
Mit 479 Beratungsanfragen stellt die Beratungsstelle „Radikalisierung“ des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg im Gesamtjahr 2024 einen neuen Höchstwert fest. Im Vergleich zum Vorjahr, das bereits durch ein stark gestiegenes Anfrageaufkommen gekennzeichnet war, erhöht sich auch die Komplexität der an der Hotline geführten Beratungsgespräche weiter.
Was ist zu tun, wenn das eigene Kind in sozialen Medien Propagandavideos des sogenannten „IS“ teilt, Schüler plötzlich ihr Umfeld missionieren oder Mädchen damit beginnen, vom Dschihad zu schwärmen?
Der Beratungsbedarf von Personen, die sich mit Fragen zu islamistischen Radikalisierungsformen an die bundesweite Hotline der Beratungsstelle „Radikalisierung“ wenden, hat sich im vergangenen Jahr erneut erhöht. So stieg die Zahl der Beratungsgespräche, die zumeist mit besorgten Familienangehörigen, aber auch vielfach mit Lehrkräften geführt wurden, im Jahr 2024 auf 339. Zusätzlich erhielt die Beratungsstelle 140 schriftliche Beratungsanfragen. Diese insgesamt 479 Beratungsanfragen stellen den höchsten Wert der vergangenen sechs Jahre und eine rund 30-prozentige Steigerung im Vorjahresvergleich dar. Gleichzeitig stieg auch die inhaltliche Komplexität der Anfragen. Das Durchschnittsalter (mutmaßlich) islamistisch radikalisierter Personen, die Gegenstand der Beratungsarbeit waren, war weiterhin niedrig und betrug 17,6 Jahre. Häufig betrafen die Beratungsgespräche auch Kinder und Jugendliche, die jünger als 13 Jahre waren.
„Dass der Beratungsbedarf zu Islamismus und Radikalisierung, der in den vergangenen Jahren bereits hoch war, weiter steigt, reflektiert größere Entwicklungslinien. So werden Radikalisierungsprozesse zunehmend online angestoßen und vertieft, was besonders junge Menschen betrifft, die im Zielspektrum extremistischer Ansprachen stehen. Gleichzeitig beobachten wir, dass die gesellschaftliche Sensibilität für Radikalisierung in Folge islamistisch motivierter Gewalttaten steigt, was zu höheren Anruferzahlen führt. Dieser Effekt gilt auch für 2024“, bilanziert Florian Endres, Leiter der Beratungsstelle „Radikalisierung“ des Bundesamtes.
Beratungsbedarf von Familien und Schulen am größten
Rund die Hälfte der telefonischen Beratungsanfragen, die das Bundesamt erreichten, stammte im Jahr 2024 aus dem familiären und privaten Umfeld mutmaßlich radikalisierter Personen. Hiervon stellten Eltern die größte Gruppe der Ratsuchenden dar. Mehr als jede dritte Anfrage ging auf einen institutionellen, insbesondere schulischen Kontext zurück. Zudem ist eine Veränderung der Beratungsinhalte vor dem Hintergrund der (mutmaßlich) politisch motivierten Gewalttaten in Deutschland im vergangenen Jahr und der aktuellen Entwicklungen im Nahostkonflikt wahrzunehmen. Vielfach ist dieser, aber auch Bezüge zu größeren sicherheits- und gesellschaftspolitischen Themen, Gegenstand der Beratungsgespräche. Besonders häufig treten dabei Anrufe von Lehrkräften auf, die Wesensveränderungen bei Schülerinnen und Schülern feststellen. Dabei berichten Ratsuchende zunehmend von frühen Anzeichen möglicher Radikalisierungsprozesse. Auch Unsicherheiten im Umgang mit Kommentaren und Postings, die in Internet und sozialen Medien Bezüge zu den oben genannten Konfliktlinien herstellen, werden von den Ratsuchenden häufiger thematisiert.
Beratungsnetzwerk aus behördlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren
Seit ihrer Inbetriebnahme im Januar 2012 gingen mehr als 5.850 Anrufe bei der Beratungshotline des Bundesamtes ein. In einem ersten Beratungsgespräch helfen speziell ausgebildete Beraterinnen und Berater den Ratsuchenden, die für sie oftmals belastende Situation einzuordnen und bieten erste, grundlegende Hilfestellungen. Mehr als 1.400 Fälle wurden nach diesen Erstgesprächen an das bundesweite, vom Bundesamt koordinierte Netzwerk staatlicher und zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen zur möglichen weiteren Betreuung vor Ort übergeben. Bei Bedarf findet so eine weitergehende, individuelle Unterstützung in der Nähe des Wohnorts der ratsuchenden Person statt. Durch sich stetig wandelnden Unterstützungsbedarf ist das Beratungsnetzwerk kontinuierlich gewachsenen und hat zahlreiche neue Präventionsangebote geschaffen.
BAMF, 15.04.2025