Die von der Bundesregierung geplante Reform des Staatsbürgerschaftsrechts trifft bei Sachverständigen auf ein geteiltes Echo. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am Montagnachmittag deutlich. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/9044) sieht vor, bei Einbürgerungen künftig Mehrstaatigkeit generell hinzunehmen. Zugleich soll eine Einbürgerung in der Regel bereits nach einem Aufenthalt von fünf statt bisher acht Jahren möglich sein, bei besonderen Integrationsleistungen auch schon nach drei Jahren. Beim Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes als einer Voraussetzung für eine Einbürgerung soll dem Entwurf zufolge gesetzlich klargestellt werden, dass „antisemitisch, rassistisch oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen“ mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unvereinbar sind.
Ausgeschlossen sein soll eine Einbürgerung auch im Fall einer Mehrehe oder wenn jemand durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet. Bei der Anspruchseinbürgerung gilt laut Vorlage mit Ausnahme bestimmter Fälle, dass der Lebensunterhalt für sich selbst und die unterhaltspflichtigen Angehörigen ohne Inanspruchnahme von Leistungen der Sozialhilfe (SGB XII) oder Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bestritten werden muss.
Professor Sina Fontana von der Universität Augsburg sieht in der Reform „einen wichtigen Schritt zur Förderung von Integration und Teilhabe“. Das Gesetz entspräche den Anforderungen eines modernen Einwanderungslandes, sagte sie. Verfassungsrechtlich hoch problematisch sei aber die „Verschärfung beim Lebensunterhalt“. Die Regelung wirke sich als mittelbare Diskriminierung von Personengruppen aus, die sich in prekären Lebenssituationen befänden. Dies beträfe insbesondere Frauen und Menschen mit Behinderungen.
Auch aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) darf Partizipation „nicht an das Einkommen oder die soziale Lage gebunden werden“, wie DGB-Vertreter Gerd Wiegel sagte. Die Verschärfungen beim Lebensunterhalt würden dieses Prinzip aber untergraben. Damit würden Menschen von der Einbürgerung ausgeschlossen, die zum Teil völlig unverschuldet in eine Notlage geraten seien. Die Verkürzung der Fristen und die Möglichkeit der Mehrstaatigkeit stießen indes beim DGB auf Zustimmung. Alles in allem sei das Gesetz ein „Meilenstein auf dem Weg zu einer modernen Einwanderungsgesellschaft“.
Die Anerkennung der Mehrstaatigkeit wurde auch von Professor Tarik Tabbara von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin begrüßt. Dies zeige, dass in Deutschland künftig gleichberechtigte Teilhabe unabhängig von der Herkunft gelten solle. Der Entwurf enthalte aber Regelungen, die in der Praxis anfällig für Diskriminierungen seien. Das beträfe die Regelungen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung „und noch mehr die Regelungen zur Gleichberechtigung von Mann und Frau“. Es könne hier zu „pauschalisierenden und stigmatisierenden Umsetzungen“ kommen, was „absehbar vor allem die muslimische Bevölkerung treffen könnte“, sagte Tabbara.
Trotz viele positiver Veränderungen werde die Situation der mehr als 126.000 von Staatenlosigkeit betroffenen Menschen in Deutschland durch das Gesetz nicht hinreichend erfasst, kritisierte Christiana Bukalo vom Verein Statefree. Sie forderte eine explizite Nennung von Staatenlosigkeit im Staatsangehörigkeitsgesetz. Die derzeit fehlende Nennung führe oft zur mangelhaften Anwendung der Regelung auf Staatenlose. Zugleich verlangte Bukalo einen erleichterten Staatsangehörigkeitserwerb durch staatenlose Kinder.
