Geschwindkeitsreduzierte Fahrzeuge, die nicht mehr als 20 km/h erreichen, sind von der sogenannten Gefährdungshaftung ausgenommen. Gehaftet wird nur nach dem Schuldprinzip und nicht nach der Gefährlichkeit eines einzelnen Fahrzeugs (Betriebsgefahr). Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV) muss sich dies ändern.
In den letzten Jahren ist die Kleinstelektromobilität durch gewerbliche Anbieter sprunghaft ausgebaut worden. Schon 2019 waren deutschlandweit über 50.000 E-Scooter gewerblich in Gebrauch, die Zahl steigt auch im Kreis der privaten Eigentümer immer weiter an. Durch neue Modelle und geringere Einstiegspreise sind auch Krankenfahrstühle ein auf den Straßen immer häufiger anzutreffendes Verkehrsmittel. Zwar besteht z. B. für E-Scooter und vergleichbare Fahrzeuge eine Versicherungspflicht, dies hat aber keine Auswirkungen auf die Rechtsdurchsetzung im Einzelfall.
„Häufig werden derartige Fahrzeuge an dafür ungeeigneten Orten wie z. B. in Fußgängerzonen oder auf Gehwegen gefahren. Die dann vergleichsweise hohe Geschwindigkeit von bis zu 20 km/h birgt vor allem gegenüber Fußgängern erhebliche Risiken“ sagt Rechtsanwalt Jan Lukas Kemperdiek von der DAV-Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht. Dies spiegelt sich auch in den Unfallstatistiken der Polizei wider, wonach die Zahl der Verletzten nach Unfällen mit den relativ schweren E-Scootern außer Verhältnis zu anderen Verkehrsmitteln weiter zunimmt.
Das aktuelle Haftungssystem, wonach bei derartigen Unfällen ausschließlich das Verschuldensprinzip gilt, ist mit Blick auf den zunehmenden Verkehr und die Art und Weise der Nutzung solcher Kleinstfahrzeuge nicht mehr zeitgemäß. Es empfiehlt sich, neben der schon bestehenden Versicherungspflicht jedenfalls E-Scooter und Krankenfahrstühle als neues Massentransportmittel aus der Haftungsprivilegierung herauszunehmen und der Gefährdungshaftung zu unterwerfen. Hierzu der Rechtsanwalt aus Hagen: „Dies würde der Eigenart der Fahrzeuge und ihrer Nutzung am ehesten gerecht und wäre geeignet, den vom Gesetzgeber mit der Gefährdungshaftung verfolgten Zweck des Schutzes vulnerabler Verkehrsteilnehmer am besten zu erreichen.“
Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 17. August 2022