Am Münchener Institut für Zeitgeschichte findet seit dem 5. September noch bis einschließlich zum morgigen 7. September 2023 die erste Arbeitstagung der Kommission zur Aufarbeitung des Attentats auf die israelische Olympia-Mannschaft in München 1972 statt. Im Mittelpunkt steht neben der Diskussion der wichtigsten Forschungsfragen ein Workshop mit Vertreterinnen und Vertretern staatlicher Archive und Behörden, um die für die Forschungsarbeit relevanten Aktenbestände vorzubereiten.

Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat: „Ich bin sehr glücklich, dass wir nach all den Jahren nun endlich eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung des Attentats angehen können. Mit der internationalen Historikerkommission konnten wir dafür ausgewiesene Expertinnen und Experten gewinnen, die gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte und dessen exzellenter Forschungsinfrastruktur in den nächsten drei Jahren die Geschehnisse des 5. September 1972, seine Vor- und Nachgeschichte durchleuchten werden. Wir sichern hier als Bundesinnenministerium größtmögliche Unterstützung bei der Aufarbeitung und bei dem Zugang zu staatlichen Akten zu.

Kommissionsmitglied Prof. Dr. Christopher Young von der Universität Cambridge: „Viele offene Fragen gibt es beispielsweise beim nachrichtendienstlichen Austausch im Vorfeld des Anschlags, zum Hintergrund und den Netzwerken der Attentäter sowie zu einer möglichen Unterstützung durch deutsche Links- und Rechtsextremisten. Ebenso muss hinterfragt werden, warum Angebote der israelischen Regierung, eine Eliteeinheit zur Befreiung der Geiseln einzufliegen, abgelehnt wurden, was bei der Entführung einer Lufthansamaschine zur Freipressung der Attentäter geschah und schließlich, welche Folgen München 1972 im Weiteren für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, Israel und arabischen Staaten nach sich gezogen hat. Besonderes Gewicht wird das Forschungsprojekt der Perspektive der Hinterbliebenen einräumen.“

Prof. Dr. Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte: „Der Umgang der deutschen Behörden mit den Opferfamilien hat viele Dissonanzen erzeugt. Wir wünschen uns, dass dieses Forschungsprojekt einen Wendepunkt markiert: Neben dem Studium der archivalischen Quellen soll daher auch die Erfahrungsgeschichte der Hinterbliebenen systematisch sichtbar gemacht werden.

Kommissionsmitglied Prof. Dr. Shlomo Shpiro von der Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv will auch israelische Quellen und Archive in die Forschungsarbeit einbeziehen und erwartet sich davon wichtige Erkenntnisse über die Tathergänge: „Gerade auch in Israel ist die Arbeit der Kommission mit hohen Erwartungen verbunden. Der Anschlag in München ist im Gedächtnis vieler Menschen in Israel fest verankert. Die Arbeit der Kommission ist enorm wichtig − nicht nur, um die Geschichte aufzuarbeiten, sondern auch, um die Terrorbedrohungen und Terrorabwehrmaßnahmen von Heute und Morgen besser zu verstehen und vorzubeugen.

Das Projekt ist auf die Dauer von drei Jahren angelegt. In dieser Zeit sollen die unmittelbare Vorgeschichte, der Anschlag selbst, das Agieren von Sicherheitsbehörden und Politik, die Folgen des Anschlags für die bundesdeutsche Nahostpolitik sowie seine Nachgeschichte auf innenpolitischer und erinnerungskultureller Ebene untersucht werden.

Welchen Platz der Anschlag in den nationalen Erinnerungskulturen einnimmt, ist auch Thema einer öffentlichen Abendveranstaltung in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 6. September um 19 Uhr: Unter dem Titel „München 1972: Gespaltenes Gedenken?“ diskutieren Vertreterinnen und Vertreter der Historikerkommission mit weiteren Expertinnen und Experten über den unterschiedlichen Umgang Deutschlands und Israels mit der Erinnerung an das Olympia-Attentat. Um an dieser Veranstaltung auch die israelische Öffentlichkeit, insbesondere die Angehörigen der Opfer des Attentats, teilhaben lassen zu können, wird die Podiumsdiskussion live auf www.badw.de im Internet gestreamt und der Livestream auch simultan ins Hebräische übersetzt.

Zum Hintergrund:

Am 5. September 1972 überfielen acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September während der Olympischen Sommerspiele in München das israelische Team der Herren. Bei dem Anschlag und im Zuge eines missglückten Befreiungsversuchs durch die bayerische Polizei starben elf Mitglieder der israelischen Olympia-Mannschaft, ein Polizist und fünf Geiselnehmer.

Im April 2023 hat die Bundesregierung ein internationales Forschungsprojekt auf den Weg gebracht: Eine Kommission aus acht international renommierten Historikerinnen und Historikern wurde vom Bundesministerium des Innern und für Heimat damit beauftragt, gemeinsam mit dem Institut für Zeitgeschichte München–Berlin das Attentat sowie dessen Vor- und Nachgeschichte umfassend wissenschaftlich aufzuarbeiten. Mit der Einsetzung der Kommission erfüllt die Bundesregierung den letzten Teil der mit den Angehörigen der Opfer vereinbarten Gesamtkonzeption zum 50. Jahrestags des Attentats.

