Statement von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Leiter Politische Kommunikation und Medien des Deutschen Anwaltvereins (DAV):

Nach einer aktuellen Erhebung verbüßen in Berlin wieder deutlich mehr Menschen eine Ersatzfreiheitsstrafe (EFS). Mit 1.606 Betroffenen im ersten Halbjahr 2023 sind die Zahlen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau angekommen. Beachtlich ist der Anteil an den Häftlingen insgesamt: Von den rund 8.360 Menschen, die im Jahr 2022 in den Berliner Gefängnissen einsaßen, waren 2.390 Personen nur ersatzweise wegen nicht bezahlter Geldstrafen dort – mehr als 28 Prozent. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert das System der EFS bereits seit Langem.

„Jeder vierte Insasse eines Berliner Gefängnisses wurde nie zu einer Haftstrafe verurteilt. Wie kann es in einem Rechtsstaat an der Tagesordnung sein, dass Menschen für Bagatelldelikte – allen voran U-Bahnfahren ohne Ticket – in Haft sitzen? Die meisten EFS-Häftlinge sind arbeitslos und verschuldet; die Inhaftierung verschärft regelmäßig die Lage der Betroffenen. Die kürzlich beschlossene Halbierung der Hafttage bei der Umrechnung der Geldstrafe kann diesen Effekt nur bedingt abmildern. Armutskriminalität ist ein soziales Problem, aber keine Gefahr für die Rechtsordnung. Eine sinnvollere Stellschraube, um gar nicht erst Ersatzhaft verhängen zu müssen, wäre die Entkriminalisierung der ÖPNV-Nutzung ohne gültigen Fahrschein – das Strafrecht hat da eigentlich nichts zu suchen. Schließlich geht es dabei nur um zivilrechtliche Ansprüche, die dann meist auch gar nicht beizutreiben sind.

Generell ist das Nichtzahlen von Geldstrafen oft ein Fall des Nicht-Könnens. Die deutlich selteneren Fälle der Zahlungsunwilligkeit sollten durch verpflichtende Anhörungen vor Vollstreckung einer EFS herausgesiebt werden. Ist die betroffene Person hingegen zahlungsunfähig, sollte die Strafe ausgesetzt werden. Es sollten nur die getroffen werden, die nicht zahlen wollen!

Zuletzt ist auch der Kostenfaktor der EFS nicht zu verachten: Ein Tag Haft in Berlin kostet die Landeskasse 226 Euro. Bei rund 14.000 EFS-Häftlingen in den letzten fünf Jahren kamen so mehr als 3 Mio. Euro zusammen, die in Beratungs- und Unterstützungsangeboten sicher nachhaltiger angelegt wären.“

(c) DAV, 07.08.2023

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