Ein Verordnungsentwurf der Europäischen Union will digitale Diensteanbieter dazu verpflichten, Online-Kommunikation anlasslos auf strafbare Inhalte zu scannen – während sich der Koalitionsvertrag kategorisch gegen Totalüberwachung ausspricht. In der vergangenen Woche berichtete eine große Presseagentur: „Bundesregierung lehnt Chatkontrolle ab“. Die lange vom Deutschen Anwaltverein (DAV) geforderte Generalabsage an die Massenüberwachung privater Kommunikation schien vorzuliegen. Allerdings bezieht sich die Stellungnahme der Bundesregierung nur auf einzelne Aspekte des EU-Vorschlags. Der DAV kritisiert dieses Vorgehen und fordert klare Kante gegen anlasslose Überwachung, auch vom Bundestag:
„Wie so oft steckt der Teufel im Detail: Die Bundesregierung lehnt das Client-Side-Scanning ab, also die Kontrolle von Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten, wie es bei Whatsapp, Signal und Threema der Standard ist. Das ist gut und wichtig. Aber zu einem umfassenden Schutz privater Kommunikation vor anlassloser Ausforschung hätte hier dringend auch das server-seitige Scannen ausgeschlossen werden müssen. Denn so fehlt es am Schutz bei Messengern ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, etwa bei Telegram, im Facebook Messenger sowie in Direktnachrichten bei Instagram oder Twitter, aber auch bei E-Mails.
Ein allgemeines Scannen der Audiokommunikation, also von Telefonanrufen und Sprachnachrichten wird abgelehnt – warum nicht auch von Videoanrufen? Auch die verpflichtende Altersverifizierung sollte die Bundesregierung nach Ansicht des DAV ablehnen, da ansonsten anonyme Telefonie unmöglich gemacht wird. Ebenfalls kritisch sieht der Deutsche Anwaltverein, dass die Bundesregierung das Scannen privater Cloudspeicher nicht ausdrücklich verbieten will.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags haben den Vorschlag längst für grundrechtswidrig erklärt; die Wissenschaftlichen Dienste des EU-Parlaments kamen letzte Woche zu demselben Ergebnis. Der Bundestag sollte die Bundesregierung endlich in einer Stellungnahme zur Einhaltung des Koalitionsvertrags und zur Wahrung der Grundrechte auffordern. Die Bundesregierung muss sich klar zum Koalitionsvertrag bekennen und die anlasslose Massenüberwachung der elektronischen Kommunikation vollumfänglich ablehnen.“
Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 18. April 2023