Ob die von der Bundesregierung geplante Umsetzung der EU-Straßenverkehrsrichtlinie zu fairerem Wettbewerb und besseren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten führt, ist unter Sachverständigen umstritten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am späten Montagnachmittag zum Gesetzentwurf „zur Regelung der Entsendung von Kraftfahrern und Kraftfahrerinnen im Straßenverkehrssektor und zur grenzüberschreitenden Durchsetzung des Entsenderechts“ (20/6496) deutlich. 

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass das Entsenderecht künftig auch im Straßenverkehrssektor angewendet werden soll. Damit soll eine entsprechende EU-Richtlinie in nationales Recht überführt werden. Dies betrifft beispielsweise Kraftfahrer, die im Inland arbeiten, aber von einem im EU-Ausland ansässigen Unternehmen beschäftigt werden. Das Entsenderecht regelt unter anderem Aspekte wie Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und nun auch die Ruhepausenzeiten. Die Richtlinie legt auch fest, dass entsendete Kraftfahrer während ihrer Arbeit im EU-Ausland nach den dortigen Lohnregelungen vergütet werden. Von den Regelungen nicht betroffen sind Fahrer, die EU-Länder nur durchfahren sowie bilaterale Transporte durchführen.

Der Gesetzgeber habe die Vorgaben der Richtlinie vollständig und mehr oder weniger im Verhältnis eins zu eins angewendet, sagte der Einzelsachverständige Professor Frank Bayreuther von der Universität Passau. Unionsrechtlich sei eine weitergehende Umsetzung nicht möglich. „Jede weiter gefasste gesetzliche Regelung würde sich dem Risiko ausgesetzt sehen, dass sie durch den EuGH verworfen wird“, gab er zu bedenken. 

Aus Sicht der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) führen die zahlreichen Nachweis- und Dokumentationspflichten zu einem erhöhten bürokratischen Aufwand für die Unternehmen im Straßenverkehrssektor. Zudem werde die Verschärfung der Kabotageregelungen aus Sicht der BDA keinen Beitrag zur Linderung des Problems des Fahrermangels in Deutschland leisten, so BDA-Vertreter Roland Wolf.

Jürgen Fein von der beim Zoll angesiedelten Finanzkontrolle Schwarzarbeit sieht nun Rechtsklarheit für Fahrer, Unternehmung und Kontrollbehörden, da diese jetzt wüssten, welche Unterlagen mitgeführt und auf Verlangen vorgelegt werden müssen. So müsse der Fahrer nun einen Entsendemeldung mitführen, wenn er eine Karbotagefahrt durchführt. Aus der Meldung gingen der Arbeitgeber und die Dauer der Entsendung hervor. „Das erleichtert die Prüfung“, sagte Fein. 

Michael Wahl vom Beratungsnetzwerk Faire Mobilität kritisierte, der Regierungsentwurf verkompliziere eine ohnehin schon komplexe Richtlinienvorgabe. Jede Umsetzung müsse sich aber daran messen lassen, dass Lkw-Fahrer in der Lage sein sollen, ihre Rechtssituation auch selbst beurteilen und verstehen zu können. Wende man diesen Maßstab an, so müsse der Regierungsentwurf als nicht geglückt bezeichnet werden. 

Aus Sicht des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen ist die Regelung „ein toller Erfolg“, wie Hauptgeschäftsführer Benjamin Sokolovic sagte. Die Umsetzung sei sachgerecht und ausgewogen und werde hoffentlich zu mehr fairem Wettbewerb führen. Es sei nun klar geregelt, dass bei Karbotagefahren die deutschen Arbeitsbedingungen gelten. 

Fairere Wettbewerbsbedingungen erhofft sich auch der Bundesverband Spedition und Logistik. Wenn als Folge des Mobilitätspaketes einheitlich bis 2026 auf allen Fahrzeuggewichtsklassen intelligente Fahrtenschreiber der zweiten Generation eingeführt sind, sei es auch möglich, Grenzübergänge remote auszulesen, sagte Verbandsvertreter Raul Wintjes. Dadurch werde das Entdeckungsrisiko gesteigert und könnten Verstöße gegen das Entsenderecht schneller erkannt werden. 

Nach Auffassung des Bundesverbandes Deutscher Omnibusunternehmen (BDO) schafft die Wortneuschöpfung „trilaterale Beförderung“ Unklarheiten. Besser sei es, die klare Formulierung der EU-Richtlinie zu übernehmen, sagte BDO-Vertreterin Cindy Quast. Mit der neuen, in der EU-Richtlinie nicht verwendete Formulierung „trilaterale Beförderung“ würden die praktischen Anwendungsfälle des Busverkehrs nicht präzise genug erfasst. Zudem könnten bei den ausländischen Busbetrieben Unklarheiten und Verwirrung entstehen.

Über die Situation der rumänischen Lkw-Fahrer in Deutschland sprach die rumänische Gewerkschaftlerin Elena Frandes. Die Arbeits- und Lebensbedingungen für die Fahrer seien unmenschlich, befand sie. Sie müssten an ihren Autos kochen und in der Fahrerkabine schlafen. Solange das so sei, werde es auch viele Unfälle geben, an denen rumänische Fahrer beteiligt sind, sagte Frandes. 

Der geschilderte Befund gelte für sämtliche entsendete Beschäftigte im Gütertransport, sagte Stefan Thyrocke (DGB). In wesentliche Teile werde ihnen vor allem beim binationalen Transport und auch beim Transit der Mindestlohn vorenthalten. 

Edwin Atema, Gewerkschaftsvertreter aus den Niederlanden und Verhandlungsführer rund um den Fahrerstreik georgischer und usbekischer Lkw-Fahrer auf dem Rastplatz Gräfenhausen wegen ausgebliebener Lohnzahlungen, sagte, der Fall Gräfenhausen sei nichts Neues. Besonders sei lediglich gewesen, dass das Unternehmen ganz offen seine Schlägertrupps nach Deutschland zu den streikenden Fahrern geschickt habe. „Wir sehen aber an jedem Tag, dass Fahrer aus dem Lkw gezogen werden und auf Rastplätzen ihrem Schicksal überlassen werden“, sagte Atema.

Quelle: HiB Nr. 336 vom 9. Mai 2023

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