Der Rechtsausschuss des Bundestages hört heute Expertinnen und Experten zur Überarbeitung des Sanktionenrechts an. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) macht klar: Der Umbruch bei der Ersatzfreiheitsstrafe muss größer dimensioniert werden. Auch beim Maßregelvollzug greift der Gesetzentwurf zu kurz.
Die Bundesregierung will das Sanktionenrecht reformieren. Unter anderem werden dabei die Ersatzfreiheitsstrafe und der Maßregelvollzug in Angriff genommen. Rechtsanwältin Dr. Jenny Lederer, Mitglied im Ausschuss Strafrecht des DAV, reichen die vorgesehenen Änderungen nicht aus: „Die Ersatzfreiheitsstrafe verschärft die desolate Lage vieler von ihr betroffener Bürgerinnen und Bürger noch. Die bloße Halbierung der Haftzeit, die der Entwurf vorsieht, ist nicht ausreichend.“ Konsequent wäre eine Abschaffung dieses Instruments. Werde es beibehalten, müsse das Ziel aber mindestens sein, die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen zu verhindern, nicht bloß deren Dauer zu reduzieren. „Deswegen fordern wir auch die konsequente Entkriminalisierung von Bagatelldelikten wie dem Fahren ohne gültigen Fahrschein. Dadurch würden bereits erheblich weniger Personen überhaupt mit der Gefahr einer Ersatzfreiheitsstrafe konfrontiert.“
Darüber hinaus mache auch dieser Gesetzentwurf noch keinen Unterschied zwischen Zahlungsunwilligkeit und Zahlungsunfähigkeit. „Der Freiheitsentzug sollte das letzte Mittel des Rechtsstaats sein. Bei Zahlungsunfähigen darf eine solche Strafe nicht vollstreckt werden.“ Der DAV fordert deshalb eine verpflichtende Anhörung vor der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen, um Gründe für die Nichtzahlung zu erhellen. Bei Strafbefehlen, die mitursächlich für die hohe Zahl von Ersatzfreiheitsstrafen sind und die ohne richterliche Anhörung erfolgen, gelte dies umso mehr.
Auch die Regelungen zum Maßregelvollzug sind für Dr. Lederer nicht zufriedenstellend. „Der Entwurf greift mit Blick auf Resozialisierung und Rückfallgefahren zu kurz. Die Unterbringungszeiten drohen durch den Gesetzentwurf gar verlängert zu werden. Schon jetzt werden die Allerwenigsten zum Halbstrafenzeitpunkt entlassen, sondern oft erst zum 2/3-Zeitpunkt oder später; bei einer 2/3-Regelung verschiebt sich der Entlassungszeitpunkt nach hinten, so dass das Ziel einer Entlastung verfehlt wird.“ Auch fehle es im Regelvollzug regelmäßig an Behandlungsangeboten und Kapazitäten, um dem Behandlungsbedürfnis gerecht zu werden. Mit den beabsichtigten Restriktionen werde keine Reduzierung des Behandlungsbedarfes und der Behandlungsbedürftigen einhergehen.
Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 17. April 2023