Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gab heute mit einem Grundsatzurteil in weiten Teilen zwei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte e.V. (GFF) eingereichten Verfassungsbeschwerden gegen automatisierte Datenauswertung durch die Polizei in Hamburg und Hessen statt. Die Karlsruher Richter*innen erklärten die hamburger Regelung für nichtig und die hessische Befugnis für verfassungswidrig. Das Gericht machte deutlich: Die Polizei darf zwar grundsätzlich mithilfe einer Software auf Knopfdruck Informationen und Querverbindungen zu Personen herstellen, um Straftaten vorzubeugen (Data Mining). Dann muss das Gesetz aber klare Vorgaben dazu machen, unter welchen Bedingungen dies zulässig ist. Sonst verstoßen die Regelungen gegen das Recht über die eigenen Daten zu bestimmen.
Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF und Prozessbevollmächtigter, betont die weitreichende Bedeutung der heutigen Entscheidung aus Karlsruhe: „Das Bundesverfassungsgericht hat heute der Polizei den ungehinderten Blick in die Glaskugel untersagt und strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.“
Mit den Verfassungsbeschwerden griff die GFF unter anderem an, dass die Rechtsgrundlagen in Hessen und Hamburg völlig unklar lassen, aus welchen Quellen, mit welcher Datenmenge und zu welchem Zweck die Polizei die Befugnis zum Data Mining nutzen darf. Das Gericht entschied, dass eine automatisierte Auswertung nur zum Schutz von Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eingesetzt werden darf.
„Die Klage der Gesellschaft für Freiheitsrechte hat das Risiko deutlich reduziert, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger ins Visier der Polizei geraten. Unsere strategische Prozessführung wirkt“, so Moini. „Dieses Urteil strahlt in die ganze Republik aus. Denn viele andere Bundesländer und der Bund arbeiten darauf hin, vergleichbare technische Möglichkeiten einsetzen zu können – oder tun es sogar bereits, wie zum Beispiel Nordrhein-Westfalen.“
Einer der Beschwerdeführer, der Marburger Regionalvorsitzende der Humanistischen Union Franz-Josef Hanke, zeigte sich erleichtert: „Als Journalist wie auch in meinem Ehrenamt in der Humanistischen Union bin ich auf vertrauliche Kontakte angewiesen. Wenn keiner abschätzen kann, was die Polizei alles weiß und womöglich durch Datenverknüpfung erfährt, dann trauen sich manche Menschen nicht mehr, mit mir zu sprechen.“
Die GFF erhob die Verfassungsbeschwerden gemeinsam mit der Humanistischen Union, den Datenschützern Rhein Main, dem Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, den Kritischen Jurastudierenden Hamburg, der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen, dem AStA der Universität Hamburg und der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Die Beschwerdeschrift zu den hessischen Normen verfasste Prof. Dr. Tobias Singelnstein, die Beschwerdeschrift zu den hamburgischen Normen Jun.-Prof. Dr. Sebastian Golla.
Das heute erstrittene Urteil ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Polizeigesetz Mecklenburg-Vorpommern vom Januar der zweite Erfolg der GFF innerhalb weniger Wochen gegen die polizeigesetzlichen Novellen der Bundesländer aus den letzten Jahren.
Weitere Informationen zu den Verfassungsbeschwerden finden Sie unter: https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/verfassungsbeschwerde-polizei-verfassungsschutzgesetz-hh
https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/polizeigesetz-hessen
Quelle. Gesellschaft für Freiheitsrechte, Pressemitteilung vom 16. Februar 2023