Die in der Gesetzesbegründung angeführte Stagnation der Einbürgerungszahlen in Deutschland sei nicht zutreffend, sagte Wilhelm Kanther vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Die Zahl der Einbürgerungsanträge und der Einbürgerungen sei in den vergangenen Jahren bundesweit erheblich gestiegen. Die Einbürgerungsbehörden seien bereits jetzt überlastet, so Kanther. Er lehnte zugleich die vorgesehenen Absenkungen der Einbürgerungsvoraussetzungen ebenso ab wie die Mehrstaatigkeit. Die derzeit geltenden Einbürgerungsvoraussetzungen hätten sich seiner Einschätzung nach im Wesentlichen bewährt. Dass die erleichterte Einbürgerung eine verbesserte Integration zur Folge habe, sei nicht belegt. Vielmehr könne der Wunsch, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erhalten ein wesentlicher Anreiz für verstärkte Integration sein – etwa für den verstärkten Erwerb der deutschen Sprache.
Auch Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag sieht die Reform kritisch. Die Einbürgerung dürfe kein Selbstzweck sein. Sie müsse am Ende einer gelungenen Integration stehen. Der derzeit geltende Voraufenthalt von acht beziehungsweise in besonderen Fällen von sechs Jahren sei richtig, um sicherzustellen, dass sich die Bewerber erfolgreich in Deutschland integriert haben. „Davon sollte nicht abgewichen werden“, sagte Ritgen. Seiner Ansicht nach müsse auch der Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit Voraussetzung für die Einbürgerung sein.
Daniela Schneckenburger vom Deutschen Städtetag sah ebenso wie ihre beiden Vorredner Vollzugsprobleme. Eine Beschleunigung der Einbürgerung werde es mit dem Gesetz nicht geben. Die zu erwartende hohe Anzahl von Neubewerbungen werde eher zu einer Verlangsamung der Bearbeitung führen. Grundsätzlich sieht Schneckenburger den Entwurf jedoch als einen Beitrag zu mehr Demokratie und Teilhabe an. Sie begrüßte die Absenkung der Wartezeit. Die Ausnahmen bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts müssten durch einen Katalog klarer definiert werden, befand sie. Sie müssten auch so gefasst sein, „dass unbillige Härten für vulnerable Gruppe vermieden werden“.
Die Reform sei dysfunktional und verkenne insbesondere die Implikationen der „Zeitenwende“, die gerade auch im Staatsangehörigkeitsrecht zu berücksichtigen seien, sagte Professor Matthias Friehe von der Universität für Wirtschaft und Recht Wiesbaden. Da sich Deutschland in einer systemischen Konkurrenz zum Autoritarismus befinde, stellten sich zumindest mehrfache Staatsangehörigkeiten mit autoritären Staaten als „Übel“ dar, die es zu vermeiden gelte, betonte er. Völlig unverständlich sei, warum in der aktuellen sicherheitspolitischen Situation Russen ermöglicht werden soll, ohne Aufgabe ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit Deutsche zu werden. Eine Loyalität mit dem russischen Regime und mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes würden sich wechselseitig ausschließen.
Mit der Zulassung von Mehrstaatigkeit werde eine „Ineinssetzung von soziokultureller Identität mit Pässen betrieben“, sagte Ferdinand Weber von der Universität Göttingen. Es irritiere, „wie selbstverständlich die Anhänger des Doppelpasses diesen als Ausdruck von Modernität feiern und die Kritik als latent nationalistisch abtun, obgleich der Doppelpass seinerseits eine ethnokulturelle Herkunftslandbindung perpetuiert“, heißt es in seiner Stellungnahme. Es stimme keineswegs, dass der Doppelpass in einem „modernen“ Einwanderungsland selbstverständlich ist, befand Weber.
Ulrich Vosgerau hält die weitere „Modernisierung“ des Staatsangehörigkeitsrechts „weder für sinnvoll noch für verfassungsgemäß“. Sie schade staatlichen Interessen und füge dem deutschen Volk Schaden zu, sagte er. Klar sei, dass jemand mit deutscher Staatsbürgerschaft nicht mehr abgeschoben werden könne. Das sei schon jetzt mit Blick auf die Aktivitäten des Remmo-Clans, der Silvester-Straftaten junger Männer mit Migrationshintergrund und der antisemitischen Demonstrationen ein Problem, „weil die alle eingebürgert sind“, sagte Vosgerau.
(c) HiB Nr. 930, 11.12.2023