
Die neu gewählte Bundestagspräsidentin, Julia Klöckner, wünscht sich mehr Präsenz in sozialen Medien. „Wir können gemeinsam in der Kommunikation besser werden – Politik, Medien, Gesellschaft“, sagte Klöckner der Wochenzeitung „Das Parlament“ . „Wir sind nicht dort, wo die Mehrheit der Jugendlichen ist – an den digitalen Theken“, stellte sie fest. Wenn sich gesellschaftliche Kommunikation ändere, müsse aber auch der Bundestag darauf reagieren. Es gebe in den digitalen Räumen eine Aufmerksamkeitsökonomie, die durch Klicks, Skandalisierung, Reduzierung getrieben sei. Da gebe es viel Aufmerksamkeit, aber oft wenig Aufklärung. „Die Algorithmen werden wir nicht verändern können“, sagte Klöckner, „aber wir müssen diese Plattformen auch nicht unwidersprochen stehen lassen – sondern selbst dort ein Angebot machen für unterschiedliche Zielgruppen – und Vorbild im Ton und Wahrhaftigkeit sein.“
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament: Frau Präsidentin, Sie stehen seit Dienstag an der Spitze des Bundestags. Wie fühlt sich das für Sie an, jetzt morgens als Inhaberin des zweithöchsten Staatsamts aufzuwachen?
Julia Klöckner: Ich wache so auf wie bisher auch, mit ein bisschen weniger Schlaf in diesen Tagen. Die Aufgaben im neuen Amt gehe ich nun beherzt an. Kurzum: Keiner sollte zu sehr von sich selbst bewegt sein, sondern im Amt viel bewegen.
Das Parlament: Sie haben schon durchblicken lassen, dass Sie nicht nur repräsentieren wollen, sondern durchaus auch eine eigene Agenda haben. Unter anderem haben Sie angekündigt, die Geschäftsordnung des Bundestags „optimieren“ zu wollen. Worum geht es Ihnen dabei vor allem?
Julia Klöckner: Demokratie ist nichts Statisches. Seit ihrer Erfindung hat sie sich in ihren Formen und in der Art, wie sie gelebt und ausgeführt wird, immer wieder verändert. Deshalb enthält eine Geschäftsordnung, sage ich mal salopp, mit der Zeit auch viel Totholz. Dann muss man sie entrümpeln und neuen Erfordernissen und Erkenntnissen anpassen.
Das Parlament: Was heißt das konkret?
Julia Klöckner: Wir werden sicher über die Stärkung des Kontrollaspektes des Deutschen Bundestages sprechen müssen, darüber wie wir die Tagesordnung entlasten, die Abstimmungen müssen transparenter werden, Wahlverfahren und das Ordnungsrecht gehören überdacht, überprüft und angepasst.
Das Parlament: Sie sind ein Fan der Digitalisierung…
Julia Klöckner: …Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sie soll Abläufe vereinfachen, sicherer machen, optimieren, Effizienzen heben und zum Arbeitsalltag passen. Es geht ums Ermöglichen und Modernisieren auch für die Abgeordnetenarbeit. Stimmabgaben, Unterschriften und weitere Vorgänge müssen ja nicht auf immer und ewig analog bleiben.
Das Parlament: Seit einiger Zeit wird beklagt, der Umgangston sei sehr viel ruppiger geworden, die Beleidigungen, Beschimpfungen, persönliche Angriffe nähmen zu. Ist das ein Thema für Sie?
Julia Klöckner: Um es deutlich zu sagen: Es ist ja nicht so, dass die einen heilig sind, und die anderen vergreifen sich im Ton. Ich bin seit zwei Jahrzehnten Mitglied in Parlamenten, und da ging es schon immer ziemlich robust zu. Das ist das eine. Jede Fraktion hat pointierte Rednerinnen und Redner, auch solche, die zuspitzen, auch mal übers Ziel hinausschießen. Unser Parlament soll auch kein Schlafsaal sein, die freie Rede ist ein hohes Gut. Das andere aber ist die Art des Umgangs, zivilisiert muss er sein: So wie wir die Debatten führen, so werden sie dann auch in der Gesellschaft geführt. Deshalb ist der Ton wichtig, sind Anstand und Respekt Vorbild gebend. Persönliche Herabwürdigungen sind nicht akzeptabel. Es gibt auch Grenzen, wenn die Legitimation dieses Parlaments in Frage gestellt wird, wenn sogar das Parlament lächerlich gemacht wird. Und hier muss ich sagen, hat zum Beispiel die AfD keinen guten Start gehabt, als sie in der ersten Sitzung mehrfach unterstellte, hier würde ein Kartell arbeiten, weil Abstimmungsmehrheiten im Ergebnis nicht dem Wunsch der Unterlegenen entsprachen. Um es klar zu sagen: Demokratisch gefundene Mehrheiten sind keine Kartelle, sondern Ausdruck gelebter Demokratie. Die Wählerinnen und Wähler haben am 23. Februar die Mehrheiten im Deutschen Bundestag neu bestimmt. Diese Mehrheiten, die in freier, geheimer Wahl zustande kamen, sind zu respektieren und nicht zu diffamieren.
