Über 500.000 Frauen und Mädchen sind laut Angaben des Bundesinnenministeriums seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nach Deutschland geflüchtet (Stand: 21. Mai). Polizei und Hilfsorganisationen weisen seither auf die Gefahren für die Flüchtlinge hin. Frauen und Mädchen könnten in die Fänge von Zuhältern oder Menschenhändlern geraten. Unabhängig von der aktuellen Lage muss Menschenhandel und Zwangsprostitution konsequent verfolgt werden. Der Vorsitzende der 93. Justizministerkonferenz und bayerische Justizminister Georg Eisenreich: „Die aktuelle Lage zeigt einmal mehr die Bedeutung der Straftatbestände zum Menschenhandel, zur Zwangsprostitution und zur Zwangsarbeit. Hier besteht aber dringender Reformbedarf. Wir wollen und müssen Frauen und Mädchen effektiv vor Menschenhändlern schützen. Der Bund ist aufgefordert, die bestehenden Hürden und Schutzlücken im Strafrecht so schnell wie möglich zu beseitigen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass Täter, die nach der sog. ‚Loverboy-Methode‘ vorgehen, bislang wegen Zwangsprostitution oft nicht belangt werden können. Sie geben ihren Opfern Aufmerksamkeit und Komplimente und machen sie emotional abhängig. Sie entfremden sie von ihren Verwandten und Freunden und führen sie Schritt für Schritt in die Zwangsprostitution. Das ist verwerflich.“
Die niedersächsische Justizministerin Barbara Havliza: „Die Menschen aus der Ukraine fliehen vor einem grausamen Krieg. Da ist es einfach nur niederträchtig, wenn Menschenhändler diese Situation ausnutzen und versuchen, schutzsuchende Frauen für ihre kriminellen Zwecke zu missbrauchen. Die Justiz muss schnell und effektiv ermitteln können. Komplizierte Regelungen im Strafrecht dürfen dem nicht im Wege stehen. Komplexität muss reduziert, Schutzlücken müssen geschlossen werden.“
Bayern bringt dazu gemeinsam mit Niedersachsen einen Antrag bei der 93. Justizministerkonferenz (1./2. Juni) ein.
Bereits im Oktober 2016 hat der Gesetzgeber die Strafvorschriften zum Menschenhandel reformiert – und die zuvor bestehenden drei Strafvorschriften durch fünf Regelungen ersetzt. Justizminister Eisenreich: „Die derzeitigen Vorschriften sind nicht praxistauglich genug. Wir müssen Ermittlerinnen und Ermittlern die Arbeit in diesem sensiblen Bereich erleichtern. Das belegt auch die umfangreiche Evaluation des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen.“ Darin wird festgestellt, dass die beabsichtigte Verbesserung der Bekämpfung des Menschenhandels nicht erreicht worden ist.
Der bayerisch-niedersächsische Vorschlag:
- Mehr Klarheit. Die derzeitigen Regelungen
- zum Menschenhandel (§ 232 StGB),
- zur Zwangsprostitution (§ 232a StGB),
- zur Zwangsarbeit (§ 232b StGB),
- zur Ausbeutung der Arbeitskraft (§ 233 StGB)
- und zur Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung (§ 233a StGB)
sollen übersichtlicher und weniger komplex gestaltet werden. Eisenreich: „Auf ausufernde Verweisungen und mehrfache Abstufungen der Tatbestände muss verzichtet und die Ausbeutungsformen klarer getrennt werden.“
- Einbeziehung des Sexualstrafrechts. Die Vorschriften zur Ausbeutung von Prostituierten (§ 180a StGB) und zur Zuhälterei (§ 181a StGB) müssen in die Reformüberlegungen aufgenommen werden. Eisenreich: „Das Justizministerium hat 2016 davon abgesehen, obwohl der Sachzusammenhang kaum zu übersehen ist. Die Begründung war, dass man der Gesamtreform des Sexualstrafrechts nicht vorgreifen wolle. Allerdings steht diese bis heute aus.“
- Schutzlücken schließen. Die Reform muss auch genutzt werden, um erkannte Schutzlücken zu schließen. Eisenreich: „Als Modalität der Tatbegehung sollte beispielsweise auch die Ausnutzung einer Lage, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, unter Strafe gestellt werden. Für den Bereich der Arbeitsausbeutung ist das nur schwer nachweisbare Gesinnungsmerkmal des ‚rücksichtslosen Gewinnstrebens‘ entbehrlich und aus dem Gesetz zu streichen.“
- Flankierende Maßnahmen im Strafverfahrensrecht. Eisenreich: „Um Kriminalität im Rotlichtmilieu effektiv bekämpfen zu können, müssen wir unseren Ermittlerinnen und Ermittlern außerdem die geeigneten technischen Mittel an die Hand geben. Die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) muss deshalb auf Zuhälterei ausgeweitet werden.“ Der Minister weiter: „Daneben fordere ich, Opferzeugen von Menschenhandel und Zwangsprostitution durch eine verpflichtende Videovernehmung besser zu schützen. Zeuginnen sollen die schreckliche Tat in der öffentlichen Hauptverhandlung möglichst nicht noch einmal durchleben müssen.“
Die niedersächsische Justizministerin Havliza: „In Niedersachsen haben wir auf den Krieg und seine Folgen schnell reagiert und unsere Präventionsarbeit verstärkt. Geflüchtete Frauen haben wir gezielt in ukrainischer Sprache über Hilfsangebote informiert. Aber das alleine genügt nicht. Wir brauchen beim Thema Menschenhandel im Strafrecht eine Reform aus einem Guss. Die Strafprozessordnung muss im Sinne einer effektiven Strafverfolgung angepasst werden.“
Minister Eisenreich abschließend: „Der Schutz von Frauen vor Ausbeutung und Gewalt ist mir ein großes Anliegen. Die bayerische Justiz setzt in diesem sensiblen Bereich auf Spezialstaatsanwältinnen und Spezialstaatsanwälte. Aber es muss sich auch rechtspolitisch etwas bewegen. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch. Der Bundesjustizminister ist dringend gefordert, eine ganzheitliche Reform zu entwickeln, die den Interessen der Opfer und den Anforderungen der Praxis gerecht wird.“
Quelle: Bayerisches Staatsministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 27. Mai 2022