Zu bürokratisch und nur für Großbetriebe attraktiv: Besonders das im Zuge des sogenannten Weiterbildungsgesetzes (20/6518) geplante Qualifizierungsgeld stößt bei Experten auf Kritik. In einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagabend sahen die geladenen Sachverständigen zudem auch Verbesserungsbedarf bei der Ausbildungsgarantie und den Regelungen zur außerbetrieblichen Ausbildung. Neben dem Gesetzentwurf waren auch Anträge der AfD-Fraktion (20/5225) sowie der Fraktion Die Linke (20/6549) Gegenstand der Anhörung. 

Das Weiterbildungsgesetz der Bundesregierung umfasst drei Aspekte: Die Reform der Weiterbildungsförderung, das sogenannte Qualifizierungsgeld und eine Ausbildungsgarantie. Durch feste Fördersätze und „weniger Förderkombinationen“ sollen der Zugang zu Weiterbildungsangeboten für Unternehmen und Beschäftigte erleichtert und die Transparenz erhöht werden. Führe die Transformation der Arbeitswelt bei einem Unternehmen dazu, dass für einen großen Teil der Belegschaft der Verlust des Arbeitsplatzes drohe, sollen Arbeitgeber und -nehmer künftig auf das Qualifizierungsgeld zurückgreifen können, heißt es in dem Entwurf. Unabhängig von der Betriebsgröße oder der Qualifikation der Beschäftigten solle diesen, während sie für eine Weiterbildungsmaßnahme freigestellt sind, das Qualifizierungsgeld als Lohnersatz ausgezahlt werden – in Höhe von 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettogehaltes. Da laut Gesetzentwurf in Zeiten des Fachkräftemangels nicht auf junge Menschen verzichtet werden kann, soll eine sogenannte Ausbildungsgarantie eingeführt werden. Dadurch solle unter anderem die Einführung betrieblicher Praktika zur beruflichen Orientierung gefördert werden. Jugendliche, die trotz „intensiver Vermittlungsbemühungen“ keinen Ausbildungsplatz erhalten, könnten künftig auf die Möglichkeit einer außerbetrieblichen Ausbildung zurückgreifen.

Viele Betriebe seien nicht ausreichend über die bestehenden Fördermöglichkeiten informiert, sagte Bernd Fitzenberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Höhere Informationstransparenz und eine Vereinfachung des Angebots könnten den Zugang für Betriebe erleichtern. Außerdem forderte Fitzenberger, dass Weiterbildungen als „passgenaue Lösungen“ für Betriebe gedacht und umgesetzt werden müssten. 

Auch Thomas Friedrich von der Bundesagentur für Arbeit bestätigte, dass die Förderlandschaft mit der Zeit immer komplexer geworden sei. Da der Gesetzentwurf die Anzahl der Fördervarianten reduzieren soll, stellt er laut Friedrich eine deutliche Verbesserung zur derzeitigen Situation dar. 

Tobias Lohmann vom Wuppertaler Kreis e.V. kritisierte, dass trotz der geplanten Änderungen Weiterbildungsmaßnahmen nicht dort ansetzen würden, wo sie gebraucht werden. Diese müssten „direkt am Arbeitsplatz und im Arbeitsprozess“ stattfinden, damit Unternehmen davon profitieren könnten. 

Als Förderinstrument „ohne Mehrwert“ bezeichnete Susanne Müller von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. das geplante Qualifizierungsgeld. Besonders kritische sehe sie, dass das Qualifizierungsgeld nur bei Weiterbildungen greife, die einen Umfang von mindestens 120 Stunden hätten. Dabei seien umfangreiche Weiterbildungen nicht immer notwendig. Gerade bei geringqualifizierten Arbeitskräften „spürt man auch, dass kleine Maßnahmen förderlich sind“. Müller forderte daher, die Mindeststundenzahl auf 60 zu reduzieren. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen sowie Handwerksbetriebe könnten es sich nicht leisten, wenn einzelne Beschäftigte aufgrund einer Fortbildung über längere Zeit ausfielen, sagte auch Kirsten Kielbassa-Schnepp vom Zentralverband des Deutschen Handwerks e.V. 

Dass der Gesetzentwurf geringqualifizierte Arbeitskräfte vergesse, kritisierte Gerhard Bosch, Professor an der Universität Duisburg-Essen. Um auch Beschäftigten mit geringem Einkommen Weiterbildungen zu ermöglichen, müsse bei dem Gesetz nachgebessert und „eine Mindestvergütung von 1.200 Euro“ festgelegt werden. 

Mit der Ausnahme von Kleinstbetrieben sei das Qualifizierungsgeld als Fördermaßnahme an „das Vorliegen einer Betriebsvereinbarung oder eines betriebsbezogenen Tarifvertrags“ gekoppelt, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Dadurch könnten viele kleinere Betriebe dieses Instrument nicht nutzen, befürchtete Achim Dercks, Sachverständiger der Handelskammer. 

Mehr als 80 Prozent der Betriebe würden sich gegen eine Ausbildungsgarantie aussprechen, sagte Dercks weiter. Dies hänge vor allem mit der geplanten Möglichkeit der außerbetrieblichen Ausbildung zusammen. Diese Option könne ein „Fehlanreiz“ für Jugendliche sein und diese weg von den Ausbildungsbetrieben führen, schreibt die Handelskammer in ihrer Stellungnahme. Die Herausforderung liegt laut Dercks darin, die Jugendlichen zu erreichen und an den Ausbildungsmarkt heranzuführen. 

Dafür brauche es „kontinuierliche Ansprechpartner“, die die Jugendlichen in „tragfähigen Beziehungen“ begleiten und ihnen Mut machten auf ihrem Weg, sagte Susanne Nowack vom Kooperationsverbund Jugendsozialarbeit. Durch niedrigschwellige Angebote sollten Jugendliche bereits zu Schulzeiten erreicht werden. 

Auch Kristof Becker vom Deutschen Gewerkschaftsbund sieht die außerbetriebliche Ausbildung zwar kritisch, aber als notwendig an. Sie müsse als „letztes Auffangnetz“ dienen, wenn Jugendliche keinen Ausbildungsplatz finden. Von der außerbetrieblichen Ausbildung als einer „ultima ratio“ sprach Jörg Hofmann von der IG Metall. Auf Nachfrage sagte er, dass beispielsweise ein Ausbildungsfonds, über den ausbildende Betriebe finanziell entlastet würden, einen Beitrag dazu leisten könne, die Ausbildung zu stärken.

©️ HiB Nr. 378, 23.05.23

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