Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, Michael Grosse-Brömer (CDU), wirft der Bundesregierung vor, zu wenig gegen die Inflation und die Krise in der Energieversorgung zu tun. „Man kann nach Katar fahren, aber wenn bis heute kein Fingerhut Gas geliefert wurde und auch kein entsprechender Vertrag erkennbar ist, dann muss ich die Regierung auffordern, zu liefern“, sagte der Christdemokrat im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag 11. Juli 2022). „Warme Worte alleine reichen eben nicht. Man muss ihnen auch Taten folgen lassen“, sagte Grosse-Brömer weiter.
Der Wirtschaftspolitiker forderte, angesichts der aktuellen Engpässe in der Energieversorgung eine Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken nicht aus ideologischen Gründen auszuschließen. Man müsse nun „ohne jegliche Ideologie prüfen“, welche Energiequellen in Frage kämen. „Jede Partei, auch meine, muss drüber nachdenken, welche Dinge wir uns zumuten müssen, damit Krisensituationen in dem Ausmaß nicht mehr passieren“, sagte Grosse-Brömer. Er forderte zudem ein Ende der Schuldenpolitik: „Wir können nicht mehr nur Sondervermögen machen und müssen so schnell es geht zur soliden Haushaltspolitik zurückkehren.“
Das Interview im Wortlaut:
Das Parlament: Herr Grosse-Brömer, der Bund hat den Weg freigemacht, um dem größten deutschen Gasimporteur Uniper unter die Arme zu greifen. Der Konzern wird bezeichnet als „too big to fail“, darf also nicht untergehen, weil die Konsequenzen verheerend wären. Es ist eine Beteiligung geplant ähnlich der Hilfen für die Lufthansa während der Corona-Pandemie. Handelt die Regierung da richtig?
Michael Grosse-Brömer: Wir haben besondere Umstände und besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen. Unter normalen Umständen kommt kein Mensch auf die Idee, ein Großunternehmen mit Milliarden zu unterstützen. Aber wenn die Alternative nun ist, ein solches Unternehmen Bankrott gehen zu lassen, und damit womöglich die Gasversorgung zusätzlich zu gefährden mit all den Konsequenzen, die das für die Verbraucher und privaten Haushalte hätte, dann muss man darüber nachdenken, welche Möglichkeiten bestehen. Und too big to fail war schon bei der Bankenrettung ein gutes Argument wegen möglicher Dominoeffekte. Wenn man hilft, dann auch in der Hoffnung, dass es später so gut läuft, dass man das Geld wieder zurückbekommen kann, wie bei der Lufthansa.
Das Parlament: Aber das sollte nicht die Regel werden, oder? Auch wenn die Krisen sich häufen.
Michael Grosse-Brömer: Die Krisen häufen sich und man macht sich Sorgen angesichts dieser Entwicklung, die ja keine normale ist. Die hohen Energiekosten, die Inflation, das sind besorgniserregende Entwicklungen. Ungeachtet der Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft, mit denen wir über Jahrzehnte gut gefahren sind in Deutschland, muss man zumindest in solchen Krisensituationen über staatliche Hilfen nachdenken.
Das Parlament: Es gibt erste Berichte über drohende Insolvenzen bei kommunalen Stadtwerken, es besteht die Gefahr, dass die Menschen nicht mehr mit Energie versorgt werden können. Welche Schlüsse muss man daraus ziehen für die Daseinsvorsorge?
Michael Grosse-Brömer: Daseinsvorsorge ist ein großes Wort und das umfasst ja viel mehr als Energieversorgung. Und natürlich gibt es Kernkompetenzen, die der Staat erfüllen muss, damit es den Menschen gut geht. Wenn der Bundeskanzler von einer Zeitenwende spricht, dann muss er sich – insbesondere von der Opposition – die Frage gefallen lassen, was seine Antworten auf diese Zeitenwende sind. Und ob die Antworten die richtigen sind. Nicht nur energiepolitisch, auch was die Inflation betrifft, die für viele Menschen in unserem Land eine große Belastung ist.
Das Parlament: Was sind denn Ihre Antworten?
Michael Grosse-Brömer: Die Regierung hat Entlastungspakete vorgelegt, aber aus meiner Sicht ist das nicht ausreichend. Ich hoffe, dass wir die richtigen Vorschläge noch bekommen. Ich muss Wirtschaftsminister Robert Habeck vorhalten, dass er uns noch im März gesagt hat, Deutschland sei auf eine Kappung von Energieimporten durch Putin vorbereitet. Wäre es nach uns gegangen, dann wäre manches, das wir gerade diskutieren, schon erfolgt. Man kann nach Katar fahren, aber wenn bis heute kein Fingerhut Gas geliefert wurde und auch kein entsprechender Vertrag erkennbar ist, dann muss ich die Regierung auffordern, zu liefern. Warme Worte alleine reichen eben nicht. Man muss ihnen auch Taten folgen lassen.
Das Parlament: Die Abhängigkeiten von Russland in der Energieversorgung, die gerade so deutlich werden, bestanden aber schon vor März 2022.
