Das Bundesverfassungsgericht erklärte heute das „Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit“ für verfassungswidrig. Das Gesetz hatte es ermöglicht, Verfahren gegen vom Mord freigesprochene Personen wiederaufzunehmen, und stand damit im Widerspruch zum Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“). Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hatte bereits in der Vergangenheit auf die Mängel des Gesetzes hingewiesen.
„Das Gesetz hat faktisch eine unbegrenzte Möglichkeit zur Wiederaufnahme von Mordverfahren geschaffen und Freisprüchen die Rechtskraftwirkung genommen“, erklärt Rechtsanwalt Stefan Conen vom Ausschuss Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins. Bereits einige Jahre im Voraus war ein Gesetzentwurf gescheitert, der einen ähnlichen Wiederaufnahmegrund konkret auf technische Neuerungen bei den Ermittlungen (z.B. DNA-Analysen) stützen sollte. „Das aktuelle Gesetz jedoch enthält keine solche Beschränkung, sondern erlaubt die Wiederaufnahme auf Basis aller denkbaren ‚neuen‘ Beweismittel – dazu zählen auch Zeugenaussagen.“
Damit seien Freisprüche in Mordverfahren unter diesem Gesetz nur vorläufige Ergebnisse, eine Wiederaufnahme immer wieder möglich. „Freigesprochene können nie sicher sein, sich nicht erneut in der gleichen Sache auf der Anklagebank verteidigen zu müssen“, erklärt der Anwalt. Auch wenn dies in einzelnen Fällen für die Angehörigen der Opfer schwer erträglich sei, dürfe der Gesetzgeber nicht die Grenzen des Rechtsstaates sprengen. Deshalb begrüße der Deutsche Anwaltverein die Entscheidung der Verfassungsrichter:innen.
(c) DAV, 31.10.2023