Das Parlament: Sie wurden dafür kritisiert, dass Sie vor der Wahl, wie allen anderen Fraktionen auch, der AfD ein Gesprächsangebot gemacht haben. Das Treffen fand aus Termingründen nicht statt. Aber finden Sie es denn an der Zeit, einen anderen Umgang mit der AfD zu suchen?
Julia Klöckner: Kritisiert wurde ich dafür, aber auch gelobt von Bürgern und Medien. Formale Umgangsformen sind ja nicht mit inhaltlichen Positionierungen gleichzusetzen. Ich verstehe mich als Präsidentin des gesamten Hohen Hauses, so ist auch meine Amtsbeschreibung. Deshalb habe ich allen Fraktionen – von den Linken bis zur AfD – angeboten, mich und meine Vorstellungen als zur Wahl stehende Kandidatin für das Amt zu erläutern. Die AfD-Fraktion hätte gerne zeitgleich zum ökumenischen Gottesdienst, der traditionell zur Eröffnung der neuen Legislaturperiode stattfindet, mit mir gesprochen. Es ist klar, dass ich den Gottesdienst dafür nicht absagen konnte und wollte. Und die danach angebotenen Termine kollidierten mit bereits zugesagten bei den weiteren Fraktionen.
Das Parlament: Die Mitte des Parlaments ist geschrumpft, AfD und Linke verfügen über eine Sperrminorität – erwarten Sie eine besonders schwierige Wahlperiode?
Julia Klöckner: Ich empfehle uns allen ein wenig Gelassenheit. Die Bürger haben eine neue Zusammensetzung des Parlamentes bestimmt, und das haben wir zu akzeptieren und damit auch umzugehen. Das ist etwas, was Demokratie ausmacht. Hier herrschen Regeln. Regeln, die die Minderheiten schützen, dazu gehört beispielsweise auch die Sperrminorität. Und es gibt Regeln, die der Mehrheit das Handeln ermöglichen. Der Bundestag ist voll handlungsfähig.
Das Parlament: Nach der jüngsten Wahl ist der Anteil der weiblichen Abgeordneten im Bundestag wieder gesunken: auf rund 32,4 Prozent. Warum ist das so?
Julia Klöckner: Es liegt nicht am Wahlrecht, das hindert seit 1918 keine Frau mehr an der Kandidatur. Es sind die Rahmenbedingungen. Es liegt an mangelnder Attraktivität, es liegt an Lebensrealitäten – Stichwort: Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das schreckt schon einige ab. Zweitens: Es hat etwas damit zu tun, wie vor Ort Kandidaten aufgestellt werden. Und drittens spüren viele Frauen Stimmungen vielleicht einen Tick anders und reagieren darauf, wenn sie wahrnehmen, dass in der Politik mit sehr harten Bandagen gekämpft wird – gerade Frauen in der Öffentlichkeit werden im Internet sehr unsachlich, unter der Gürtellinie angegriffen. Und da gibt es dann auch Frauen, die sich sagen, dass muss ich mir nicht antun. Das verstehe ich übrigens gut, auch bei Männern. Nichtsdestotrotz: Wir brauchen mehr Frauen auch in der Politik, schließlich machen sie mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung aus.
Das Parlament: Das von der Ampel-Koalition geänderte Wahlrecht hat jetzt dazu geführt, dass 23 Kandidaten, die ihren Wahlkreis gewonnen haben, kein Mandat im Bundestag erhalten haben. Jetzt will die Union das Gesetz nochmals reformieren. Kann man das, ohne das ursprüngliche Ziel aufzugeben, die Zahl der Abgeordneten insgesamt im Bundestag zu begrenzen?
Julia Klöckner: Es ist offenbar das Los von Bundestagspräsidenten und -präsidentinnen, sich mit dem Wahlrecht zu beschäftigen, das war bei meinen Vorgängern auch ein bestimmendes Thema. Das Ziel, die Zahl der Abgeordneten im Bundestag zu reduzieren, halte ich für richtig, und das ist mit der Reform auch erreicht worden. Ich habe aber Zweifel, ob alle Bürgerinnen und Bürger das Ergebnis dieser Reform für gerecht halten – geschweige denn die betroffenen Kandidaten. Ich schaffe es in meinen Begegnungen mit den Menschen nicht, überzeugend zu erklären, dass sie einen Kandidaten wählen, der zwar die Mehrheit der Wählerstimmen bekommt, aber am Ende doch keinen Sitz im Deutschen Bundestag. Zugegeben, das Wahlrecht war in Deutschland schon immer etwas kompliziert. Doch eines konnte man bislang sehr einfach erklären: dass die Wähler mit ihrer Erststimme einen konkreten Abgeordneten ins Parlament wählen.
