Am Donnerstag kommen die EU-Innenminister:innen in Brüssel zusammen. Ein Ziel ist die Einigung zur neuen Asylverfahrensverordnung – einem problematischen Kernstück der lang umkämpften Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems (GEAS). Der Vorschlag sieht dabei die Durchführung von Asyl-Grenzverfahren an den Außengrenzen wie auch die Möglichkeit der Inhaftnahme von Schutzsuchenden vor. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) betont die Gefahr der neuen Regelungen für den Zugang zum Recht – die Regierung müsse sich an ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag halten.
Die geplanten Grenzverfahren dauern einschließlich Rechtbehelfsverfahren maximal 12 Wochen – angesichts der Kürze dieser Zeit bestehen erhebliche Zweifel daran, dass eine tatsächliche Prüfung des Einzelfalls und somit ein hinreichender Zugang zum Recht gewährleistet wird. Allein aufgrund der Örtlichkeiten sind der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung und schon zu sprachlicher Unterstützung äußerst begrenzt.
„Die Durchführung solcher Grenzverfahren und die Inhaftierung der Schutzsuchenden erfolgt nach dem Motto ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘ und ist mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Einzelfallprüfung nicht vereinbar“, mahnt Rechtsanwältin Maria Kalin, Europabeauftragte des Ausschusses Migrationsrecht des DAV. „In Verbindung mit dem Instrument der Fiktion der Nicht-Einreise wird es zu massenhaften Inhaftierungen an den Außengrenzen kommen – wodurch Zustände wie auf den griechischen Inseln zementiert oder gar verschlimmert werden dürften.“
Koalitionsvertrag: Versprechen halten!
Der DAV hält daher die in dem kürzlich unterzeichneten Statement geäußerten Forderungen aufrecht und ruft alle Koalitionspartner der Bundesregierung dazu auf, sich an die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Versprechen zu halten: Danach muss der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, inhaltlich geprüft werden; zudem soll es „bessere Standards für Schutzsuchende in den Asylverfahren“ geben.
„In jedem Fall aber müssen Minderjährige und ihre Familienangehörigen aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit von den Grenzverfahren ausgenommen werden“, betont Rechtsanwältin Kalin. „Die rechtsstaatlichen Grundsätze dürfen keinesfalls der Notwendigkeit einer Reform des europäischen Asylsystems und dem damit verbundenen Druck einer politischen Einigung geopfert werden – eine Einigung um jeden Preis darf es nicht geben!“
Das Konzept der Grenzverfahren wird mit niedrigen Anerkennungsquoten begründet. Eine pauschale Anwendung, zumal mit unzureichenden Korrektivmöglichkeiten, wird der Grundrechtsintensität des Verfahrens keinesfalls gerecht. Vielmehr droht sich die niedrige Anerkennungsrate durch die Oberflächlichkeit der Grenzverfahren zu verfestigen.
Siehe hierzu auch DAV-Pressemitteilung 19/2023 sowie DAV-Stellungnahme 08/2021.
(c) DAV, 06.06.23