die Nachberichtspflicht wird auf Polizeibehörden erweitert und eine eigenständige Pflicht der Polizeibehörden, örtlich zuständige Waffenbehörden über zuverlässigkeitsrelevante Tatsachen zu unterrichten, geschaffen.

j.) Wenn der Verdacht besteht, dass Personen ohne Zuverlässigkeit und Eignung – wie beispielsweise Extremisten – im Besitz von Waffen sind, wird schneller gehandelt. Hierzu werden wir die Möglichkeiten der – auch vorläufigen – Sicherstellung verbessern, wobei wir einen effektiven Rechtsschutz der Betroffenen gewährleisten.

k.) Die absoluten Unzuverlässigkeitsgründe für die Erteilung und Aufrechterhaltung von Erlaubnissen im Waffengesetz und im Sprengstoffgesetz werden durch einen Straftatenkatalog erweitert, der insbesondere staatsgefährdende Straftaten beinhaltet. So wird verhindert, dass Personen, die rechtskräftig wegen einer staatsgefährdenden oder extremistischen Straftat verurteilt wurden, Zugang zu Waffen und Sprengstoff haben – also waffen- und sprengstoffrechtliche Erlaubnisse bekommen.

l.) Wir stellen klar, dass sich Anhaltspunkte, welche für die Anordnung des persönlichen Erscheinens herangezogen werden können, beispielsweise aus dem Schriftverkehr oder Telefonaten der betroffenen Person mit der Waffenbehörde oder beispielsweise aus öffentlich zugänglichen Quellen, ergeben können.

m.) Es wird gesetzlich klargestellt, dass Recherchen der Waffenbehörden in öffentlich zugänglichen Quellen zulässig sind.

n.) Um eine Kriminalisierung bestimmter bislang legaler Verhaltensweisen zu vermeiden, werden Altfall- und Übergangsregelungen sowie eine Amnestieregelung für die Abgabe unerlaubt besessener Waffen eingeführt.

o.) Die waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfungen werden auch bei Erteilung eines Jagdscheins bei den Waffenbehörden konzentriert (§ 44 WaffG). Dies soll die bei den Waffenbehörden bestehende Expertise auch im Zuge von Jagdscheinerteilungen nutzbar machen. Die Jagdbehörden müssen dann nicht – wie bisher – die waffenrechtlichen Prüfungen selbst durchführen.

2. Maßnahmen gegen gewaltbereiten Islamismus

a.) Verbesserungen bei Aufklärung und Abwehr von islamistischem Extremismus

Ermittlungsbehörden erhalten unter Beachtung der KI-Verordnung und der datenschutzrechtlichen Anforderungen an eine solche Technik und Verarbeitung die Befugnis zum biometrischen Abgleich von allgemein öffentlich zugänglichen Internetdaten („Gesichtserkennung“), um die Identifizierung von Tatverdächtigen oder gesuchten Personen zu erleichtern.

Die automatisierte Analyse polizeilicher Daten durch das BKA und die Bundespolizei wird auch gestützt durch Künstliche Intelligenz (KI) ermöglicht, ebenso das Testen und Trainieren von Daten für KI-Anwendungen als begleitende Vorschrift für die Datenanalyse: Hierbei beachten wir Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, des europäischen Datenschutzrechts und der KI-VO an diese neue Technik.

Banken dürfen künftig zur verbesserten Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung Konten nicht allein auf Grund polizeilicher Anfragen kündigen. Aus der Weiterführung des Kontos darf der Bank keinerlei Nachteile, z.B. in strafrechtlicher Hinsicht, entstehen.

Wir werden die Befugnisse des Verfassungsschutzes für Finanzermittlungen verbessern.

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten mehrere islamistische Vereine und deren Teilorganisationen verboten und wird dieses Instrument konsequent weiter anwenden.

b.) Prävention

Eine Task Force Islamismusprävention aus Wissenschaft und operativer Praxis wird eingesetzt. Die Task Force setzt sich aus hochrangigen Wissenschaftlern sowie erfahrenen Praktikern zusammen, die regelmäßig und themenbezogen die Bundesregierung sowohl bezüglich aktueller als auch langfristiger Herausforderungen im Bereich Islamismus berät, insbesondere zu der Frage, welche konkreten operativen Schlussfolgerungen sich aus den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen ergeben. Präventionsprojekte gegen Islamismus werden fortgeführt und ausgebaut. Insbesondere soll die Deradikalisierungsarbeit gestärkt, die Beratungsstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) noch besser aufgestellt und auf neue Entwicklungen im Islamismus reagiert werden. Nach aktuellen Erkenntnissen werden z. B. sich radikalisierende Personen immer jünger und die Online-Medien spielen dabei eine immer entscheidendere Rolle. Forschungs- und Modellprojekte müssen daher angepasst und ausgebaut werden.

c.) Plattformregulierung

Die Bundesregierung wird eine Verschärfung des Digital Services Act (DSA) auf EU- Ebene einfordern, um durch Benennen konkreter Straftatbestände wie das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und Volksverhetzung eine konsequente Bekämpfung strafrechtlicher Inhalte auf Online-Plattformen zu ermöglichen.