Das Parlament: Nochmal zurück zur Frage, ob ein anderes Wahlrecht den Bundestag nicht vergrößern würde…
Julia Klöckner: Was manche vergessen: Wir hatten für die Wahl 2025 bereits ein reformiertes Wahlrecht, das aber durch die abermalige Reform dann nie zur Anwendung kam. Das Wahlrecht sah statt 299 nur noch 280 Wahlkreise vor, drei Überhangmandate wären nicht ausgeglichen worden. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Wahlrecht geprüft und bestätigt. Es gibt also durchaus Alternativen, die sogar schon Gesetz waren. Was der bessere Weg wäre oder welche weiteren konkret denkbar sind, da halte ich mich zurück und möchte den Fraktionen nicht vorgreifen.
Das Parlament: Es wird immer wieder mal die Idee vorgetragen, die Dauer der Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre zu verlängern – wie in den meisten Länderparlamenten. Wie stehen Sie dazu?
Julia Klöckner: Wenn eine Debatte darüber gewollt und der Wunsch breit getragen ist, dann bin ich dafür offen. Die Frage ist nicht unser Hauptproblem in der neuen Wahlperiode, würde ich sagen.
Das Parlament: In der vergangenen Wahlperiode ist der Entwurf eines Bundestagspolizeigesetzes, das von der Ampel-Koalition eingebracht worden war, nicht mehr verabschiedet worden. Es geht dabei darum, dass es überhaupt erstmalig mal eine gesetzliche Grundlage gibt. Ist das ein Thema, das Sie wieder aufgreifen werden?
Julia Klöckner: Auf alle Fälle. Ich halte es für richtig, dass wir ein Polizeigesetz für den Bundestag auf den Weg bringen. Es geht darum, unseren Parlamentarismus zu schützen, auch vor Extremismus, vor IT-Angriffen. Man muss aber abwägen, inwiefern der Wirkungsbereich und die Freiheit als frei gewählter Abgeordneter eingeschränkt werden könnten. Man muss immer schauen, ob man vom Einzelfall ausgehend plötzlich eine Regelung für alle macht. Die Addition der Regelung von Einzelfällen führt nicht unerheblich zur massiven Einschränkung für alle anderen. Ich bin mir sicher, wir werden da dran gehen und sollten uns dann auch den nötigen Raum und die Tiefe geben, die Argumente bei einzelnen Punkten zu besprechen und zu wägen.
Das Parlament: In Ihrer Rede nach Ihrer Wahl haben Sie die zahlreichen Angriffe auf die Demokratie und den Vertrauensverlust in die staatlichen Institutionen angesprochen. Was braucht es, um die Demokratie zu verteidigen?
Julia Klöckner: Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist gleich ein Angriff auf die Demokratie. Diskursräume sind durchaus eine Zumutung, aber notwendig. Wer Meinungsvielfalt ernst meint, muss das auch aushalten. Aushalten muss man aber nicht Herabwürdigungen, bestimmte Tonlagen und bedenkliche Infragestellung von Institutionen. Dienlich sind wir unserer Demokratie, wenn wir alle unsere Arbeit machen, Dienstleister der Bürger sind, Vermittler von Entscheidungen, uns an Spielregeln halten und ganz wichtig: Die Sorgen der Bürger ernst nehmen und Probleme lösen, die real vorhanden sind. Die Menschen treibt die Inflation, die schwächelnde Wirtschaft, der Arbeitsplatzverlust um. Es geht um individuelle Existenzen. Zudem: Die geopolitischen Ungewissheiten beunruhigen. Was früher sicher schien, ist es nicht mehr. Neue Zölle statt Handelspartnerschaften zum Beispiel haben Auswirkungen auf unser Leben. Dennoch sollten wir optimistisch und zuversichtlich bleiben: Wir haben eine bewährte, stabile Verfassung.
Das Parlament: Braucht es auch einen anderen Ton?
Julia Klöckner: Wir können gemeinsam in der Kommunikation besser werden – Politik, Medien, Gesellschaft. Der Deutsche Bundestag ist das meistbesuchte Parlament, aber nicht das modernste. Wir sind nicht dort, wo die Mehrheit der Jugendlichen ist – an den digitalen Theken. Wenn sich gesellschaftliche Kommunikation ändert, dann müssen wir darauf reagieren. Es gibt in den digitalen Räumen eine Aufmerksamkeitsökonomie, die durch Klicks, Skandalisierung, Reduzierung getrieben ist. Es gibt dort viel Aufmerksamkeit, aber oft wenig Aufklärung. Die Algorithmen werden wir nicht verändern können, aber wir müssen diese Plattformen auch nicht unwidersprochen stehen lassen, sondern selbst dort ein Angebot machen für unterschiedliche Zielgruppen – und Vorbild im Ton und Wahrhaftigkeit sein.
Deutscher Bundestag, 28.03.2025