Wie zuvor im Plenum gingen auch in einer Öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses am Donnerstag, 13. März 2025, die Ansichten über die geplante Lockerung von Schuldenregeln weit auseinander. Dabei befassten sich die Experten mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und CDU/CSU (20/15096) zur Änderung des Grundgesetzes sowie einem Änderungsantrag dazu, mit dem diese den Grünen bei der Finanzierung des Klimaschutzes entgegenkommen wollen. Die Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen (20/15098) sowie FDP (20/15099) zur Rüstungsfinanzierung spielten in dieser Sitzung keine Rolle.

Vorgehen verfassungsrechtlich umstritten

Vielleicht legal, aber nicht legitim nannte der Berliner Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau die angestrebte Beschlussfassung durch den alten Bundestag. Man müsse die Vorschriften des Grundgesetzes nach ihrem Sinn sehen, nicht nur nach ihren Buchstaben. Die 30-Tage-Frist von der Bundestagswahl bis zum Zusammentritt des neuen Bundestags sei zudem „eine Höchstfrist, keine Karenzzeit“. Der neue Bundestag könne einberufen werden, sobald das Wahlergebnis endgültig festgestellt sei, und sofort seine Beratungen aufnehmen.

Dagegen hält der Heidelberger Rechtswissenschaftler Hanno Kube das Vorgehen von SPD und Union für verfassungsrechtlich unproblematisch. Der alte Bundestag sei uneingeschränkt handlungsfähig, bis der neugewählte zusammengetreten sei. Das gelte auch für die vorgesehene Abstimmung über die Grundgesetzänderung nach der Feststellung des Endergebnisses der Bundestagswahl, denn der Bundestag dürfe ein laufendes Gesetzgebungsverfahren noch zu Ende bringen.

Dem Einwand, die Beratungszeit reiche nicht aus, trat die Augsburger Rechtswissenschaftlerin Sina Fontana entgegen. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem sogenannten Heizungsgesetz ausreichend Zeit für die parlamentarische Beratung gefordert, im Gegensatz zum damaligen Gesetzentwurf sei der Beratungsgegenstand jetzt aber „übersichtlich“. 

Dem widersprach allerdings Ulrich Vosgerau. Angesichts der Tragweite handele es sich um eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten, und sie bräuchten ausreichend Zeit, sich über die möglichen Konsequenzen zu informieren.

Wirtschaftliche Folgen der Verschuldung

Strittig waren auch die Folgen der geplanten Kreditaufnahme. Die Ökonomin Philippa Sigl-Glöckner von der Denkfabrik Dezernat Zukunft erwartet von den vorgesehenen Maßnahmen ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent. Dieser Effekt hänge aber davon ab, was von den möglichen Mitteln tatsächlich ausgegeben wird. Sie bezog sich damit darauf, dass erst der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung über die Ausnutzung des zusätzlichen Ausgabenspielraums entscheiden würden.

Vor langfristigen Belastungen infolge der jetzt geplanten Verschuldungsmöglichkeiten warnte der Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld vom Freiburger Walter Eucken Institut. Es sei ein Anstieg der Staatsverschuldung auf 90 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung in zehn Jahren zu erwarten. Dies aber hätte zusätzliche Zinsausgaben zwischen 250 und 400 Milliarden Euro zu Folge, je nach der Entwicklung des Zinssatzes für Staatsanleihen. Die internationalen Anleihenmärkte seien schon nervös geworden.

Solchen Sorgen vor einer ausufernden Staatsverschuldung trat der Wirtschaftswissenschaftler Thiess Büttner von der Universität Erlangen-Nürnberg mit dem Hinweis entgegen, dass sich Deutschland ohnehin nur im Rahmen der EU-Vorgaben bewegen könne.

Dagegen warnte die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm von der Technischen Universität Nürnberg vor einer „Herausforderung für die Stabilität in Europa“. Wenn infolge der deutschen Kreditaufnahme die Zinsen für Staatsanleihen stiegen, werde es für bereits hochverschuldete Länder wie Italien und Spanien noch teurer, ihrerseits aufzurüsten, und die „Vulnerabilität in der Eurozone“ steige.

Mehr Geld für Klimaschutz gefordert

Die von SPD und Union in einem Änderungsantrag eingefügten zusätzlichen 50 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds hält die Rechtsanwältin und Richterin am Hamburger Verfassungsgericht Roda Verheyen für unzureichend, um die Klimaziele wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert umzusetzen. Sie schlug stattdessen eine Ausnahme von der Schuldenbremse, wie sie für die Verteidigung vorgesehen sei, auch für Investitionen in den Klimaschutz vor.

Eine „Unwucht“ stellte der Mannheimer Wirtschaftswissenschaftler Tom Krebs fest. Mehr Investitionen seien gleichermaßen in Verteidigung, Infrastruktur und Klimaschutz nötig, er sehe aber viel Militär und wenig Klimaschutz. Sein Gegenvorschlag zur vorgesehenen Grundgesetzänderung lautete, alle Investitionsausgaben von der Berechnung der Schuldenbremse auszunehmen.

Bedrohungslage unterschiedlich gesehen

Grundsätzliche Kritik an der Herangehensweise von Union und SPD übte Reiner Braun vom Internationalen Friedensbüro. Einst habe die Große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt dem Harmel-Bericht der Nato mit den zwei Schultern Rüstung und Dialog zugestimmt. Heute dagegen werde „die zweite Schulter überhaupt nicht mehr in Betracht gezogen“. Braun bestritt zudem eine Bedrohung durch Russland. Europa sei Russland auch ohne die USA militärisch deutlich überlegen.

Dagegen warnte Moritz Schularick vom Kiel Institut für Weltwirtschaft, Russland rüste derzeit sehr schnell auf. In Deutschland hingegen hätten die gegenwärtigen Verteidigungsausgaben von rund zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts „nicht zu einem nennenswerten Ausbau von Fähigkeiten geführt“. Eine Steigerung auf drei bis dreieinhalb Prozent sei daher sinnvoll.

Auch der Frankfurter Politikwissenschaftler Christopher Daase nannte den Gesetzentwurf „gerechtfertigt“ angesichts der Bedrohungslage durch den Krieg Russlands und die Politik der USA. Auch die Eile sei „vertretbar“. Allerdings kritisierte Daase einen zu engen Sicherheitsbegriff. Die Ausnahme von der Schuldenbremse solle sich nicht nur auf den Haushalt der Bundeswehr beziehen, sondern auf die Resilienz der gesamten Gesellschaft. So schlug er einen zusätzlichen Betrag für die Länder über die geplanten hundert Milliarden hinaus für Investitionen in den Bevölkerungsschutz vor.

HiB Nr. 119, 14.03.2025

Cookie Consent mit Real Cookie Banner