Im Corona-Jahr 2020 hat die Polizei bundesweit mehr als 150.000 Fälle häuslicher Gewalt registriert. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich warnt: „Mehr als 80 Prozent der Opfer häuslicher Gewalt sind Frauen. In Bayern gehen wir konsequent gegen prügelnde (Ehe-)Partner und Stalker vor – und wir lassen potenzielle Opfer nicht allein. Wir haben mehrere Initiativen ergriffen. Nun startet mit unserer Unterstützung ein Forschungsprojekt zum Gewaltschutz.

„In Bayern gehen wir konsequent gegen prügelnde (Ex-) Partner und Stalker vor.“

Justizminister Georg Eisenreich

Im Mittelpunkt des Projekts an der Katholischen Stiftungshochschule München (KSH) steht die Einschätzung der Gefährdung von Frauen und Kindern durch Täter häuslicher Gewalt in der Zeit nach der Trennung. Das Amtsgericht hat dazu in Kooperation mit dem Jugendamt, Verfahrenspflegerinnen, der Polizei München und zahlreichen Fachberatungsstellen über mehrere Jahre einen Dokumentations- und Fragebogen entwickelt. Seit Frühjahr diesen Jahres wird dieser im Bezirk des Amtsgerichts München in Fällen Häuslicher Gewalt eingesetzt und erprobt. Das Projekt untersucht wissenschaftlich die Anwendung des Fragebogens. Minister Eisenreich: „Unsere Familiengerichte stehen bei Umgangs- und Sorgerechtsverfahren vor einer schwierigen Abwägung. Einerseits fördert der Umgang mit beiden Eltern grundsätzlich das Kindeswohl. Andererseits kann dadurch eine neue Gefahrenquelle für Frauen und Kinder entstehen. Der Fragebogen soll helfen, das Risiko weiterer Gewalttaten realistisch einzuschätzen. Nach erfolgreichem Abschluss des Projekts könnte der Fragebogen bayernweit zum Einsatz kommen.“

KSH-Projektleitung Prof. Dr. jur. Susanne Nothhafft ergänzt: „Die Implementierung dieses Instruments zur Dokumentation und zum risk assessment unterstützt die Umsetzung der Istanbul-Konvention in den beraterischen und justizielle Praxen. Art. 31 und Art. 51 Istanbul Konvention leiten einen Paradigmen-Wechsel ein, der alle stakeholder verpflichtet, bei der Gestaltung des Besuchs- oder Sorgerechts die Rechte und die Sicherheit der gewaltbetroffenen (Ex-)Partnerin und der Kinder nicht zu gefährden und das Prinzip ’safety first‘ umzusetzen.“

Das bayerische Justizministerium fördert das Projekt finanziell. Die Pilotphase wird von einer multiprofessionellen Ring-Vorlesung an der KSH begleitet.

Hintergrund:

Die Istanbul-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der alle Vertragsstaaten zu Maßnahmen gegen häusliche Gewalt verpflichtet. Seit 2018 gilt sie in Deutschland als einfaches Bundesrecht. In Artikel 31 der Konvention heißt es, dass die „Vertragsparteien die erforderlichen gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen [treffen], um sicherzustellen, dass in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht betreffend Kinder berücksichtigt werden und (…) die Ausübung des Besuchs- und Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet.“

Das bayerische Staatsministerium der Justiz setzt sich mit einem Bündel an Maßnahmen für den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt ein:

  • Für den Bereich der häuslichen Gewalt und der Sexualstraftaten gibt es bei allen 22 bayerischen Staatsanwaltschaften hierfür zuständige Sonderdezernate bzw. Ansprechpartner. Hierdurch wird eine fachkundige, zügige und ortsnahe Sachbearbeitung gewährleistet.
  • Auf Initiative des Freistaats haben die Justizministerinnen und Justizminister auf der Herbstkonferenz 2020 eine Verschärfung des Stalking-Straftatbestands gefordert. Durch die Einführung besonders schwerer Fälle mit erhöhten Strafen und die Ausweitung der Sicherungshaft soll der Schutz der Betroffenen verbessert werden. Der Bundesgesetzgeber hat diese Forderung mit dem seit 1. Oktober 2021 in Kraft getretenen Gesetz zur effektiveren Bekämpfung von Stalking umgesetzt. Aufgegriffen hat der Gesetzgeber auch die langjährige bayerische Forderung nach höheren Strafen für Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz.
  • Bei der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2021 hat Bayern die Mehrheit für die Forderung nach härteren Strafen bei der Veröffentlichung von Rachepornos oder der Bloßstellung von Frauen durch sogenannte Deepfakes, also computertechnisch manipulierte Bildaufnahmen, erhalten.
  • Mit der Stimme Bayerns haben die Justizministerinnen und Justizminister der Länder auf ihrer Herbstkonferenz am 26./27. November 2020 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet, die Verbesserungsbedarf im straf- wie auch im zivil-/familienrechtlichen Bereich untersucht, um Gewalt gegen Mädchen und Frauen besser entgegentreten zu können. Ein Abschlussbericht soll im nächsten Frühjahr vorgelegt werden.
  • In Bayern wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Prozessbegleitung eines umfassenden Gewaltschutz- und Präventionskonzepts für Bayern eingerichtet, an der neben dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz auch die Bayerischen Staatsministerien für Familie, Arbeit und Soziales sowie des Innern, für Sport und Integration teilnehmen. Ein Hauptziel der Arbeitsgruppe liegt im verbesserten Schutz von Frauen und Mädchen vor sämtlichen Formen der körperlichen und psychischen Gewalt.
  • Die bayerischen Psychotherapeutischen Fachambulanzen in München, Nürnberg und Würzburg leisten bereits seit vielen Jahren einen erheblichen Beitrag bei der ambulanten Nachsorge für Gewalt- und Sexualstraftäter, insbesondere nach der Entlassung aus der Haft. Die zeitnahe Nachbetreuung durch spezialisierte psycho- und sozialtherapeutische Angebote trägt wesentlich dazu bei, Rückfallrisiken zu minimieren, und dient insoweit maßgeblich auch dem Opferschutz. Daneben bietet auch ein Modellprojekt der Bewährungshilfedienststellen bei den Landgerichten München I und München II zur Gewaltprävention „Phönix“ präventive Gruppenmaßnahmen für erwachsene Gewaltstraftäter an.

Hinweis: Wohin können sich Betroffene wenden?

Quelle: Bayerisches Staatsministerium der Justiz Pressemitteilung vom 22. Oktober 2021

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