Gemeinsam mit dem Aktivisten Lars Ritter erhebt die Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) heute Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Gegenstand ist der Einsatz von Schmerzgriffen zur Auflösung einer friedlichen Demonstration. In jüngster Zeit hat die Polizei vermehrt Schmerzgriffe eingesetzt, um friedliche Protestaktionen zu beenden – darunter viele, die eine bessere Klimapolitik fordern. Das gezielte und unnötige Zufügen von Schmerzen um polizeiliche Maßnahmen bei der Auflösung von Demonstrationen durchzusetzen, verstößt klar gegen Grundrechte. Dieses Vorgehen verletzt auch das rechtsstaatliche Kernprinzip der Verhältnismäßigkeit, weil mildere Mittel eingesetzt werden könnten. Ziel der Klage ist es, gerichtlich die Rechtswidrigkeit des Schmerzgriff-Einsatzes feststellen zu lassen und dieser Polizeipraxis damit klare Grenzen zu setzen.
„Die Polizei darf Schmerzgriffe nicht einsetzen, um friedliche Demonstrant*innen zu quälen. Damit missbraucht sie klar ihr Gewaltmonopol und erschüttert so das Vertrauen in den Rechtsstaat“, kritisiert GFF-Verfahrenskoordinator, Joschka Selinger. „Auch im Falle unseres Klägers war der Einsatz von Schmerzgriffen völlig unverhältnismäßig, da die Beamten den Demonstranten auch schlicht und einfach hätten wegtragen können.“
Bei einer Sitzblockade der Aktivist*innengruppe „Letzte Generation“ kam es im April dieses Jahres in Berlin zu einem Polizeieinsatz, der in den Medien besondere Aufmerksamkeit erlangte: Ein Polizist wandte bei der Auflösung der friedlichen Demonstration sogenannte Schmerzgriffe an, nachdem er dem Kläger zuvor tagelang anhaltende Schmerzen angedroht hatte. Schmerzgriffe sind Nervendrucktechniken aus dem Kampfsport, die durch Druck oder Hebelwirkungen heftige Schmerzen auslösen. Obwohl Ritter sich friedlich verhielt und sogar darauf hinwies, dass man ihn von der Straße wegtragen könne, zog der Polizist den Aktivisten am Kiefer in den Stand, verdrehte ihm den Arm und zerrte ihn anschließend mit Unterstützung eines Kollegen an den umgeklappten Handgelenken von der Straße.
Der Einsatz von körperlicher Gewalt und Schmerzen gehört zu den massivsten denkbaren Grundrechtseingriffen, die nur in absoluten Ausnahmesituationen zulässig sein können – nicht im Rahmen von friedlichem Protest. Das Androhen und Zufügen von Schmerzen greift in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein. Es kann als erniedrigende und unmenschliche Behandlung auch das menschenrechtliche Folterverbot verletzen.
Setzt die Polizei Schmerzgriffe im Kontext von friedlichen Demonstrationen ein, gefährdet das zusätzlich die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit. Aufgabe des Staates ist es, das Grundrecht auf friedlichen Protest zu schützen und zu ermöglichen, dass Menschen von diesem Recht angstfrei Gebrauch machen können. Der Einsatz von Schmerzgriffen kann nachhaltig davon abschrecken, auf die Straße zu gehen und Grundrechte auszuüben. Auch der Kläger und Aktivist Lars Ritter weiß nicht, ob er in Zukunft protestieren kann: „Das brutale Vorgehen der Polizei hat mich zutiefst verstört. Schon beim Anblick eines Polizisten fange ich an zu zittern.“
Der Kläger wird vertreten von Rechtsanwalt Patrick Heinemann, der Lars Ritter bereits in einem Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin unterstützt hat. Das Gericht hatte den Eilantrag aus formalen Gründen abgelehnt und den Kläger auf das Hauptsacheverfahren verwiesen. „Es wird höchste Zeit, dass ein Gericht diese Praxis für unverhältnismäßig erklärt. Wenn die Polizei die Grundrechte nicht einhält, müssen Richter*innen eben dafür sorgen, dass sie das in Zukunft tut – und zwar so schnell wie möglich“, sagt Rechtsanwalt Patrick Heinemann.
Die GFF sieht in dem brutalen Vorgehen der Polizei bei der Auflösung friedlicher Klimaproteste einen weiteren Beleg dafür, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit zunehmend unter Druck gerät. Immer wieder wird friedlicher Protest wie eine Gefahr behandelt – nicht zuletzt im neuen Landes-Versammlungsgesetz NRW, gegen das die GFF Verfassungsbeschwerde erhoben hat.
(c) GFF, 27.06.2023