Michael Grosse-Brömer: Das stimmt, man hätte auch viele Jahre vorher schon etwas gegen die Abhängigkeit von russischen Energiequellen machen können. Aber mich langweilt ein bisschen, wenn ich das so sagen darf, dass das immer nur mit meiner Partei in Verbindung gebracht wird. Wir haben mit der FDP regiert, wir haben mit der SPD regiert und ich kann mich an keinen richtigen Vorschlag von deren Seite erinnern, dass wir etwas hätten ändern sollen. Der Blick zurück hilft uns nicht, im Nachhinein ist man immer klüger. Angesichts der aktuellen Situation muss eben die aktuelle Regierung in der Lage sein, ein Konzept vorzulegen. Doch ich sehe kein Konzept. Ich sehe einen eloquenten, sehr kommunikativen Wirtschaftsminister. Mir wäre es dennoch lieber, wenn er zusätzlich zu dieser brillanten Kommunikation brillante Lösungsvorschläge nicht nur präsentieren, sondern auch umsetzen würde.
Das Parlament: Was wären ihre Vorschläge, um eine Abhängigkeit noch weiter zu reduzieren, wenn die akuten Krisen überstanden sind?
Michael Grosse-Brömer: Ich glaube, dass wir drastisch vor Augen geführt bekommen haben, dass wir, was Energiepolitik betrifft, ohne jegliche Ideologie prüfen müssen, welche Energiequellen für uns in Frage kommen. Es gibt eben noch mehr Technologien als Wind- und Solarenergie. Man hat im Plenum gesehen, mit welcher Emotionalität auf den Vorschlag einer zeitweisen Verlängerung der Kernkraft reagiert wurde. Wir haben eine grüne Partei, die Kernkraftwerke nicht weiterlaufen lassen will, aber dafür die Kohlekraftwerke. Davon abgesehen müssen wir über eine konsistente Energiepolitik nachdenken. Da will ich gar nicht parteipolitisch argumentieren. Jede Partei, auch meine, muss drüber nachdenken, welche Dinge wir uns zumuten müssen, damit Krisensituationen in dem Ausmaß nicht mehr passieren.
Das Parlament: Sie sagen also, Politik solle vom Ergebnis her denken und nicht von der Ideologie?
Michael Grosse-Brömer: Ideologie verhindert aus meiner Sicht den Blick auf sinnvolle und praktikable Lösungen und ist sicher der schlechteste Ratgeber. Wenn man aus ideologischen Gründen irgendetwas ablehnt, gerade in Krisenzeiten, dann ist das ein falscher Ansatz. Insbesondere wir in der Politik machen Gesellschaftsmanagement. Wir müssen diese Gesellschaft gestalten und wenn wir eine Krise haben, müssen wir sie lösen. Laufzeitverlängerungen – auch befristete – wurden lange nicht diskutiert. Es hieß aber bislang auch: „Keine Waffenlieferungen in Krisengebiete“. Jetzt stellen wir fest: Waffenlieferungen in Krisengebiete können manchmal nicht nur richtig, sondern dringend notwendig sein, um massives Unrecht zu verhindern. Politik muss Lösungen präsentieren und zwar die aktuelle Regierung und nicht die von vor sechzehn oder acht Jahren.
Das Parlament: Es wird gerade sehr viel Geld ausgegeben, um die Krise zu meistern. Gleichzeitig droht ihre Fraktion damit, bei einer erneuten Nichteinhaltung der Schuldenbremse in Karlsruhe zu klagen. In der momentan kaum einzuschätzenden Situation: Kann man das jetzt wirklich fordern?
Michael Grosse-Brömer: Erstmal haben wir ja angesichts der Krise schon einen Haushalt akzeptiert, der eine der größten Verschuldungen Deutschlands beinhaltet, die jemals existierte.
Das Parlament: Gezwungenermaßen akzeptiert…
Michael Grosse-Brömer: Nun, wir haben gesehen, dass eine gewisse Hilfsnotwendigkeit in der Krise besteht. Aber wenn Finanzminister Christian Lindner nun selbst sagt, er wolle beim nächsten Mal die Schuldenbremse einhalten, da kann man ihm doch nur Erfolg wünschen. Natürlich, die Krisen stehen im Vordergrund, die Verschuldung ist dadurch massiv gewachsen. Wir müssen uns dann als Opposition auch die Frage stellen, wozu man möglicherweise staatspolitisch gezwungen ist; was wir mittragen sollten. Deswegen haben wir beim Sondervermögen für die Bundeswehr auch einer Grundgesetzänderung zugestimmt. Doch mit der Schuldenpolitik muss so schnell wie möglich Schluss sein. Wir können nicht mehr nur Sondervermögen machen und müssen so schnell es geht zur soliden Haushaltspolitik zurückkehren. Wir sehen in Europa, wohin eine zu hohe Staatsverschuldung bei manchen Ländern führt.
Das Gespräch führte Elena Müller.
Quelle: Deutscher Bundestag, Pressemitteilung vom 8. Juli 2022