Die Situation von Müttern und Familien nach Fehl- und Totgeburten ist ein viel zu wenig beachtetes Thema und der Schutz der Mütter vor und nach der Geburt, egal wann und wie ein Kind zur Welt kommt, muss verbessert werden – darin waren sich die Expertinnen und Experten im Fachgespräch zum Thema „Sternenkinder“ des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Mittwochmittag einig.
Auch ein sehr früh geborenes und dann verstorbenes Kind „lebt im Herzen seiner Eltern weiter“. Wichtig sei, „dass das in Würde geschehen kann“, sagte Christoph Bührer, Präsident der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Er bezeichnete die Grenzwerte der geltenden Personenstandsgesetzgebung als wenig hilfreich. „Ein Kind“, das unterhalb der 24. Schwangerschaftswoche geboren werde, sei „genauso lebensfähig“. Die im Gesetz beschriebene „Gewichtsgrenze“ sei ebenso „unsinnig“. Die Mutter habe eine Beziehung zu ihrem Kind, auch wenn sie es noch nie oder nur durch das Ultraschallbild gesehen habe. Sie brauche einen angemessenen Rahmen, um mit dem Verlust nach einer Tot- oder Fehlgeburt fertig zu werden.
Nina Reitis von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg und Gründerin der Initiative „Plötzlich SternenKindEltern“, unterstrich dies: „Jede Frau braucht Unterstützung und bestmöglichen Schutz nach der Geburt, unabhängig vom Geburtszeitraum.“ Reitis wies auf „einen Misstand im Mutterschutgesetz“ hin. Nach sogenannten „kleinen“ und „stillen Geburten“ habe eine Frau Anrecht auf eine Hebamme, nicht aber auf Mutterschutz. Die Zubilligung oder Aberkennung eines Schutzbedarfs je nach dem Zeitpunkt der Geburt eines Kindes müsse überwunden werden. Stattdessen brauche es in jedem Fall Mutterschutz, gestaffelt nach der Schwangerschaftswoche. Frauen, die eine Fehlgeburt erlitten, bräuchten „Zeit für die körperliche Regeneration und Adaption an die neue Familiensituation“, müssten freiwillig und selbstbestimmt für eine gewisse Zeit ihre berufliche Tätigkeit ruhen lassen können ohne beim Arbeitgeber Nachteil zu erleiden. Das Thema müsse in der Gesellschaft sichtbarer gemacht werden. Mütter von Sternenkindern müssten wie alle anderen Mütter wertgeschätzt werden.
Dass Mütter nach einer Fehlgeburt am nächsten Morgen wieder ins Büro gehen müssten und nicht automatisch krankgeschrieben würden, deute auf ein strukturelles Problem hin, sagte Natascha Sagorski, Initiatorin der Petition „Gestaffelter Mutterschutz bei Fehlgeburten“ und Autorin aus München. Sie mahnte Handlungsbedarf an. Es ergehe vielen Frauen so. Sie trauerten stumm statt lautstark für ihr Anliegen zu werben. Es bestehe eine Gesetzeslücke, so Sagorski. Daher habe sie eine Petition gestartet für einen gestaffelten, freiwilligen Mutterschutz, der sich ab den ersten Schwangerschaftswochen sukzessive aufbaue und nicht von der Lebensfähigkeit des Kindes abhängig gemacht werde. Mit einer Staffelung gelte es, die harte Grenze und daraus resultierte Ungerechtigkeiten zu überwinden, die sich bislang aus Geburtszeitpunkt, Gewichtsangabe, Tot- oder Lebndgeburt ergäben. Die bisherige Praxis stehe auch in Widerspruch zum grundgesetzlich garantierten Schutz der Frauen und Mütter.
Physischer und psychischer Schutz solle jeder Gebärenden zukommen, auch bei einer Tot- oder Fehlgeburt, sagte Claudia Sprengel vom Netzwerk Sternenkinder Brandenburg. Durch die Schwangerschaft und Geburt werde eine Frau Mutter, Elternteil. Dies gelte es anzuerkennen. Um aus der Sprach- und Hilflosigkeit herauszukommen und die gesellschaftliche mit einer Fehlgeburt verbundene Stigmatisierung zu überwinden, habe sie das Netzwerk initiiert. Leider sei das Wissen um Hilfsangebote sehr unterschiedlich, es gebe oft keine ausreichende Unterstützung nach der Geburt, kaum Informationsmaterial direkt in den Kliniken. Die Hilfe für Mütter und Familien in einer solchen Situation dürfe kein Zufall oder ortsabhängig sein, sagte Sprengel. Die Betroffenen bräuchten flächendeckend, auch im ländlichen Raum, umfassende Unterstützung. Der gesetzliche Mutterschutz müsse ausgebaut werden. Dazu gelte es eine Expertinnengruppe einzurichten. Außerdem müsse die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert werden.
Für einen ganzheitlichen und präventiven Mutterschutz plädierte Marianne Weg vom Deutschen Juristinnenbund e.V. Die bisherige Gesetzeslücke gelte es durch eine gestaffelte Regelung im Sinne der Mütter zu schließen, ohne die Arbeitgeber aus dem Blick zu lassen. Für Mütter müssten adäquate, diskriminierungsfreie Bedingungen am Arbeitsplatz hergestellt werden, vor einer Geburt ebenso wie nach einer Fehlgeburt. Frauen müssten ihre Schwangerschaft ohne Angst beim Arbeitgeber anzeigen können, damit ihr Arbeitsplatz entsprechend umgestaltet werden könne. Auch nach einer Fehlgeburt wäre ein Beschäftigungsverbot wichtig. Mit einer guten betrieblichen Mutterschutzpraxis komme man der beruflichen Gleichstellung von Frauen näher. Das Europarecht gebe im Übrigen bereits einen besonderen Schutz von Frauen nach Fehlgeburten her, sagte die Expertin.
Quelle: HiB Nr. 347 vom 10. Mai 2023