Mitglieder der Kommission zur Aufarbeitung des Attentats auf die israelische Olympia-Mannschaft:

Prof. Dr. Ofer Ashkenazi

Ofer Ashkenazi ist Professor für Geschichte und Direktor des Richard Koebner Minerva Center für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität von Jerusalem

Herr Ashkenazi ist Experte für die moderne deutsche Nachkriegsgeschichte und die deutsch-jüdische Geschichte mit einem Schwerpunkt auf Kultur- und Mediengeschichte. Darüber hinaus befasst er sich mit der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung der deutschen, israelischen und palästinensischen Geschichte.

Prof. Dr. Michael Brenner

Michael Brenner ist Professor für jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Direktor des Center for Israel Studies an der American University in Washington D.C.

Herr Brenner ist Experte für die Geschichte Israels und der jüdischen Geschichte und Kultur, hier mit Schwerpunkt auf Deutschland und Israel. Er ist internationaler Präsident des Leo-Baeck-Instituts und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Prof. Dr. Shlomo Shpiro

Shlomo Shpiro ist Direktor des Europa Instituts und Inhaber des Paterson Chair in Security and Intelligence an der Bar-Ilan University in Ramat Gan, Israel

Herr Shpiro ist Spezialist für die Geschichte der Sicherheitsdienste in Israel und Europa, des palästinensischen und islamistischen Terrorismus sowie der Terrorismusbekämpfung, Er hat vertieft zum palästinensischen Terrorismus der 1970er-Jahre, hier auch speziell zum Attentat auf die israelische Olympia-Mannschaft, und der Krisenkommunikation in Reaktion auf Terrorismus geforscht.

Prof. i. R. Dr. Margit Szöllösi-Janze

Margit Szöllösi-Janze ist Professorin i. R. für Zeitgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München

Frau Szöllösi-Janze ist Expertin für die Geschichte des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik. Sie forscht vertieft zur deutschen Gewaltgeschichte, gegenwärtig mit dem DFG-Projekt „Politische Gewalt in der Bundesrepublik: Bewegung 2. Juni − Revolutionäre Zellen − Rote und Schwarze Hilfen“. An ihrem Lehrstuhl entstand der digitale Erinnerungsort www.erinnerungsort-fürstenfeldbruck1972.de. Sie ist u.a. Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats.

Prof. Dr. Petra Terhoeven

Petra Terhoeven ist Professorin für Europäische Kultur- und Zeitgeschichte an der Universität Göttingen

Frau Terhoeven erforscht die Geschichte von Faschismus und politischer Gewalt im 20. Jahrhundert in vergleichender Perspektive, insbesondere die Geschichte des Linksterrorismus in den 1970er-Jahren. Darüber hinaus liegt einer ihrer Forschungsschwerpunkte auf dem Umgang mit Opfern politischer Gewalt – unter anderem als Leiterin des Projektes „Wem gebührt unser Mitleid? Terrorismusopfer und Gesellschaft in der Moderne“.

Prof. Dr. em. Shulamit Volkov

Shulamit Volkov ist Professorin em. für moderne europäische Geschichte an der Universität Tel Aviv

Frau Volkovs Forschungsschwerpunkt liegt auf der modernen deutschen Geschichte und der deutsch-jüdischen Geschichte. Darüber hinaus ist sie Expertin für die Geschichte des Antisemitismus und forschte verstärkt zu Antisemitismus in Deutschland. Sie ist Mitglied der Israelischen Akademie der Wissenschaften.

Prof. Dr. Klaus Weinhauer

Klaus Weinhauer ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Bielefeld und Direktor der Bielefeld Graduate School in History and Sociology (BGHS)

Herr Weinhauer ist Experte für die Geschichte der Inneren Sicherheit, der Polizei- und der Terrorismusgeschichte. Er forschte zur Geschichte der Polizei von den 1960er-Jahren bis heute, speziell auch zur Geschichte des Bundeskriminalamts, des Terrorismus in der Bundesrepublik und zur Staatlichkeit im Wandel.

Prof. Dr. Christopher Young

Christopher Young ist Professor für Germanistik an der Universität Cambridge

Herr Young ist Experte für deutsche Sprache, Literatur und Geschichte, mit Schwerpunkt auf der deutschen und internationalen Sportgeschichte des 20. Jahrhunderts. Als Co-Autor des Buches „The 1972 Olympics and the Making of Modern Germany“ (dt. „München 1972: Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschland“) hat er sich mit den Olympischen Spielen 1972 befasst und darin auch das Attentat intensiv behandelt.

Weitere Informationen:

https://www.ifz-muenchen.de/aktuelles/themen/muenchen-1972

https://www.bmi.bund.de/historikerkommission1972

(c) BMI, 06.09.2023

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