Die Wahlrechtskommission hat sich am Donnerstagabend bereits zum dritten Mal mit der Frage befasst, wie der Frauenanteil im Bundestag von derzeit 34,9 Prozent gesteigert werden kann. In der dreistündigen Sitzung erörterten die Abgeordneten und Sachverständigen Pro und Contra verschiedener Lösungsansätze. Wenngleich sich noch kein bevorzugter Ansatz herauskristallisiert, so kann doch unterschieden werden zwischen Vorschlägen, die auf eine gesetzliche Paritätsregelung hinauslaufen, und solchen, die unterhalb dieser Eingriffsschwelle bleiben wollen.

Die Sachverständige Stefanie Schmahl, Gegnerin eines Paritätsgesetzes, aber Befürworterin eines höheren Frauenanteils, bündelte alle Vorschläge für ein „Soft Law“, das verfassungsrechtlich unproblematisch wäre: So könnte die Honorierung von Vätern, die Elternzeit nehmen, erhöht werden. Mutterschutz und Elternzeit für Frauen und Männer könnten im Abgeordnetengesetz verankert werden. In das Parteiengesetz könnte die Pflicht aufgenommen werden, dass sich Parteien mit Gleichstellungsfragen befassen müssen, wobei auch die von der Sachverständigen Jelena von Achenbach eingebrachte „verbindliche Selbstregulierung“ und der von der Sachverständigen Anna Goßner gemachte Vorschlag eines „Kodex“ für die Parteien berücksichtigt werden könnten. Darüber hinaus könnten den Parteien finanzielle Anreize geboten werden, so Schmahl, wobei allerdings darauf zu achten wäre, dass dies nicht zu einer Sanktionierung der anderen Parteien führt. Dies zusammengenommen, so die Sachverständige, böte die Möglichkeit, den Anteil von Frauen in Parlamenten mit verbindlichen Regelungen zu stärken. „Vielleicht sollte man das versuchen, bevor man ein Gesetz wählt, das meines Erachtens ziemlich sicher verfassungswidrig wäre“, sagte sie.

Dagegen vertraten die Sachverständigen Silke Ruth Laskowski und Elke Ferner die Position, dass Fortschritte nur durch „Hard Law“, also durch gesetzliche Regelungen, erzielt werden können. Die Erfahrungen mit Selbstverpflichtungen, etwa der Wirtschaft, sind nach Aussage Laskowskis katastrophal gewesen: „Da tut sich nichts.“ Diese seien nur eingegangen worden, um Gesetze zu verhindern. Nach einiger Zeit würde man doch auf gesetzliche Regelungen zurückgreifen müssen. In den Parteien müssten Strukturen aufgebrochen werden, betonte Laskowski. Flankierende Maßnahmen könnten zwar hilfreich sind, eigneten sich aber nicht, um effektive Veränderungen auf den Weg zu bringen. Ihr Modell einer „paritätsabhängigen Mandatszuteilung“ sieht eine abwechselnde Mandatszuteilung nach Geschlecht vor. Würden etwa die ersten zehn Direktmandate an Männer gehen, dann müssten auf den Listenplätzen erst zehn Frauen berücksichtigt werden, um die Parität herzustellen. Auf gesetzliche Verpflichtungen der Parteien könnte dabei verzichtet werden, so Laskowski. Eine solche Regelung wäre aus ihrer Sicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Die Parteien hätten es in der Hand, inwieweit eine paritätische Zuteilung möglich wird.

Elke Ferner plädierte für den Mut, im Parlament eine Regelung zu verabschieden, die dann vom Bundesverfassungsgericht bewertet wird. Sollte sie von Karlsruhe verworfen werden, „dann wissen wir wenigstens, woran wir sind“, sagte Ferner, die für „wirksame Maßnahmen“ eintrat. Ein Soft-Law-Kodex würde diese nur verhindern. Ihr Sachverständigen-Kollege Rudolf Mellinghoff ermutigte die Abgeordneten, „das zu tun, was sie für richtig halten“. Aus Sicht der Sachverständigen Jelena von Achenbach sind Paritätsvorgaben ein Öffnungsinstrument, um „einen Kulturwandel anzuschieben“. Es gehe um den Abbau struktureller Vermachtung, um den Abbau einer faktischen Männerquote. Der Gesetzgeber sollte ihrer Meinung nach selbstbewusst seinen Gestaltungsspielraum ausfüllen und nicht „orakeln, was das Bundesverfassungsgericht sagt“. Eine Option wäre für sie, die Parteien gesetzlich zu verpflichten, sich selbst ein Paritätsziel zu setzen und dies in der Höhe frei zu wählen. Diese freiwillige Quote der Parteien könnte zur Information der Wählenden auf dem Wahlzettel abgedruckt werden. Achenbach bezeichnete diese „vermittelnde Lösung“ als „verbindliche Selbstregulierung“ der Parteien. Mellinghoff ging auf diesen Vorschlag ein und schlug vor, die Parteien könnten Rechenschaftsberichte über ihre Gleichberechtigung von Mann und Frau abgeben.

Für Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) stellt die ungleiche Repräsentation der Geschlechter im Parlament ein verfassungsrechtliches Problem dar. Ziel einer Paritätsgesetzgebung müsse sein, einen Ausgleich dieser Machtverhältnisse herzustellen. Unterhalb einer Paritätsgesetzgebung zu bleiben, sei nicht das, „was wir machen müssten“. Susanne Henning-Wellsow (Die Linke), die Petra Pau als Kommissionsmitglied ablöst, warb für den Mut, dem Bundestag eine politische Entscheidung vorzuschlagen und keine „Abwehrschlacht zu führen“. Dagegen warnte FDP-Obmann Konrad Kuhle davor, ein Paritätsgesetz zu beschließen, das dann vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Das Risiko wäre ihm zu hoch, so Kuhle, und ein Scheitern wäre dem Ziel gleichberechtigter Repräsentanz nicht förderlich. Albrecht Glaser (AfD) verneinte, dass Wahlentscheidungen aufgrund des Geschlechts der Kandidierenden getroffen werden. Er wandte sich dagegen, die „Gleichheit der Wahlpopulation“ zu zerbrechen, was durch Paritätsregelungen seiner Ansicht nach der Fall wäre und auf Ergebnisgleichheit statt auf Chancengleichheit hinauslaufen würde.

Der Bundestag hat die aus 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen bestehende Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit am 16. März 2022 eingesetzt (20/1023). Sie soll ihren Abschlussbericht bis 30. Juni 2023 vorlegen.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 553 vom 14. Oktober 2022

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