3. Aufenthaltsrechtliche Maßnahmen

a.) Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erhält die Befugnis zum biometrischen Abgleich von Internetdaten, insbesondere um Identitäten von Schutzsuchenden feststellen zu können. Hierbei beachten wir Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, des europäischen Datenschutzrechts und der KI-VO an diese Technik.

b.) Die Schwelle für ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse wird abgesenkt, wenn die Straftat unter Verwendung einer Waffe oder eines sonstigen gefährlichen Werkzeugs begangen worden ist (§ 54 Abs. 1 Nr. 1d Aufenthaltsgesetz, AufenthG).

c.) Die Ausschlussgründe für die Asylberechtigung und die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Absatz 8 bis 8b AufenthG werden verschärft:

aa. Die Annahme einer schweren Straftat soll zukünftig auch bei Jugendstrafen von mehr als drei Jahren gelten.

bb. Die Ermessensausweisung wird untergliedert in eine „Soll“-Vorschrift bei Freiheits- und Jugendstrafen von mehr als zwei Jahren und eine „Kann“-Vorschrift bei Freiheits- oder Jugendstrafen über einem Jahr (bisher nur „Kann-Vorschrift“ bei Verurteilung von mehr als einem Jahr).

cc. Die Begrenzung auf bestimmte Straftaten in den in bb.) genannten Fällen wird aufgehoben. Bisher können beim Ermessensausschluss nur Straftaten berücksichtigt werden, die den Tatbestand des § 177 StGB (sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung) erfüllen oder mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen wurden. Zukünftig können auch die Schleusungsstrafbarkeit und Straftaten mit einem antisemitischen, rassistischen, fremdenfeindlichen, geschlechtsspezifischen, gegen die sexuelle Orientierung gerichteten oder sonstigen menschenverachtenden Beweggrund zum Ausschluss von der Schutzberechtigung führen.

d.) Eine Dublin-Task Force von Bund und Ländern mit dem Ziel der Steigerung der Zahl der Rücküberstellungen in Dublin-Verfahren wird eingerichtet. Dabei werden sämtliche Prozessschritte des Dublin-Verfahrens analysiert, um Optimierungsmöglichkeiten bei der Rechtsdurchsetzung und der operativen Umsetzung von Rückführungen in Dublin-Fällen zwischen BAMF und Ausländerbehörden, z.B. die ausreichende Verfügbarkeit von Abschiebehaftplätzen sowie eventuellen Rechtsänderungsbedarf, wie z.B. bei gescheiterten Überstellungsversuchen wegen Nichtantreffens, zu ermitteln.

e.) Für Schutzsuchende, die ihr Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten betreiben müssen (Dublin-Fälle) und für den Fall ihrer Rückkehr dort Leistungsansprüche haben, weil der betreffende Mitgliedsstaat dem Übernahmeersuchen zugestimmt hat, soll der weitere Bezug von Leistungen in Deutschland ausgeschlossen werden. Dabei gewährleisten wir einen menschenwürdigen Umgang mit allen Betroffenen. Die bereits bestehenden Möglichkeiten zu Leistungskürzungen werden wir für Dublin- Fälle entsprechend erweitern.

f.) Bei Reisen jenseits der Notwendigkeit der Erfüllung sittlicher Pflichten von anerkannt Schutzberechtigten in ihr Heimatland soll die Aberkennung des Schutzstatus als Flüchtling oder subsidiär Schutzbedürftiger gewährleistet werden. Geflüchtete aus der Ukraine sind hiervon nicht betroffen.

g.) Die Bundesregierung legt die gesetzlichen Regelungen zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems noch in diesem Jahr dem Parlament vor. Gemeinsam mit unseren europäischen Partnern sollen Regelungen, die Rückführungen erschweren, angepasst werden, um Dublin-Überstellungen und Rückführungen zu erleichtern.

h.) Die Bundesregierung arbeitet weiter intensiv daran, die Möglichkeit zur Rückführung von Personen, die schwerwiegende Straftaten begangen haben sowie von terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien zu eröffnen.

i.) Nachdem die Bundesregierung bereits eine Reihe von Migrationsabkommen
und -kooperationen abgeschlossen hat, wird sie die Verhandlungen mit weiteren Staaten, darunter die laufenden Verhandlungen mit der Republik Moldau, Kirgisistan, Usbekistan, Kenia oder den Philippinen weiter mit Nachdruck vorantreiben.“

(c) BMI, 29.08.2024

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